Die Nato setzt Luxemburg unter Druck: Die Armee soll robuster und kampfbereiter werden

Bedingt abwehrbereit

d'Lëtzebuerger Land vom 31.07.2020

Schmarotzer Vergangene Woche machte sich der neue General Steve Thull auf den Weg zu einem Treffen mit dem grünen Verteidigungsminister François Bausch. Das Thema der Besprechung war ausnahmsweise nicht das Coronavirus, auch nicht das kostspielige Satellitenprojekt Luxeosys oder der Erwerb eines neuen Militärflugzeugs. Vielmehr befanden sich in Thulls Aktentasche Szenarien, um auf die jüngste Kritik aus Nato-Kreisen zu reagieren: Die luxemburgische Armee müsse robuster werden und ein größeres Truppenkontingent stellen.

Die Kritik des Militärbündnisses am Nato-Gründungsmitglied Luxemburg ist streng genommen nicht neu. Im Gegenteil: Sie hat Tradition und reicht bis tief in den Kalten Krieg zurück. Bereits der ehemalige Armee-Chef Michel Gretsch sagte als Zeuge im Bommeleeër-Prozess unter Eid aus, dass Luxemburg in Nato-Kreisen verachtet wird: „Wir gelten als Schmarotzer.“ Das liegt nicht nur daran, dass Luxemburg für seinen schlanken militärischen Apparat belächelt wird, sondern in den Augen der Nato-Militärs von den Vorzügen der strategischen Partnerschaft profitiert, ohne allzu nennenswerte Gegenleistung: Das Großherzogtum genießt den Schutz und die Stabilität des Bündnisses, beherbergt mit der Namsa eine wichtige Nato-Institution, verfügt jedoch über ein verhältnismäßig geringes Verteidigungsbudget.

Doch in der unmittelbaren Post-Phase des Kalten Kriegs verhallte die Kritik, in Zeiten der globalen Abrüstung verlangte niemand ernsthaft, dass Luxemburg seinen militärischen Beitrag erweitert. Das änderte sich jedoch spätestens 2014. Als Russland die Krim annektierte und der Krieg in der Ukraine ausbrach, reagierten die Nato-Staaten nervös. Unter Druck der Vereinigten Staaten einigten sie sich auf ein Ziel, das bis heute fälschlicherweise US-Präsident Donald Trump zugeschoben wird, aber eigentlich schon seit 2002 als Idee bestand: das Zwei-Prozent-Ziel. Bis zum Jahr 2024 sollen Mitgliedsländer aufrüsten und mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren. Für Luxemburg war das eine schlechte Nachricht. Das hohe BIP wird für das wohlhabende Land zu einer schwer passierbaren Hürde. Denn je reicher der Staat, desto höher die Verteidigungsausgaben, so will es die Zwei-Prozent-Logik.

Rüstungsindustrie Der damalige Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) vereinbarte, dass Luxemburg seine Verteidigungsausgaben von 0,4 Prozent des BIP auf 0,72 Prozent bis zum Jahre 2024 anhebt. Damit wird Luxemburg weiterhin zu den Mitgliedstaaten gehören, die in relativen Zahlen am wenigsten für Verteidigung ausgeben. In absoluten Zahlen bedeutet dieses Ziel jedoch rund 450 Millionen Euro pro Jahr. Das ist deutlich mehr als der Haushalt des Gesundheits-, des Wohnungsbau-, des Landwirtschafts- oder des Kulturministeriums (d‘Land, 22.03.2019).

Das Problem liegt jedoch in Luxemburg nicht in den hohen Ausgaben an sich. Vielmehr fehlt es an sinnvollen Ideen, dieses Geld für militärische Projekte auszugeben, ohne die Öffentlichkeit in Wallung zu bringen. Denn für militärische Ausgaben fehlt in Luxemburg ähnlich wie bei den westeuropäischen Nachbarländern das Verständnis. Mit Ausnahme von Déi Lénk und Teilen der ADR stellt zwar keine Partei im Parlament die Nato-Mitgliedschaft in Frage, aber sie wird dennoch als lästiges Übel betrachtet. Es ist demnach ein Drahtseilakt für Politiker/innen, den militärischen Verpflichtungen gerecht zu werden und sich nicht des Parasitenvorwurfs schuldig zu machen, ohne Wähler/innen zu verprellen.

