Am nächsten Sonntag oder vielleicht an einem der Sonntage danach, jedenfalls „in den ersten Monaten 2018“, sollte eigentlich ein landesweites Referendum stattfinden, um die große Verfassungsrevision zu ratifizieren. Damit hätte das Land nicht bloß ein neues, erstmals durch eine Volksbefragung legitimiertes Grundgesetz erhalten, sondern die Regierung hätte ein halbes Jahr vor den Wahlen zeigen können, dass sie imstande war, auch ein Referendum zu gewinnen.
Das hatten jedenfalls DP, LSAP und Grüne so während einer Klausur in Mondorf im Januar 2016 beschlossen, als sie nach dem gescheiterten Referendum von 2015 einen neuen Anlauf für ihre Regierung suchten. Aber der frisch gekürte CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler sollte dann dem Vorhaben im Oktober 2016 den Todesstoß versetzen, als er sagte, man solle nichts überstürzen und die Verfassung aus dem Wahlkampf heraushalten. Er meinte: Weshalb soll die CSV im Wahlkampf der Koalition zu einem politischen Erfolg verhelfen?
Die CSV-Abgeordneten standen deshalb nicht zur Verfügung für eine Ende vergangenen Jahres geplante Verabschiedung des neuen Verfassungstextes. Eine Verabschiedung in erster Lesung durch das Parlament ist aber nötig, bevor ein Referendum abgehalten werden kann. Und weil Verfassungsänderungen eine Zweidrittelmehrheit brauchen, über die DP, LSAP und Grüne nicht alleine verfügen, läuft ohne die CSV nichts. Das war dann die Rache der CSV dafür, dass die Regierung vor drei Jahren versucht hatte, mit einem Referendum die CSV dazu zu zwingen, gegen ihren Willen das legislative Ausländerwahlrecht, die Mandatsbefristung und die Senkung des Wahlalters in die Verfassung zu schreiben.
So ist es nun still geworden um die einst als Jahrhundertwerk angekündigte Revision, die umfassendste seit 1948 oder 1919 oder 1868 oder 1856... Dabei wird seit 1984 daran geplant, 2009 wurde der entsprechende Entwurf im Parlament hinterlegt. Während eines Jahrzehnts wurde in 155 Sitzungen des parlamentarischen Ausschusses der Institutionen und Verfassungsrevision, mit 23 Gutachten und Stellungnahmen, fünf Serien von Änderungsanträgen und drei Korrigenden über fast jedes Wort verhandelt.
2015 war der Titel des Entwurfs von bescheiden „modification et nouvel ordonnancement“ stolz zu „instauration d’une nouvelle Constitution“ abgeändert worden. Durch diese Änderung des Titels kommen die Parteien aber kaum noch an einem Referendum vorbei. Denn über eine Änderung und Neuordnung kann vielleicht das Parlament entscheiden, eine völlig neue Verfassung muss aber heutzutage den Wählern vorgelegt werden.
Doch nach dem Fiasko von 2015 ist die Begeisterung sämtlicher Parteien für ein Referendum verflogen. Sie befürchten, dass der Kompromisstext allerlei Tierschützern, Monarchisten und Sprachschützern nicht weit genug geht und die Summe ihrer Neinstimmen, zusammen mit Unzufriedenen, die der Regierung einen Denkzettel verpassen wollen, das Projekt zu Fall bringen könnte.
Für den Fall dass die üblichen Verdächtigen über RTL und Facebook Stimmung gegen „die da oben“ und ihre Revision machten, sind die Parteien nicht einmal mehr sicher, dass ein geplanter gemeinsamer Aufruf von Mehrheits- und Oppositionsparteien zugunsten der Revision den Ausschlag in einem Referendum geben könnte. Um den Vorwurf zu entkräften, die Parteien hätten den Verfassungsentwurf obrigkeitsstaatlich hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, hatte das Parlament noch schnell eine Marktforschungsfirma beauftragt und über Internet Verbesserungsvorschläge aus dem Wahlvolk gesammelt, die sich erwartungsgemäß vor allem auf Kinderrechte und Tierschutz konzentrierten.
Scheiterte die Revision aber, wäre viel Arbeit umsonst gewesen und eine grundlegende Modernisierung der Verfassung für längere Zeit undenkbar. Eine Modernisierung war aber für nötig befunden worden, um die bisher willkürliche Auslegung durch jene Rechtssicherheit zu ersetzen, die Verfassungsgericht und internationale Institutionen verlangen. Schwammige Formeln über die Gewaltentrennung, mit denen es sich bisher gemütlich regieren ließ, sollen ersetzt werden, damit im Ausland nicht länger der Eindruck vorherrscht, das Großherzogtum sei eine Operettenmonarchie.
Während Premier Xavier Bettel öffentlich darauf besteht, dass das Referendum von 2015 ihm als gutem Demokraten nicht leidtue, macht seine DP zumindest im parlamentarischen Ausschuss keinen Hehl daraus, dass sie ein Referendum über die Verfassungsrevision für keine gute Idee mehr hält. Die anderen Parteien teilen zumindest hinter vorgehaltener Hand diese Meinung, auch wenn sie nicht sehen, wie sie zurückrudern können. Denn in ihren Wahlprogrammen von 2013 wollte die CSV „die Details einer Verfassungs-Referendumsprozedur klären“, die LSAP „im Vorfeld eines Referendums über die Verfassungsreform die Veranstaltung von Bürgerforen“ organisieren, die DP den Verfassungsentwurf „im Rahmen eines Referendums zur Wahl stellen“ und die Grünen wollten ihn „in einem bindenden Referendum zur Abstimmung unterbreiten“.
