Transportminister Henri Grethen (DP) im Land-Gespräch

Null plus plus ...

d'Lëtzebuerger Land du 28.12.2000

d'Lëtzebuerger Land: Herr Grethen, welche sind die drei wichtigsten Projekte, die Sie im nächsten Jahr voranbringen wollen?

Henri Grethen: Es gibt mehr als drei. Da wäre zunächst die Planungsarbeit für die Null plus-Variante im öffentlichen Verkehr der Hauptstadt mit der Region. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das Projekt Mobilitätszentrale vorantreiben. Zweitens arbeite ich mit meinen europäischen Ministerkollegen weiter am gesetzgeberischen Rahmen für den öffentlichen Transport in der EU. Drittens macht mir noch immer die Sicherheit auf unseren Straßen Sorgen; es gibt zu viele Unfälle. Was einerseits für den Ausbau des öffentlichen Transports spricht, andererseits will ich die Aufklärungsarbeit verstärken, gemeinsam mit der Unterrichtsministerin auch an den Schulen. Viertens gibt es Handlungsbedarf in der Hochseeschifffahrt: ich möchte, dass dort die höchstmögliche Sicherheit garantiert ist und unser Pavillon maritime nicht länger als ein Pavillon de complaisance gilt. Fünftens schließlich: der Ausbau der Flughafeninfrastruktur.

 

Sind Sie sicher, dass die Null plus-Variante als Alternative zu BTB langfristig genügend Entlastung bringt? Die Rentabilitätsstudie des Ingenieurbüros Basler hat ja gesagt, dass falls im Jahr 2020 hier 550 000 Menschen wohnen und es 350 000 Arbeitsplätze gibt, BTB eindeutig vorzuziehen sei. Deuten nicht alle Anzeichen derzeit darauf hin, dass dieses Szenario eintreten wird?

Für mich zählen nach wie vor in erster Linie die politischen Entscheidungsträger der Gemeinde Luxemburg. Die waren und sind gegen eine Tram durch die Stadt. Falls sich die Situation so entwickelt, wie es dieses Szenario von Basler darstellt, bleibt immer noch die Möglichkeit, umzudenken. Wir wollen jetzt nicht nur die Null plus-Variante realisieren die eine Optimierung der Bus- und Zugverbindungen vorsieht, sondern sozusagen Null plus plus mit der Anbindung von Kirchberg und Flughafen. Das war im BTB-Projekt ebenfalls vorgesehen. Im günstigsten Fall werden wir die Planungen 2002 abschließen. 2003 kann der Bau beginnen und 2006 bis 2007 beendet sein. Während dieser Zeit werden wir ja sehen, wohin wir steuern.

 

Ein Hauptargument für die Tram war die Tatsache gewesen, dass entlang der Avenue de la Liberté täglich 33 000 Bus-Passagiere befördert werden. Verkehrsexperten empfehlen spätestens ab 18 000 den Bau einer Tram. Daran wird Null plus kaum etwas ändern.

Deshalb hat die Gemeinde Luxemburg den Bau eines Tunnels zwischen Pariser Platz und Jean-Pierre-Büchler-Brücke angeregt. Der wird die Durchlässigkeit des Stadtzentrums erhöhen. Ich behaupte auch weiterhin, dass das Angebot der städtischen Busse gut ist. Null plus wird garantieren, dass auch in Zukunft die Bürger aus jedem Stadtteil ohne umzusteigen ins Zentrum gelangen. BTB hätte das beispielweise den Düdelingern ermöglicht. Nicht aber allen Hauptstädtern.


Ist Null plus denn ohne Weiteres technisch machbar? Vorgesehen ist zum Beispiel am Bahnhof Dommeldingen ein Umsteigebahnhof zwischen Zug und Bus. Vier städtische Buslinien sollen dort enden und über die Côte d'Eich ins Zentrum fahren. Diese Straße ist aber allein zwischen Dommeldinger Bahnhof und der Place Dargent schon jetzt stark befahren. Sind Staus da nicht unvermeidlich?

Wir rechnen damit, dass Leute vom Auto auf den Bus umsteigen. Wenn ich auch nicht sagen kann, wie viele das tun werden.

 

Womöglich nicht sehr viele, wenn die Qualität des öffentlichen Transports sich nicht drastisch erhöht.

Dabei spielen aber auch noch andere Faktoren mit. Am Umsteigebahnhof Dommeldingen werden sich Zug und Bus begegnen. Heute kommt es noch zu oft vor, dass in den Spitzenstunden Busse auf einen Zug warten müssen. Ich akzeptiere nicht länger, dass die CFL diese Verspätungen nicht in den Griff bekommen. Ich sage ganz klar: Wenn das so weiter geht, muss man sich überlegen, ob ein anderer Anbieter das nicht besser kann.