Etienne Schneider versuchte es mit einer doppelten Strategie: Zum einen setzte er auf eine Art Taschenspielertrick und versuchte der Nato die Sanierung des Flughafens Findel, die Anschaffung von zwei Polizeihubschraubern und selbst Teile der Kooperationshilfe als Verteidigungsausgaben unterzujubeln. Sprich: die künstliche Aufblähung des Verteidigungshaushalts. Zum anderen begann Schneider, Verteidigungsausgaben als Teil der Wirtschaftspolitik zu framen. Militärausgaben sollten in die nationale Wirtschaft fließen, die lokalen Unternehmen sollten vom vielen Geld profitieren. Das Drohnen- und Satellitenprogramm kann demnach fast als verdeckte Staatshilfe für die SES gedeutet werden. Der Rechnungshof hielt in einem kritischen Sonderbericht in der vergangenen Legislaturperiode auch fest, dass große Teile der Militärinvestitionen (nicht erst seit Schneider) einfach verpulvert wurden.

Panzer Doch nicht nur der Rechnungshof wirft einen strengen Blick auf Luxemburgs Militärausgaben. Auch die Nato. Laut Land-Informationen ist das truppenlose Drohnen- und Satellitenprogramm des früheren Verteidigungsministers bei der Nato durchgefallen. Sowohl für das Govsat als auch für das teure Luxeosys-Projekt wird der konkrete militärische Nutzen in Frage gestellt. Im „Nato Defence Planning Process“ (NDPP), der alle vier Jahre die Fähigkeiten der Armeen analysiert und bewertet, schnitt Luxemburg bereits 2017 miserabel ab. Die Verteidigungsfähigkeit sei mangelhaft. Und für 2021 droht eine ähnlich schlechte Bewertung, wie die Nato der
Direction de la défense bereits mitgeteilt hat.

Verteidigungsminister Bausch bestätigt dem Land, dass das Satellitenprogramm in Nato-Kreisen auf wenig Verständnis gestoßen ist, und Luxemburg aktuell unter Druck steht. Die Nato erwarte vor allem, dass Luxemburg sich stärker auf terrestrische Aufklärungsarbeit konzentriert. Das heißt: mehr Truppen mit mehr Feuerkraft.

Die strengen Töne aus Brüssel konterkarieren dabei die eigentlichen Pläne des grünen Verteidigungsministers. Bausch hatte ursprünglich vor, die Verteidigungspolitik als Fortsetzung des Kampfes gegen den Klimawandel mit anderen Mitteln auszulegen. Die Armee als Instrument gegen die Erderwärmung. Eine nachhaltige Truppe mit Solardächern auf dem Härebierg, die in der Sahelzone bei Konflikten aufgrund knapper Ressourcen intervenieren und in Luxemburg bei Naturkatastrophen helfen kann.

Nun ließ er jedoch von seinen Militärs Szenarien ausarbeiten, wie Luxemburg den Anforderungen der Nato nach mehr Robustheit gerecht werden kann. Die militärischen Pläne, die General Thull in der vergangenen Woche dem Minister vorlegte, reichten von einer Aufstockung des Truppenkontingents bis hin zum Erwerb eines neuen leichten Panzers vom französischen Typ Jaguar – ein Radpanzer von 22 Tonnen mit drei Achsen. Der Vorschlag der gepanzerten Kampfaufklärung wurde zwar verworfen, dennoch steht in den kommenden Jahren eine Kompletterneuerung des militärischen Fuhrparks an. Die 66 Dingos und 33 Hummer sollen durch Fahrzeuge mit mehr Durchschlagskraft ersetzt werden. Laut Direction de la défense denkt man an ein Aufklärungsgefährt mit sogenannter Dual use. Das heißt ein Fahrzeug, das sowohl in Konfliktzonen an der Nato-Ostgrenze, in Asien und der Sahelzone als auch in Luxemburg zu zivilen Zwecken genutzt werden kann.

Doch das eigentliche Problem liegt in der Truppengröße. Aktuell zählt die Luxemburger Armee laut Nato-Angaben rund 900 Soldaten und Zivilisten. Davon sind derzeit zwei Soldaten in Afghanistan stationiert, vier in Litauen (beim Nato-Manöver Enhanced Forward Presence) und vier in Mali – im September sollen noch weitere 21 Soldaten ins westafrikanische Land hinzustoßen. Bereits seit Jahren versuchen unterschiedliche Politiker, die Militärkarrieren für junge Luxemburger/innen attraktiver zu gestalten. Aber bisher vergeblich: Sie liefern sich mit dem CGDIS und der Polizei gegenseitig Konkurrenz und kämpfen um das begrenzte Arsenal von Luxemburger Staatsbürgern.

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA hat laut Militärexperten dabei keinen Einfluss auf den Druck der Nato. Ob Donald Trump am Ende des Jahres nach im Amt ist, ändere nichts an den Forderungen. Vielmehr zeige der US-Truppenabzug aus Deutschaland, dass der Druck auf die Verteidigungsausgaben in Luxemburg und Westeuropa eher noch steigen wird. Der grüne Verteidigungsminister Bausch wird sich also etwas einfallen lassen müssen, um die neue Militarisierung Luxemburgs in der Öffentlichkeit zu begründen.

Pol Schock
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