Seit neun Monaten tingelt Eric Thill, liberaler Kulturminister, durchs Land. Ein Porträt

Unverhofft

Eric Thill  vergangenen Donnerstag in seinem Büro
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 30.08.2024

Eric Thill begrüßt in seinem luftigen, mit Sichel-Möbeln ausgestattetem Büro im Hôtel des Terres Rouges. Er trägt ein Hemd in hellblauer Parteifarbe, eine durchsichtig-graue Brille und drei blaue Perlarmbänder. Bietet Wasser an, setzt sich vor seinen Tisch, auf dem Tagada-Haribos, Gletscher-Eis Bonbons, ein Ipad und zwei Handys liegen. Das Fenster steht offen und gibt die Sicht auf das Petruss-Tal frei. Urban, und doch grün. Das Grüne ist Eric Thill aus der ländlichen Gemeinde Schieren gewohnt, der er vier Jahre lang als damals jüngster Bürgermeister des Landes vorsaß. Dort hingen drei Bilder an seiner Wand: Ein Pink-Panther mit Vogue-Schriftzug, Dagobert Duck mit Graffiti besprüht und ein Banksy samt Louis-Vuitton-Muster. Die Wände seines Ministerbüros sind derweilen noch leer, eine Ausschreibung läuft, um die Sammlungen des Ministeriums zu erweitern und zu prüfen, was aufgehängt werden könnte.

Thill hat sein ganzes Leben in Schieren verbracht. Auch den Bachelor in Wirtschaftsstudien und den Master in European Governance absolvierte der liberale Politiker in Luxemburg. 2018 trat er der DP bei, der er durch seine Familie verbunden ist; sein Großvater war bereits Schöffe in der Gemeinde unter Bürgermeister August Goerens, Vater des liberalen Europaabgeordneten Charel Goerens. Bevor die Frage, ob eine andere Partei infrage gekommen wäre, zu Ende gestellt ist, schießt es aus Thill heraus: Nein. Liberale Werte und die Maxime der Eigenverantwortung seien ihm in die Wiege gelegt worden. Menschen müssen sich bemühen und sind letztlich ihres eigenen Glückes Schmied, auch wenn der Staat „den Rahmen setzt“. Es dauert nicht lang, bis das Wort Pragmatismus fällt. All das freilich „solidarisch“. Der Mangel an Ideologie, mit dem Charles Goerens wohlwollend die neue liberale Generation definiert, nimmt er an. Es sei einfach politisch nicht immer möglich, stur ideologisch vorzugehen. Stattdessen will er sich „lösungsorientiert“. Nach einem halben Jahr in der Risk-Management-Firma seines Onkels (d’Land, 11.11.2022) wurde er 2019 Bürgermeister, 2020 in die Fraktion und in den Verwaltungsrat des liberalen Centre d‘études Emile Schaus gehievt, an die Seite von Henri Grethen. In die prekäre Lebensrealität von Künstler/innen, die oftmals nicht wissen, wann sich die nächste Finanzierung auf ihr Konto ergießt, könne er sich hineinversetzen – er kenne auch die andere Seite der Medaille, sagt er.

Als die Koalitionsgespräche in Senningen stattfanden, war Eric Thill nicht dabei. Als Viertgewählter im Norden, hinter den Schwergewichten Fernand Etgen, André Bauler und Marc Hansen, hatte niemand mit ihm gerechnet. Die Geschichte, dass Eric Thill am Wochenende im Trainingsanzug auf dem Sofa gesessen und den Anruf von Xavier Bettel bekommen habe, um Minister zu werden, hat fast schon Kultstatus. „Es war mir schnell klar, dass ich das machen muss, um andere junge Menschen zu motivieren.“ Die Anekdote sagt viel über den Stellenwert der Kultur und den Zustand der Kulturpolitik nach dem Regierungswechsel aus. Sie lässt auf wenig Kulturinteresse in der Frieden-Bettel-Regierung schließen: Der Überraschungseffekt der Nominierung wurde im Nachhinein breit medial ausbuchstabiert. Das Wort nannte es einen „respektlosen Umgang mit Kultur“, Kulturakteure verfielen in Sorge, sie hatten sich an die engagierte grüne Kulturministerin Sam Tanson gewöhnt, die den Sektor umfassend professionalisierte. Die Kritik habe er „sportlich“ genommen, entgegnet Thill, denn es sei normal, dass man nicht bei „jedermann einen Nerv treffe“. Auch wenn das ihm nicht geglaubt würde, habe er sich immer schon für Kultur interessiert, käme aus einer kulturell geprägten Familie: Thills Vater war Präsident des lokalen Blasorchesters und die Eltern hatten einen Zeitungsladen in Ettelbrück. Er möchte im Jahr 2028 bewertet werden, wenn seine Arbeit getan ist.

Eric Thill nahm die Ministerehren dankend an, auch den delegierten Tourismus hat er übernommen. Das Wort Synergie fällt: Es geht ihm darum, Kultur- und andere Arten des Tourismus zu verbinden. Ein Beispiel lieferte er kürzlich, als er mit der Ministerin für öffentliche Bauten Yuriko Backes (DP) durch die neue Viandener Jugendherberge spazierte. Ähnlich wie Backes (d’Land, 9.8.2024) umgibt auch Eric Thill sich im Ministerium gern mit seiner eigenen Garde: Gene Kasel, ehemaliger parlamentarischer Sekretär der DP, hat er zum Ersten Regierungsrat berufen. Sébastien Gudenburg, der vergangenes Jahr die nationale Wahlkampagne der Liberalen orchestrierte, verantwortet die Pressekommunikation. Carl Adalsteinsson, ehemaliger Direktor des Ettelbrücker CAPE, hat die Geschicke des kürzlich in Rente gegangenen Generalkoordinators Jo Kox übernommen.

