Theater

Ein existentielles Tête-à-tête

d'Lëtzebuerger Land du 11.01.2013

Nach dem großen Erfolg der ersten Vorstellungen des Dinner-Theaters Mein Essen mit André wurden zu Recht zusätzliche Vorstellungen des lebendigen und sehr unterhaltsamen Stücks angeboten, das sich in Mitten der Gäste am Nachbartisch in der Brasserie Guillaume abspielt. Zwei alte Freunde treffen sich nach langer Zeit zum Abendessen und diskutieren die großen Fragen des Lebens, ihre Erfolge und Niederlagen. Die Zuschauer hören mit und werden in die tiefsinnigen und doch sehr komischen Gespräche eingebunden.
Ein Mann setzt sich an seinen Tisch und wendet sich an seinen (etwas überraschten und verlegenen) Tischnachbarn, einen einfachen Zuschauer. Erst durch die Beleuchtung wird einem klar, dass das Stück am Tisch mitten im Restaurant stattfinden wird. Die Bedienung wird ganz natürlich in das Dialog-Stück einbezogen, als seien die beiden Darsteller nur  Gäste, die zu Abend essen, und deren Diskussionen man überhört.
André, ein einst gefeierter Regisseur, der ein Leben auf großen Fuß gelebt hat, voller esoterischer  Abenteuer und weit weg von seiner Familie und dem harten Alltag, ist davon überzeugt, die Menschen müssten durch radikale Aktionen und extreme Erlebnisse aus ihrer leeren und betäubten Existenz ausbrechen, um die Realität des Lebens wahrnehmen zu können. Wally hingegen führt als mäßig erfolgreicher Bühnenautor und Schauspieler ein ruhigeres Dasein, genießt die kleinen Dinge des Lebens und stellt sich den Schwierigkeiten des harten Alltags. Der eine: grandioser und selbstverliebter Künstler, der andere: hart arbeitender und bodenständiger Schriftsteller. Trotz dieser Unterschiede wird der Zuschauer Zeuge einer wiederbelebten Freundschaft zwischen zwei Männern, die, obwohl sie verschiedener nicht sein könnten, die gleiche Leidenschaft für Theater und Darstellung haben und sich die gleichen Fragen stellen.
Der zynische und theatralische André lässt seinen Freund Wally kaum zu Wort kommen und erzählt von seinem Leben in Saus und Braus mit den Großen des Metiers, von seinen extravaganten Reisen quer durch die Welt. Von Mönchen im Tibet bis quer durch die Wüste und von bizarren Widergeburtsritualen, die ihn zu neuen Wahrnehmungen geführt haben sollen. Andrés provokante Abenteuer und Wallys sarkastische Reaktionen lassen den Zuschauer schmunzeln, aber die Diskussionen drehen sich schnell zunehmend um die grundsätzlichen Ent-scheidungen, die man im Leben trifft, und die verschiedenen Wege, die man wählt. Während André verzweifelte nach einem höheren Sinn seines Lebens sucht, sehnt sich Wally nach konkreten Erfolgen und Projekten in seinem Leben, das er mit seiner Familie teilt. Durch sein blasiertes Auftreten und seine kaum verhüllte Kritik am „netten und gemütlichen“ Leben des Freunds provoziert André eine lautstarke Diskussion über den Kampf ums Überleben im Showbusiness ohne Kreativitätsverlust zu erleiden, die Flucht aus der Realität und schließlich den Sinn des Lebens, den beide ganz verschieden zu begreifen versuchen. Die Dialoge sind humorvoll, zynisch, aber auch ehrlich und bewegend.
Das Stück nimmt ein etwas abruptes Ende, wie man es an manchen erstaunten Gesichtern unter den Gästen erkennen kann, als wären sie aus ihren eigenen tiefen und intensiven Überlegungen gerissen worden. Die beiden exzellenten Darsteller, Germain Wagner und Marc Limpach, bedanken sich und verabschieden sich mit einem sympathischen Händeschütteln persönlich bei den Gästen, die begeistert applaudieren. Sicherlich hat das Stück bei so manchen Gesprächsstoff und den Wunsch nach einer persönlichen Neuerfindung für die nächsten Abende angestoßen.

Mein Essen mit André; nach eineVorlage Wallace Shawn und André Gregory; im Rahmen einer Zusammenarbeit des Kasemattentheaters mit der Brasserie Guillaume; Regie: Stefan Maurer; Assistenz: Lena Hoss; mit Marc Limpach und Germain Wagner. Keine weiteren Vorstellungen.
Nathalie Medernach
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