Überwachungsstaat

Truthahnmörder

d'Lëtzebuerger Land du 02.12.2010

Heute loben wir den freundlichen Überwachungsstaat. Bis vor kurzem wussten wir nicht, dass Truthähne kriminell sein können. Herr Obama, der Oberhirte mit Religionshintergrund, hat zum amerikanischen thanksgiving day wieder zwei Truthähne namens „Apple“ und „Cider“ begnadigt. Zum festlichen Anlass, der eigentlich turkeykilling day heißen müsste, wurden im Land der begrenzten Unmöglichkeiten zwar 45 Millionen Truthähne abgemurkst, aber zwei Repräsentanten der bedrohten Tierart hat der nette Präsident das Leben gerettet. Jetzt hat er insgesamt vier begnadigte Truthähne auf seinem Barmherzigkeitskonto. Einen Menschen hat er während seiner Amtszeit noch nicht begnadigt („He has not yet issued any pardons for humans“, wie eine amerikanische Zeitung schreibt).

Was zum Teufel haben die beiden Truthähne nur verbrochen? Denn die Begnadigung kann logischerweise nur auf eine verbrecherische Tat folgen. Wir schätzen mal, dass der terroristische Virus inzwischen auch die amerikanischen Truthähne befallen hat. Wenn sich Terroristen als Truthähne tarnen, müssen wir natürlich von einer diabolischen Verkleidung reden. Wie wir aus äußerst zuverlässigen CIA-Quellen erfahren, haben sich immer mehr Truthähne kategorisch geweigert, sich auf amerikanischen Flughäfen der obligaten Durchleuchtung zu unterwerfen. Das macht sie höchst verdächtig. Insofern ist das Abschlachten von 45 Millionen Truthähnen nichts weiter als eine präventive Maßnahme zum Schutz der amerikanischen Heimat.

Vielleicht geht es ja auch nur um eine kleine, perverse Show, die dem Präsidenten erlaubt, seine unantastbare Einmaligkeit zu unterstreichen. Wörtlich sagte er beim Begnadigungszeremoniell: „Ich habe meinen Amtseid als Führer der mächtigsten Nation der Erde abgelegt. Heute nutze ich meine Vollmachten als Präsident, um ein Pärchen Truthähne zu begnadigen.“ Da haben wir es also wieder mit einem Führer zu tun, und zwar dem mächtigsten der Erde. Solch bedrohliche Prahlereien hören wir luxemburgischen Truthähne mit Vergnügen und Wonne. Denn auch wir sind längst infiziert mit der terroristischen Mentalität. Ein Glück, dass die amerikanische Botschaft in Luxemburg uns systematisch bespitzeln lässt. Denn selber helfen können wir uns nicht. Wir brauchen dringend die guten Hirten aus Amerika, die uns die bösen Flausen austreiben.

Nun, dieser kleine Artikel aus der Feder eines einheimischen Truthahns wird wohl genügen, dass die Frau Botschafterin aus Amerika ihr dickes, schwarzes Buch aufklappt und ihren Spitzeln Anweisung gibt, die scharfen Überwachungskameras noch gezielter auf das luxemburgische Federvieh zu richten. Die glamouröse Dame hat sich bisher ja eher als draufgängerische Society-Kanone profiliert. Sie ist so sympathisch aufgedreht. Ihr polterndes Lachen kann nur bedeuten, dass sie in unserem Land schon ganz viele terroristische Truthähne aufgescheucht hat. Ihre bisherige Amtsbilanz ist demnach, ganz im Sinne des mächtigsten Führers der Erde, ein einziger Bespitzelungserfolg. Dazu möchten wir herzlich gratulieren. Wir haben immer schon geahnt: Am amerikanischen Wesen wird die ganze Welt genesen.

Mit unserem dynamischen Außenminister haben wir jetzt allerdings ein Truthähnchen zu rupfen. Lieber Herr Asselborn, wieso sind Sie nicht längst der Frau Botschafterin mit Caracho in die infame Parade gefahren? Wieso lassen Sie zu, dass wir Luxemburger ausgespäht und ausgehorcht werden? Sie waren doch schon in der ganzen Welt und haben gelernt, wie Diktaturen arbeiten, die sich das Demokratiemäntelchen überwerfen. Was Ihnen noch fehlt, ist die tatsächliche, konkrete Weltberühmtheit. Wir können Ihnen ein unfehlbares Rezept empfehlen, wie Sie todsicher weltberühmt werden. Es wird Sie nicht mal große Anstrengungen kosten. Mit lästigem Arbeitsaufwand ist es auch nicht verbunden. Und es ist gar nicht teuer.

Sie müssen nur die unmögliche Botschafterin ausweisen. Sie soll mit ihrer ganzen Spitzeltruppe unser Land verlassen und nie mehr auftauchen. Das wär doch was, nicht wahr? Die gesamte Weltpresse würde sie mit Schlagzeilen honorieren. Sie wären der allererste mutige Politiker Europas, der einer staatlichen Terrororganisation namens Amerika die Stirn bietet. Sie würden sich auf einen Schlag Milliarden zuverlässige Freunde schaffen. Man würde Sie weltweit verehren wie einen überragenden Heiligen. Und zwar nicht nur bis zum nächsten Wahltermin, nein, Ihr Ruhm würde nie mehr verblassen und Ihr geschätzter Name würde in allen Schulbüchern des Planeten in goldenen Lettern verewigt. Und wir kleinen Truthähne könnten uns ein bisschen sonnen im blendenden Glanz Ihrer Zivilcourage.

Im Ernst, Herr Asselborn. Sie wissen genau, dass Sie nach den nächsten Parlamentswahlen mit Ihrer Hasenfußpartei in der Versenkung verschwinden. Der nette Herr Juncker, der auch ein mächtiger Führer ist, wird Sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Nutzen Sie also die letzte Gelegenheit zum Weltruhm. Sonst ergeht es Ihnen wie den 45 Millionen amerikanischen Truthähnen.

Dieser Text datiert vom 27. November 2010, als die Wikileaks-Enthüllungen noch nicht bekannt waren.
Guy Rewenig
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