Dass Xavier Bettel ihn inspiriert hat, versteckt Thill nicht. Vor allen Dingen seine Nahbarkeit. „Man schaut sich verschiedene Sachen ab, bleibt jedoch authentisch.“ Vor sieben Jahren sagte Xavier Bettel, damals Premier- und Kulturminister und mit Guy Arendt als Staatssekretär ein seiner eigenen Einschätzung nach „starkes Duo“, dem Wort: „Klar muss es staatliche Förderungen geben, aber Künstler müssen eigenständig auf ihren Beinen stehen können.“ Solche Sätze sagt Eric Thill nicht. Es wäre unvorsichtig. Doch auch Xavier Bettel erklärte mannigfach, wieviel „Freude am Beruf“ er neben seinem Premieramt an der Kultur habe, und dass Kultur „die DNA einer Nation ist, die es zu pflegen und zu fördern gilt“. Dass Kultur als Fach in der Grundschule eingeführt werden sollte, dass Kultur dezentral gefördert werden sollte. In Minister Thill ist derselbe abgedroschene Duktus in Fleisch und Blut übergegangen.

Der Wechsel in die Regierung sei eine große Veränderung gewesen. Es sei ihm wichtig zu wissen, wo er herkomme. Seit er im Amt ist, läuft er im dunkelblauen Anzug von einer Veranstaltung zur nächsten. Auf seinem Instagram-Account ist er wahlweise im Schiefermuseum in Martelingen, beim Altertumsforscher in Nospelt, in Venedig auf der Biennale, vor Lydie Polfer sitzend in der Bayernkurve auf der Schueberfouer. „Die wenigsten gehen soviel zu den Leuten.“ Tatsächlich drängt sich die Frage auf, wann die Arbeit verrichtet wird, so viel ist er unterwegs. Die Szene erfreut sich jedenfalls bisher an der entgegengebrachten Empathie, am offenen Ohr. Was seine kulturpolitischen Prioritäten angeht, ist er an den Kulturentwicklungsplan (KEP) 2028 gebunden. Gesetzentwürfe für ein neues Bibliotheken- und Archivgesetz sollen noch dieses Jahr fertig werden, im Herbst soll eine Analyse zur Weiterführung des KEP nach dieser Legislaturperiode beginnen. Das Budget des Kulturministeriums liegt derzeit bei 0,95 Prozent und rund 255 Millionen Euro, es soll nächstes Jahr gestärkt werden. Dann erst kann er stärker Akzente setzen. Er spricht sich dafür aus, den Kulturpass auszubauen und die Gretchenfrage zu beantworten: Wie kriegt man mehr Menschen zur Kultur?

Ein paar Gelegenheiten, sich abseits von Gesetzprojekten kulturpolitisch zu positionieren, hatte Thill schon. Einerseits die Diskussion um das Fräiraim-Festival der Philharmonie, ein Event für Freizeitmusiker/innen. Dass sie keine Gage beziehen, sorgte für Aufregung. Der Kulturminister stellte sich (wie seine Vorgängerin) auf die Seite der Philharmonie und argumentierte, diese Menschen würden freiwillig und aus Leidenschaft musizieren und bräuchten deswegen nicht bezahlt zu werden. Es sei eine einmalige Chance, etwa mit dem OPL Musik zu machen. In der Affäre Tonnar/Gloden hingegen stellte er sich an die Seite des Liedermachers. Nach der Debatte um das Bettelverbot hatte Serge Tonnar ein Gedicht geschrieben und ein von KI generiertes Bild des CSV-Innenministers Léon Gloden als Bettler gepostet. Als kurz darauf Léon Glodens Mauer beschmiert und die Autoreifen seines Sohnes zerstochen wurden, gab Gloden unmissverständlich zu verstehen, Serge Tonnar habe den Vandalismus provoziert. Eric Thill musste daraufhin seinen Regierungskollegen durch die Hintertür ermahnen: Er verteidigte die Kunstfreiheit und die Aufgabe der Kunst, sich kritisch mit der Gesellschaft auseinander zu setzen. Was das Künstlerkollektiv Richtung22 und ihren Konflikt mit dem Escher Kulturschöffen Pim Knaff (DP) angeht, steht Eric Thill zur künstlerischen Unabhängigkeit und will weiter Kulturfinanzierung fördern – das Ministerium sei jedoch „nicht in die Escher Kulturpolitik involviert“.

Sobald es inhaltlich wird, weicht Thill aus. Er würde aus gutem Grund kein bildendes Kunstwerk angeben, das ihn geprägt hat, auch kein internationales. Bunte, moderne und lebendige Kunst mit Emotionen gefielen ihm. Und literarisch? „Faust“, antwortet Thill. Weshalb? „Weil mich das an meine Jugend erinnert, an Momente wo man mit Freunden darüber diskutiert hat”, sagt Eric Thill und schiebt sich ein Gletscher-Eis Bonbon in den Mund.

Sarah Pepin
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