Die Uni Luxemburg hat einen neuen Vierjahresplan – und erste Ansätze für eine „Langfristvision” mit Blick aufs Jahr 2040

Think tank, grenzenloser

d'Lëtzebuerger Land du 16.03.2018

„Ambitioniert“ – so nennt das Rektorat der Universität Luxemburg selber den neuen Vierjahresplan. Es ist der vierte seit der Gründung der Uni vor 15 Jahren und der erste seit dem Umzug großer Teile von ihr auf den Campus Belval. Als der dritte Plan geschrieben wurde, stand der Umzug noch bevor. Die Uni schrieb deshalb, noch unter Rektor Rolf Tarrach, das sei eine so große Herausforderung, dass das „Wachstum nur minimal“ ausfallen werde. Vier Jahre später kann die Uni wieder stärker wachsen. Die Vierjahrespläne, die das Rektorat aufstellt, sind immer auch Basis für einen ebenfalls alle vier Jahre erneuerten Niederlassungsvertrag mit dem Staat. Als Hochschul- und Forschungsminister Marc Hansen (DP) Anfang Januar den Vertrag für die Jahre 2018 bis 2021 publik machte, legte er Wert auf die Feststellung, die Uni bekomme „30 Prozent mehr Geld“ aus der Staatskasse. Flossen 2014 bis 2017 590 Millionen Euro, sind bis 2021 766 Millionen abgemacht. Plus 26,5 Millionen für den Aufbau des Bachelor-Studiums in Medizin. Plus einen Bonus für jeden mit Erfolg eingereichten Antrag beim EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020.

Was die Uni mit dem Extrageld macht? „Sie wächst und will auf Weltebene exzellent sein“, erklärt Rektor Stéphane Pallage. Der Terminkalender des neuen Uni-Chefs ist derzeit so voll, dass er nur ein paar Fragen per E-Mail beantworten kann. Die Uni habe sich verschiedene neue „Prioritäten“ gegeben, „die eine starke Interdisziplinarität“ widerspiegeln. „Manche davon stimmen klar überein mit nationalen Prioritäten.“

Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf: Mehr Prioritäten als zuvor gibt es nicht, es sind noch immer acht. Heute heißen sie „Exzellenzpfeiler“ (Pillars of excellence in dem auf Englisch verfassten Vierjahresplan). Ganz neu auf der Liste steht das interdisziplinäre Institut für digitale und Zeitgeschichte, das auf eine politische Entscheidung der Regierung hin aus der Taufe gehoben wurde und weiter aufgebaut werden soll. Dagegen waren Informatik und IT-Sicherheit bisher schon prioritär, Materialwissenschaften, Bildungsforschung und EU-Recht ebenfalls, und hieß bislang eine Priorität nur „Luxembourg School for Finance“, sollen nun „Finanzen und Innovationen im Finanzbereich“ ein Exzellenzpfeiler sein.

Interdisziplinärer ist die Universität mit dem neuen Plan angedacht, da hat der Rektor auf jeden Fall recht. Unter den Finanzpfeiler soll zum Beispiel Forschung zu Fragen gehören, wie Digitalisierung und Nutzung von Big Data sich auf Märkte auswirken. „Das ist eine enorme Herausforderung für die Finanzbranche, da hat die Luxembourg School for Finance eine wichtige Rolle zu spielen“, sagt Katalin Ligeti, die Dekanin der Fakultät für Recht, Wirtschaft und Finanzen (FDEF). „Es geht dabei nicht nur um Wachstumspotenziale dank der neuen Technologien, sondern auch darum, welche Risiken sich daraus ergeben, was für Regulationen nötig sind, bis hin zu Problemen durch Finanzkriminalität.“ Das macht den Pfeiler forschungsgruppenübergreifend innerhalb der Fakultät. Aber weil die Uni die neuen Fintech-Technologien auch selber entwickeln will, bezieht das auch die Fakultät für Natur- und Technikwissenschaften (FSTC) ein.