 

Die CFL-Direktion würde Ihnen jetzt von Kapazitätsproblemen der Schieneninfrastruktur berichten.

Und unser Zwölf-Milliarden-Investitionsprogramm, das die Chamber im Juni beschlossen hat? Keine Regierung hat den CFL je so viel Geld zur Verfügung gestellt. Und ich bin auch darüber hinaus bereit, sie politisch zu begleiten. Ich vermisse aber noch immer das Strategiekonzept der CFL für die nächsten Jahre. Ich halte im Schienenverkehr noch so manches für möglich. Ich habe vor ein paar Woche im Parlament selbst gesagt, dass mit der weiteren Erschließung der Industriezone Cloche d'Or eine Schienenverbindung von dort über Leudelingen und Steinbrücken bis nach Esch sinnvoll werden könnte.

 

Von einem neuen Gleis zwischen Esch und Luxemburg, entlang der Autobahn, spricht die Eisenbahndirektion aber schon länger.

Sie hat mir gegenüber aber noch nicht ausreichend begründet, wieso wir es schon jetzt brauchen. Ein solcher Infrastrukturbedarf ergibt sich für mich aus wirtschaftlicher Aktivität. Das heißt, entscheidend wird sein, wie in den kommenden Jahren die ökonomische und räumliche Dezentralisierung voran kommt und es gelingt, auf den Industriebrachen im Süden genügend viele Gewerbe anzusiedeln. In der Zwischenzeit scheint mir ein Ausbau der Busverbindungen von Luxemburg-Stadt in Richtung Süden am besten. Dazu müssen wir neue Busspuren anlegen. Ich habe das Bautenministerin Erna Hennicot in einem Brief vor kurzem empfohlen. Wir müssen überhaupt daran denken, bei Straßenbauprojekten regelmäßig Busspuren einzuplanen. Vorstellen könnte ich mir auch - meine ökologische Ader ist ja nicht so ausgeprägt wie die manch anderer Regierungsmitglieder -, dass bei einem Ausbau der Autobahn Arlon-Düdelingen auf zwei mal drei Spuren über das elektronische CITA-Leitsystem die jeweils rechte Spur in Spitzenzeiten für Wagen reserviert bleibt, die mit mehr als einer Person besetzt sind. In den USA funktioniert das sehr gut.

In letzter Zeit wurden eine Reihe Straßenbauprojekte verabschiedet. Zur Ostvariante der Nordstraße soll zusätzlich eine Westtangente entstehen. Ein Hauptziel der Ostvariante aber wird nicht mehr erreicht werden: die Entlastung des Alzettetals vom Autoverkehr. Davon spricht auch die Bautenministerin. Besteht da nicht akuter Bedarf an verbessertem öffentlichem Transport?

Da bin ich mir nicht so sicher, wenn ich bedenke, dass der Bus zwischen Mersch und Luxemburg bei den Bürgern weitaus mehr Zuspruch findet als die Eisenbahn.

 

Vielleicht liegt das ja daran, dass die Buslinie durch ihre vielen Haltestellen den Bürgern näher kommt.

Und? Welchen Schluss sollte man Ihrer Meinung nach daraus ziehen?

 

Wenn die Gemeinden im Alzettetal mit der Hauptstadt immer mehr zu einer Agglomeration zusammenwachsen, wäre es vielleicht nicht abwegig, eine Schienenverbindung zu den Wohngebieten zu bauen. Etwa eine, die von Heisdorf von den CFL-Gleisen abzweigt und bei Dommeldingen wieder in sie einmündet.

Können Sie sich vorstellen, was das für ein Geschrei gäbe, wenn wir ein Gleis durch diese Gemeinden legen würden? Wir leben doch in einem Land, wo jeder gegen irgend etwas ist. Hinzu kommt: die Leute wollen nicht auf ihr Auto verzichten. Selbst wenn sie damit im Stau stecken - im Auto ist man ein bisschen wie daheim, und wenn der Verkehr stockt, kann man notfalls sogar die Zeitung lesen. Das sind einfach die Zwänge, denen wir unterliegen, und deshalb bin ich sehr zurückhaltend gegenüber aufwändigen und teuren Projekten, von denen unklar ist, inwiefern sie später genutzt werden. Ich werde keine leeren Busse und Züge verkehren lassen.


Sie haben eine Reihe Initiativen ergriffen, um den Eisenbahnpassagierverkehr mit dem grenznahen Ausland zu verbessern. Derzeit arbeitet die EU-Kommission an einer Verordnung, wonach Personenverkehrsleistungen künftig ausgeschrieben werden sollen. Würde das die überregionalen Planungen nicht in Frage stellen?