Sollte eine Parlamentsmehrheit zudem versuchen, auf das versprochene Referendum zu verzichten, ist klar, dass laut Artikel 114 der Verfassung 15 Oppositionsabgeordnete oder notfalls 25 000 Wahlberechtigte ausreichen, um ein Referendum zu erwirken. Es gäbe sicher genügend Parteien und Vereine, die sich eine Freude daraus machten, Unterschriften für ein Referendum zu sammeln. Die Regierungsmehrheit gleich welcher Couleur würde dann als Volks- und Demokratiefeinde vorgeführt, und über den Ausgang des so erzwungenen Referendums bräuchte sich auch niemand Illusionen zu machen.
Unter diesen Umständen sind längst nicht mehr alle Mehrheitsabgeordnete der CSV böse dafür, dass sie ein Verfassungsreferendum noch in dieser Legislaturperiode vereitelte. Denn vielleicht ist ein aufgeschobenes Referendum besser als ein gescheitertes.
Auch wenn sie ausgeträumt haben, die Verfassungsrevision noch vor den Wahlen in erster Lesung verabschieden und dann einem Referendum unterbreiten zu können, wollen die Mehrheitsabgeordneten im parlamentarischen Ausschuss nun vor den Wahlen wenigstens noch eine endgültige Textversion vorlegen können. Am 7. Februar schickte der Ausschuss dem Staatsrat fünf weitere Änderungsanträge, die sich auf den Ausnahmezustand, die Staatsanwaltschaft, den Conseil national de la justice und das Inkrafttreten der neuen Verfassung beziehen. Weil es sich dabei größtenteils um Vorschläge des Staatsrats handelt, winkte dieser sie schon diese Woche kommentarlos durch. So dass der Ausschuss sich im Mai auf einen endgültigen Revisionstext einigen kann. Unter dem Vorbehalt eines Änderungsvorschlags des Staatsrats zum Vermögen des großherzoglichen Hofs liegt bereits die neue koordinierte Textfassung der 133 Artikel vor1.
Weil DP, LSAP und Grüne der CSV nicht über den Weg trauen, wollen sie sie auf den im Mai vorliegenden Kompromiss festnageln. Ausschusspräsident Alex Bodry hatte bereits vor über einem Jahr vorgeschlagen, dass das Parlament nach der Fertigstellung des Revisionstextes, wenn es ihn schon nicht mehr stimmt, in einer gemeinsamen Resolution sich wenigstens dazu bekennt. Doch die CSV war dazu nicht bereit.
Dann schlug die Mehrheit den CSV-Abgeordneten im Ausschuss vor, man könnte doch nach dem Abschluss von zehn Jahren Arbeit wenigstens einen gemeinsamen Abschlussbericht schreiben. Aber auch davon will die CSV nichts wissen. Hatte Claude Wiseler vor anderthalb Jahren gemeint, die Verfassungsrevision müsse aus dem Wahlkampf herausgehalten werden, erklärte der neue verfassungspolitische Sprecher der CSV, der Grevenmacher Bürgermeister Léon Gloden, alle Parteien sollten in ihren Wahlprogrammen Stellung zu dem Revisionstext beziehen, damit die Wähler sich ein Bild von einer neuen Verfassung machen können.
Die CSV will sich in Zusammenhang mit der Verfassungsrevision zu nichts mehr verpflichten und der Regierungskoalition im Wahlkampf keine Geschenke machen. Bisher hat sie nicht bestritten, dass sie nach den Wahlen die Verfassungsrevision verabschieden und ein Referendum organisieren will – nachdem jeder dann begriffen haben soll, dass das Grundgesetz des CSV-Staats nur unter der Leitung der CSV geändert werden kann.
Doch die Ankündigung, den Text während des Wahlkampfs mit den Wählern diskutieren zu wollen, heißt zwangsläufig, bereit zu sein, ihn entsprechend dem Verlauf dieser Diskussionen wieder aufschnüren und vielleicht verschiedene für christlich-soziale Verhältnisse doch zu liberale Bestimmungen ändern zu wollen. Bis zum Schluss war vor allem über die Reorganisation der Justiz und die Rolle des Großherzogs diskutiert worden, zuvor über den Stellenwert der Nationalsprache und der Religionen. Sollte der Text nach den Wahlen aber wieder zur Disposition stehen, wäre es an der CSV, eine Zweidrittelmehrheit dafür zu finden...
Der altgediente Verfassungsexperte der CSV und ehemalige Vorsitzende des Ausschusses der Institutionen und Verfassungsrevision, Paul Henri-Meyers, der sich während Jahren als Vater der Gesamtrevision verstand und manchmal mit liberalen Standpunkten überraschte, hatte trotz seines fortgeschrittenen Alters 2013 noch einmal kandidiert, um an der Fertigstellung der Revision beteiligt zu sein. Als er dann aber den Eindruck gewann, dass der neue Ausschusspräsident Alex Bodry (LSAP) ihm das Verdienst streitig machen wollte, überließ er es Léon Gloden, für die CSV öffentlich über Verfassungsdinge zu sprechen. Am 14. Oktober will er nicht mehr kandidieren.