Noch breiter entworfen sind zwei andere Pfeiler: „Gesundheit“ und „Daten-Management und Simulation“. Sogar so breit, dass sie einen Ausblick erlauben sollen, wie die Universität in 20 Jahren beschaffen sein könnte. „Interdisziplinarität ist ein wichtiger Treiber für Innovation“, heißt es im letzten Kapitel des Plans zur „Langfrist-Vision“. Die Uni solle „eine führende Rolle bei der Debatte über Megatrends spielen“, etwa den Klimawandel, den in Teilen der Welt schwindenden Zugang zu Trinkwasser, über politische Konflikte oder Migrationsbewegungen. Wenn Technologien dazu dienen könnten, „die Auswirkungen dieser globalen Trends zu mildern“, dann sollte die Uni Themen wie das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz, Energietechnologien oder synthetische Biologie in ihre „Forschungsagenda“ aufnehmen. So ausgestattet, soll sie sich zu einem „Thinktank“ entwickeln, der „proaktiv zum Agenda-Setting in der Luxemburger Gesellschaft beiträgt“ und einen „wissensbasierten Gedankenaustausch“ ermöglicht. Daraus soll sich eine „Bürgerwissenschaft“ ergeben, in der „die Hinwendung der Wissenschaft zur Öffentlichkeit und deren Beteiligung, wie auch die von Politik und Wirtschaft“ an dem wissensbasierten Austausch „eher zur Norm als zur Ausnahme“ würde. Gleichzeitig soll der Belvaler Campus zu einem „international bekannten Anziehungspunkt für Testbed-Studien“ gemacht werden und die Uni auch in die Großregion hinein ausstrahlen. Wie sich all dies erreichen lassen kann, soll bis 2021 ein gutes Stück weit diskutiert werden. Auf knapp zwei A4-Seiten scheint der Vierjahresplan damit den sechs Mal so langen „Strategierahmen“ zu ersetzen, den Mitte 2016 der damalige Rektor Rainer Klump aufgestellt hatte und den viele an der Uni hinter vorgehaltener Hand zu wenig konkret nannten, weil darin vor allem von der Digitalisierung und von einer „europäischen Uni Luxemburg“ die Rede ist.

Dass der Vierjahresplan für die „Forschungsuni“ neue Akzente setzt, wenn er für mehr Interdisziplinarität sorgen will, scheint großen Zuspruch zu finden. Sowohl im Hochschul- und Forschungsministerium – dessen Generalkoordinator Léon Diederich erklärt, „wir begrüßen es, wenn Forschungsbereiche kooperieren und das Silodenken abnimmt“, und betont, das Ministerium habe den Inhalt des Vierjahresplans nicht beeinflusst, „das kam alles von der Uni“ – als auch bei den Dekanen der drei Fakultäten, die Vorschläge zum Plan gemacht hatten.

Wenngleich darin nicht jeder Bereich der Uni vorkommt. So verspricht der Vierjahresplan auf lediglich drei Zeilen auch den „Luxemburg-Studien“ eine „kontinuierliche Unterstützung“, denn Luxemburg biete im Grunde ein „ideales Umfeld für die vertiefte Erforschung wichtiger kultureller, sozio-ökonomischer und/oder politischer Phänomene, die auch von zunehmendem internationalen Interesse sind“. Wachsen können wird die Humanwissenschaftliche Fakultät (FLSHASE) der Uni, stellt ihr Dekan Georg Mein fest. Die Bildungsforschung etwa ist und bleibt ein Exzellenzpfeiler, und ein großes Vorhaben für die kommenden Jahre sei die Zusammenführung der empirischen Bildungsforschung in einem einzigen neuen Zentrum. Bereiche wie Germanistik, Philosophie oder Mittelalterforschung, „in denen wir überall extrem kluge Leute haben“, würden voraussichtlich nicht schrumpfen müssen. Dafür werde nicht zuletzt sorgen, dass es mehr Geld vom Staat gibt: „Wir bekommen ein ordentliches Stück vom Kuchen ab. Ich hatte mir anfangs Sorgen gemacht, aber wir sind gut gestellt.“

