Im Interesse des Fremdenverkehrs hat die Stadt Trier Ausstellungsspektakel entdeckt. Den Anfang machte sie vor zehn Jahren mit einer über drei Museen verteilten Ausstellung über den frommen Kaiser Konstantin. Um den Erfolg zu wiederholen, setzte sie vergangenes Jahr auf den schlechten Ruf von Kaiser Nero. Für nächstes Jahr hat sie jemand mit einem noch schlechteren Ruf gesucht und zeigt vom 5. Mai bis 21. Oktober im Rheinischen Landesmuseum und im Stadtmuseum Simeonstift Karl Marx 1818-1883, Leben, Werk, Zeit.
Die Veranstaltungen um den dann vor 200 Jahren Geborenen sind nicht frei von Ironie. Denn Generationen von Trierern hätten es lieber gesehen, wenn der einzige weltweit bekannte Ökonom und Philosoph der Großregion in einer Nachbarstadt geboren wäre. Bis heute gibt es kein Marx-Denkmal in Trier. Die gleichen Kreise, die sich so lange dagegen wehrten, Hitler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen, haben bis heute verhindert, dass die Trierer Universität nach Karl Marx benannt wird.
Derzeit beanstanden CDU-Politiker, dass die geplanten Ausstellungen mit 5,6 Millionen Euro zu teuer werden, während der Oberbürgermeister auf die „regionale Wertschöpfungskette“ verweist. Stadtverwaltung, Opposition und Leserbriefschreiber feilschen um den Standort und um jeden Zentimeter eines Denkmals, das der chinesische Bildhauer Wu Weishan im nächsten Jahr errichten soll. Die Stadt ließ sich nur auf das chinesische Geschenk ein, um keine Touristen aus China zu verlieren. Die SPD, die in Marx’ Geburtshaus ein Museum betreibt, hat nach dem Ende des Kalten Kriegs das angegliederte Forschungszentrum geschlossen, die wissenschaftliche Schriftenreihe eingestellt und die Bibliothek ausgeräumt. (d’Land, 2.9.1983, 25.3.2010, 17.5.2013).
Der Betroffene hat viel Kluges und Lustiges darüber geschrieben, dass Stadt und Land einmal in seinem Namen eine „Karl Marx 2018 Ausstellungsgesellschaft mbH“ gründen würden, dass die Berliner Corporate-Design-Firma Polyform das Logo entwerfen und dass dem 22-köpfigen Beirat der Dompropst, der Präsident der Trierer Handwerkskammer und die an der regionalen Wertschöpfungskette interessierte Luxemburger Großregionsministerin angehören würden. Von der wissenschaftlichen Leitung oder gar der Marx-Forschung geht kaum die Rede. Für sie ist Beatrix Bouvier, die ehemalige Direktorin des Karl-Marx-Hauses, verantwortlich, deren Posten mit ihrer Pensionierung abgewickelt wurde.
Im Stadtmuseum Simeonstift soll mit rund 100 Exponaten auf 600 Quadratmetern das Leben der von einem Asyl ins andere getriebenen Familie Marx dokumentiert werden, von Trier über Bonn, Berlin, Köln bis nach Paris, Brüssel und schließlich London. Das Simeonstift hatte bereits 2013 eine kleine Ausstellung Ikone Karl Marx mit 500 Marx-Gartenzwergen gezeigt, von denen heute einer im Büro von Premierminister Xavier Bettel steht. Gegenüber dem Simeonstift befindet sich zufällig der „Euroshop Alles 1€“, das – anders als das Geburtshaus – völlig unbeachtetete Wohnhaus von Karl Marx.
Das Rheinische Landesmuseum soll auf mehr als 1 000 Quadratmetern die Zeitumstände und das Werk von Karl Marx illustrieren. Zu den 400 Exponaten rund um das Manifest, die Kritik der politischen Ökonomie und das Kapital gehören Originalausgaben, Claude Monets Gemälde Gare Saint-Lazare aus dem Musée d’Orsay, eine fake Barrikade aus der Revolution von 1848 und selbstverständlich jede Menge Touch Screens.
Als Begleitveranstaltung im Museum am Dom bietet das Bistum Trier eine Ausstellung Lebenswert Arbeit über die Rerum-novarum-konforme Darstellung von Arbeitswelt und Menschenwürde in der zeitgenössischen Kunst. Nur zum Beiprogramm gehört auch die Wiedereröffnung der Dauerausstellung im Karl-Marx-Haus, die nun nicht mehr im Sieg von Willy Brandt über die DDR gipfelt, sondern von der Bonner Tourismusagentur Projekt 2508 in „Kontaktpunkte“, „Installationen“ und „Blickpunkte“ eingeteilt wurde. Als neue Höhepunkte werden eine Marx-Büste in Form eines Globus und der „Sterbestuhl“ gepriesen, der rezent den Ururenkeln abgekaufte Lehnstuhl, in dem der schwerkranke, vom Tod seiner Ehefrau und seiner Tochter zerstörte Mann am 14. März 1883 starb.
Während alle Trierer Politiker und Werbeagenturen, die nun an Marx verdienen, sich ihn gleichzeitig mit dem Epitheton „umstritten“ vom Hals halten wollen, hatte der Staatenlose eine unverkrampfte Beziehung zu seiner Heimatstadt: Er erinnerte später daran, dass die Not der Moselwinzer ihm als jungen Journalisten die Augen öffnete, um von der Philosophie abzukehren und die politische Ökonomie zu entdecken. Er regte sich ein paar Mal über die Trier’sche Zeitung auf und pflegte Kontakte zur antipreußischen Opposition in Trier. Aber ansonsten war ihm Trier zeitlebens herzlich gleichgültig.