Einer interessierten Leserschaft die Mittel geben, sich an aktuellen Architekturdebatten zu beteiligen – so lautet der Anspruch eines Bands mit dem selbstbewussten Titel Architecture deLUX, den der Ordre des architectes et ingénieurs (OAI) zur Feier seines 35-jährigen Bestehens bei dem renommierten Berliner Architekturverlag DOM publishers herausgebracht hat. Darin besprechen zehn Architekturkritiker aus unterschiedlichen Ländern – Luxemburger bleiben davon ausgenommen – zwanzig „herausragende“ Bauten aus dem Großherzogtum.
Die Idee stammt vom scheidenden OAI-Direktor Pierre Hurt, studierter Betriebswirt, und dem Architekten sowie DOM-Verlagsgründer Philipp Meuser. Auch die deutsche Ökonomin und ehemalige EIB-Angestellte Patricia Wruuck, die bereits den 2023 erschienenen Architekturführer Luxemburg für den Verlag verfasst hatte, ist beteiligt. Zusammen mit Meuser und der luxemburgischen Architektin Arlette Schneiders war sie auch für die Auswahl der Projekte verantwortlich. Viele davon wurden entweder mit dem Bauhärepräis 2024 ausgezeichnet oder waren Teil der OAI-organisierten „Architectour“ 2023. Das Kriterium lautete, die Fertigstellung müsse innerhalb der letzten sechs Jahre gewesen sein.
Die Auswahl spiegelt somit wider, was der OAI selbst als repräsentativ für Luxemburg erachtet. Und das scheint vor allem Architektur zu sein, die beeindrucken soll. Die Veröffentlichung gerät damit zum PR-Band, anstatt dass daraus ein ernstzunehmender Versuch entstanden wäre, sich als repräsentatives Organ der Architektenzunft der internationalen Kritik zu stellen. Zwar werden verschiedene Bautypen berücksichtigt – vom Wohnbau, über Umnutzungen bis hin zur Infrastruktur – doch der Eindruck überwiegt: Das Buch soll vor allem als Visitenkarte Luxemburger Architekten im Ausland dienen. Ob Villa Kutter, Nationalbibliothek, die längste Fahrradbrücke Europas, das Luxembourg Learning Center oder die Möllerei in Esch – hier sind sämtliche Superlative vereint. Ein Interview mit Vicky Krieps über ihre Liebe zur Philharmonie darf da natürlich nicht fehlen.
Dazu passt auch das geschickte Outsourcing der Texte an junge, internationale Kritiker, die zum Großteil zum ersten Mal in Luxemburg waren. Obwohl einige Beiträge berechtigte Kritik formulieren, bleibt diese meist dezent. Schließlich sollen die Leser zum Schluss darüber abstimmen welcher Beitrag mit dem erstmals vom OAI vergebenen „Luxemburger Preis der Architekturkritik“ ausgezeichnet wird.
Dass der OAI gleichzeitig erklärt, eine eigenständige Architekturkritikszene im Land fördern zu wollen, wirkt da schon fast zynisch. „Wie so oft braucht es den Blick von außen, um die Qualitäten und die Besonderheiten der Heimat ins Bewusstsein zu bringen“, schreiben die Herausgeber. Nun ist Architekturkritik zugegebenermaßen ein seltenes Phänomen in Luxemburg.
Manches bleibt im Buch auf der Strecke – etwa das Gefühl dafür, wie stark die Wohnungskrise mittlerweile von vielen Menschen als Eingriff in ihr persönliches Leben empfunden wird und politisch aufgeladen ist. Oder dass die Gestaltung der Aula im Erweiterungsbau des Lycée Michel Rodange das Foyer des Grand Théâtre mat der Scheierpaart zitiert.
Zwar finden sich stellenweise aufschlussreiche Beobachtungen. So etwa, wenn ein Architekt seine im Speckgürtel der Stadt Luxemburg gelegene Sporthalle stolz präsentiert, aber nicht einräumen will, dass sie kaum genutzt wird – Prestige statt Bedarf. Oder jenes Vorzeigeprojekt im Escher Viertel Nonnewisen, zwei Jahre nach Fertigstellung weiterhin autofrei – aber auch menschenleer. Die Einfamilienhäuser kosten rund 650 000 Euro – im Rohbau. „Wo die Vergabe im Erbbaurecht, die städtebauliche Setzung und die architektonische Ausführung der Gebäudehüllen so klug sind, ist das – [der Preis] – der eigentliche Pferdefuß des Projekts“, bemerkt der Bonner Architekturkritiker David Kasparek treffend. Darüber können dann auch nicht die Schaulustigen hinwegtäuschen, die vor zwei Wochen – durch gratis Essen und Getränke angelockt – zur feierlichen Einweihung durch die Gemeinde kamen.