Und zumindest einige Bereiche der Human- und der Sozialwissenschaften sollen in die beiden großen interdisziplinären Felder „Gesundheit“ und „Daten-Management und Simulation“ hineinwachsen. „Psychologie und Soziologie erhalten ihren Platz in der Priorität ‚Gesundheit’“, kündigt Rektor Stéphane Pallage an. Dekan Georg Mein gab deshalb neben seinem Kollegen Paul Heuschling von der FSTC und vor allem Rudi Balling, Direktor des interdisziplinären Zentrums für System-Biomedizin (LCSB), Anstöße, den großen Bereich zu schaffen. Dort soll nicht nur die Medizin einen Platz haben – auch mit Blick auf die Medizinerausbildung, die nach und nach erweitert werden soll. „Es soll dort auch um Fragen der öffentlichen Gesundheit gehen, welchen Einfluss Lifestyle, Umwelt oder Stress auf die Gesundheit haben“, sagt Heuschling. Aus dem Bereich Psychologie der Humanwissenschaftlichen Fakultät soll einer zur Verhaltensforschung hervorgehen, und weil in dem großen Feld Gesundheit auch Gesundheitsökonomie und Rechtsfragen behandelt werden sollen, darunter ein Lehrstuhl für Bioethik vorgesehen ist, enthalte es auch für die Fakultät Recht, Wirtschaft und Finanzen „viel neues Potenzial“, sagt Katalin Ligeti.

Das zweite große Vorhaben „Daten-Management und Simulation“ ist ähnlich föderierend: „Man könnte es angewandte Mathematik nennen, das haben wir so noch nicht“, erläutert Paul Heuschling. Mitarbeiten würden, so der Plan, aber auch Wirtschaftswissenschaftler der FDEF und Sozial-forscher aus der FLSHASE, die an sozialen Ungleichheiten arbeiten und dafür unter anderem die internationale Luxembourg Income Study nutzen. Der Bereich Recht der FDEF wiederum „will in den kommenden Jahren die Themen Patentrecht und geistiges Eigentum sowie Datenschutz und Schutz der Privatsphäre entwickeln“, sagt Katalin Ligeti. Letztere könnten in das große interdisziplinäre Feld um die Daten passen.

„Die große Frage wird sein, wie wir so viel Interdisziplinarität umsetzen“, meint die Dekanin. „Der Vierjahresplan ist kein Gesetz, eher ein Rahmen. Gut möglich, dass er noch angepasst wird.“ Das kann sich auch Paul Heuschling vorstellen, dessen Fakultät an besonders vielen Prioritäten beteiligt wäre, etablierten wie neuen. Das erfordere nicht nur neue Professorenstellen, an die im Vorjahresplan gedacht sei, sondern auch mehr Doktoranden und Postdoktoranden sowie Ingenieure und Techniker, um Ausrüstungen zu bedienen. „Diese Posten zu finanzieren, wird eine Herausforderung.“

Trotz des vielen zusätzlichen Geldes vom Staat? Möglicherweise schon. Heruntergebrochen auf die vier Jahre bis 2021 wird aus dem Plus von 30 Prozent, das im Niederlassungsvertrag vereinbart ist, eines um rund sieben Prozent jährlich. „Manches davon betrifft normale Steigerungen bestehender Gehälter, oder auch in Belval neu entstehende Gebäude, deren Inbetriebnahme neue Kosten nach sich zieht“, sagt Generalkoordinator Léon Diederich vom Ministerium.

Wie schon im letzten Vierjahresplan ist auch in dem neuen eine „Mid-term review“ nach zwei Jahren vorgesehen, in der Ziele neu diskutiert und neue Zuwendungen ausgehandelt werden können. Womit sich auch die Frage stellen wird, wie die nächste Regierung die Entwicklung der Uni sieht. Zumal diese sich neben den Forschungspfeilern bis 2021 auch vorgenommen hat, an der Qualität ihrer Lehre zu arbeiten, neue Methoden einzuführen, die Lehre einheitlich „forschungsbasiert“ zu machen und nicht nur, wie das am Bereich Wirtschaft der FDEF 2015 als erstem begonnen wurde, Studiengänge auf deren Qualität hin unabhängig akkreditieren zu lassen, sondern die Ausbildung an der Uni „systemisch“. Was schon wieder eine Geschichte für sich ist. Bedenkt man, dass der neue Vierjahresplan im vergangegen Jahr entstand, als die Uni ihre Budgetkrise durchlebte, Rektor Rainer Klump zurückgetreten war und als mit einer vom Aufsichtsrat bestellten Unternehmensberaterin die Verwaltung der Uni neu erfunden werden musste, dann ist der neue Plan wohl gar kein schlechter Wurf. Und es ist vielleicht nur auf ein Vergessen im Eifer des Gefechts zurückzuführen, dass nirgendwo im Text etwas über das Zentrum für Logistik steht, das die Uni mit dem Massachusetts Institute of Technology einrichten will und in das ebenfalls einige Millionen Euro gesteckt werden sollen.

Peter Feist
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