Nein. Dem Kunden kann es ohnehin egal sein, wer die Transportleistungen erbringt, so lange Qualität und Preis stimmen. Bedenken können eigentlich nur die derzeitigen Operateure haben. Die CFL-Direktion hat - wenn ich sie richtig verstanden habe - diese Bedenken nicht, und so gehe ich in das nächste Treffen der EU-Transportminister, wo über die neue Verordnung erstmals gesprochen werden soll, mit einer Sorge weniger. Was wir am Ende ausschreiben werden, kann ich hier na-türlich noch nicht sagen. Abzusehen ist, dass der RGTR-Vertrag zu den Überlandbussen, den ich im Herbst letzten Jahres für weitere zehn Jahre verlängert habe, im Jahre 2009 in dieser Form wohl nicht noch einmal zu Stande kommen wird.

 

Aus dem nahen Ausland kommen an Werktagen 160 000 Autofahrer ins Großherzogtum, aber nur 8 000 Bahnreisende. Wäre nicht ein überregionaler Tarifverbund im Luxemburger Interesse?

Es ist wahr: Wenn man heute von Athus oder Hettange-Grande nach Luxemburg fahren will, bezahlt man den CFL-Inlandstarif. Von Thionville nach Luxemburg gilt der Auslandstarif. Es hat schon Gespräche über ein einheitliches Tarifgebiet gegeben, bisher verfügten meine Gesprächspartner aber nicht über so weitreichende Kompetenzen, dass eine für alle Beteiligten gerechte Kostenaufteilung hätte ausgehandelt werden können. Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass Luxemburg den Zahlmeister für einen derartigen Tarifverbund spielt.

 

Sie haben viel Verständnis für die ablehnende Haltung des haupstädtischen Schöffenrats zur Tram. Wird das auch für die Erweiterung des Flughafens gelten, von dem Bürgermeister Helminger sagt, man müsse anerkennen, dass die Wachstumsgrenzen erreicht sind?

Es geht nicht um einen Flughafenausbau. Niemand will eine zweite Startbahn bauen. Es geht zunächst um einen Neubau des Abfertigungsgebäudes inklusive Terminals. Das jetzige platzt aus allen Nähten und ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Die Arbeitsbedingungen des Flughafenpersonals werden immer schlechter.

 

Von einer Steigerung des Passagieraufkommens gehen Sie aber aus.

Warum auch nicht? Die Zahl der Passagiere wächst Jahr für Jahr um etwa zehn Prozent. Wir werden die zwei Millionen schon bald weit überschreiten, aber das muss nicht zwangsläufig zu mehr Flügen führen. Der Umbau der Aérogare wird es ermöglichen, kleine und große Flugzeuge abzufertigen. Heute wird Luxemburg noch überwiegend von Fokker-Maschinen und Eurojets angeflogen, morgen könnten es schon Jumbos sein.

 

Ist schon abzusehen, auf welchen Routen die Zahl der Fluggäste so stark zunehmen könnte?

Planungen gibt es dafür nicht. Aber immer mehr Leute fliegen in die Ferien. Es wäre doch unsozial, demnächst womöglich einigen von ihnen zu sagen: Ihr dürft nicht, unser Flugplatz wird nicht fertig damit.

 

Gilt dieser politische Ansatz sinngemäß auch für den Frachtverkehr?

Priorität hat für mich eindeutig der Passagierverkehr. Im Frachtbereich kommen wir allmählich an die Grenze der Abfertigungskapazitäten. Lösen ließe sich das Problem nur durch den Ausbau des Cargozentrums. Der aber ist nicht vorgesehen. Was gebaut werden soll, sind lediglich technische und Wartungsgebäude. Die werden nicht zuletzt auch die Arbeitsbedingungen des Personals verbessern.

 

Die Zahl der Nachtflüge dürfte dadurch aber nicht zwangsläufig sinken.

Wenn ich richtig informiert bin, wird es zum Jahresende erstmals seit langem wieder weniger Nachtflüge gegeben haben. Ich will das Problem in Zukunft noch stärker mit Sanktionen angehen. Ich werde aber bestimmt nicht der Cargolux empfehlen, woanders hinzugehen, und ich habe Null Verständnis für den Rekurs gegen den Ausbau der Aérogare, den der Mouvement écologique gemeinsam mit einigen Bürgern beim Verwaltungsgericht eingereicht hat. Dass Leute, die sich vor 50 Jahren in der Nähe des heutigen Flughafens ein Haus gebaut haben, über Belästigungen klagen, kann ich noch verstehen. Dass Klagen aber auch von denen kommen, die erst vor kurzem dort hin gezogen sind, ist mir unbegreiflich.

 

 

Peter Feist
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