An anderer Stelle ist es dem Leser selbst überlassen, die von öffentlicher Hand mit einer „halben Milliarde Euro“ geförderte Sanierung des 36 Hektar großen ehemaligen Industrieareals in Dudelange zu bewerten, für die weitere 24 Millionen für die Erforschung des geothermischen Potenzials durch zwei Kilometer tiefe Bohrungen bereitgestellt wurden. Zwar tritt das VeWa-Projekt als „Dritter Ort“ unter der Leitung des DKollektivs gegen die kommerzielle Vereinnahmung des Geländes und für die Bewahrung des kulturellen und gemeinschaftlichen Erbes ein, doch das ist nur ein schwacher Trost. Mit sanftem Sarkasmus berichtet der Engländer Tom Ravenscroft über jenen absurd-anachronistischen Wettstreit um den ausgefallensten Wasserturm, der das Land seit 2003 in architektonische Wallung versetzt und die Gemeinden, wie einst die Patrizier von San Gimignano, um die Wette bauen lässt. Dabei sei mit der „Entwicklung moderner Pumpen mit variabler Drehzahl, die zur Aufrechterhaltung des Wasserdrucks kontinuierlich in Betrieb sind (…) der Bedarf an traditionellen Wassertürmen gesunken“, schreibt der Londoner.
Als einziges Renovationsprojekt figuriert die zweifelsohne gelungene, aber garantiert sündhaft teure Wiederherstellung der Villa Kutter im ursprünglichen Gewand. Der Betonfetisch lebt in Luxemburg munter weiter, die graue Energie feiert fröhliche Urständ wie Architecture deLUX wieder einmal belegt. Natürlich sind die neuen Gebäulichkeiten der Ligue HMC in Capellen eine Augenweide und man muss sich als Land glücklich schätzen, dass hier Menschen mit Beeinträchtigung so ein Rahmen geboten werden kann. Aber wie nachhaltig ist Beton? Oder das ebenfalls in den Nonnenwisen gelegene Lot 7SA, das sowohl Gemeinschaft wie Geborgenheit intelligent umsetzt? Sicherlich ist das Pasam-Gebäude auf Limpertsberg eine gelungene Symbiose von alt und neu, doch aus sozialer Sicht wirkt das rein profitgeleitete, an mittlerweile nicht mehr ganz so spendablen Eurokraten und Expats orientierte Projekt in etwa so unterirdisch wie der hauseigene Autolift hinunter in die dreigeschossige Tiefgarage.
Was in diesem Buch fehlt, ist bezeichnender als das, was präsentiert wird. Keine Rede vom Äerdschëff, dem seit 2013 unter Leitung des CELL (Centre for Ecological Learning Luxembourg) kooperativ entwickelten, extrem nachhaltigen Projekt in Redingen/Attert – selbstgebaut, autark, anspruchslos in der Ästhetik, aber trotzdem hübsch. Kein Wort über die Maison du Jeune Peuple (2001) in Differdingen – flexibel, zurückhaltend, funktional, erschwinglich. Auch das langjährige Ringen um das Projekt Ad-Hoc, das genossenschaftliches Bauen in Luxemburg gesetzlich verankern wollte, wird ignoriert – obwohl es eine dritte Säule sozial orientierten Wohnens hätte bilden können. In Österreich, Deutschland oder der Schweiz ist dies längst etabliert.
Oder eine
funktionale Umnutzung wie der 1535° Creative Hub in Differdingen (carvalhoarchitects) – einfach, günstig, gemeinschaftsorientiert. Alles keine Instagram-Architektur, aber dafür realitätsnah.
Am Ende bleibt der Eindruck eines Jubelbands für die Selbstinszenierung. Statt das eigene Berufsfeld ernsthaft zu reflektieren, wird Kritik importiert, formatiert und am Ende wieder eingefangen – mit einem Publikumspreis. Der OAI dokumentiert mit Architecture deLUX ein Pharisäertum, das lieber bewundert als verstanden werden will.
„Geben wir den Bauherren zusammen mit ihren Planern wieder die Freiheit und den Willen, unsere Welt zu gestalten“, schreibt OAI-Direktor Pierre Hurt in seinem mit „Wer baut, baut für uns alle!“ betitelten Vorwort zum Buch. „Die Freien Berufe sorgen konkret und transparent dafür, dass unsere gemeinsamen Ziele nachhaltig umgesetzt werden.* Dieser Glaube an die Selbstregulierung zweier durch Eitelkeit und Konkurrenz bestimmten Bereiche lässt wundern.
Dabei hätte gerade ein Jubiläum eine Chance sein können, Architektur in Luxemburg ehrlich zu befragen: Wer baut? Für wen? Und vor allem – zu welchem Preis?