Erziehungsminister Claude Meisch will mehr Qualität in die Grundschulen bringen. Dafür riskiert er den Bruch mit einem Teil der Lehrerschaft

Ausgespielt

d'Lëtzebuerger Land du 26.02.2016

„Wir sind mit dieser Regierung auf dem Niveau einer Bananenrepublik angekommen“. Es ist schweres Geschütz, was die OGBL-Lehrergewerkschaft SEW gegen den Bildungsminister diese Woche auffuhr. Am Montag hatte Claude Meisch (DP) mit der mitgliederstärksten Lehrergewerkschaft SNE eine Vereinbarung über Änderungen in der Grundschule und bei der Lehrer-Tâche unterzeichnet.

Nach Aussagen von Patrick Arendt, Sprecher des kleineren SEW, geschah dies jedoch ohne vorherige Absprache und hinterm Rücken seiner Gewerkschaft: „Sie haben das in geheimen Verhandlungen gemacht. Soweit ich mitbekommen habe, sind die Reaktionen in den Schulen ganz negativ“, sagte Arendt dem Luxemburger Wort am Dienstag.

Das Paket an Maßnahmen, das der Minister mit Unterstützung des SNE geschnürt hat, betrifft alle Grundschullehrer. Es geht unter anderem um die Verdopplung der Weiterbildungspflicht von acht auf 16 Stunden, so wie es für Sekundarschullehrer bereits vereinbart wurde. Aber auch um die Umwandlung von 3 500 Schulstunden, die laut Grundschulreform von 2009 bis 2019 hätten eingespart werden sollen. Sie sollen nun durch die Anstellung von 150 Speziallehrern für Kinder mit Lernschwierigkeiten, in das Schulsystem reinvestiert werden.

Änderungen, die aus pädagogischer Sicht wert wären, geprüft zu werden, doch Arendt sagte bereits, seine Gewerkschaft fühle sich an den Kompromiss nicht gebunden. So dass zu befürchten steht, dass die Maßnahmen kaum ausführlicher diskutiert werden. Politisch sind sie ja bereits beschlossene Sache.

Dass sich der Minister entschieden hat, ohne den SEW zu verhandeln, liegt daran, dass er dringend Erfolgsmeldungen braucht: Nach zähen Spar-Verhandlungen, nach School-Leaks und vermurkster Werteunterricht-Debatte kündigt Meisch nun mehr Weiterbildung, mehr spezialisierte Fachkräfte und dazu mehr Mitspracherechte an, die allerdings nicht genauer definiert sind. Das kommt gut an bei Eltern. Entsprechend offen hat sich die Elterndachorganisation Fapel geäußert, sie verlangt aber mehr Informationen zu dem Abkommen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Meisch und sein Team bei Verhandlungen Gesprächspartner umgehen, so war es zu beobachten bei den äußerst undurchsichtigen Verhandlungen zum Werteunterricht. Aber die Vorgehensweise ist auch das Ergebnis vieler – gescheiterter – Anläufe, Positionen einander anzunähern. Ob die Gespräche zu den Sparmaßnahmen, zur Sekundarschulreform, Grundschullehrer-Stage, zu den Instituteurs de ressource oder den Plan de réussite scolaire – der SEW hat sich in der Vergangenheit als besonders sperriger Gesprächspartner erwiesen.

Selbst bei der Reform des jahrhundertealten Grundschulgesetzes war es die OGBL-Gewerkschaft, die das Vorhaben am stärksten kritisierte. Ironischerweise stand die damalige Unterrichtsministerin, die Sozialistin Mady Delvaux-Stehres, dem SEW selbst mal recht nahe. Das Verhältnis hatte sich zuletzt aber wegen zunehmender Meinungsdifferenzen deutlich abgekühlt. Auch deshalb ist von LSAP-Seite kaum Verständnis für den jetzigen Zorn der Gewerkschaft zu erwarten.

Der SEW wird sich fragen müssen, ob er jetzt nicht die Quittung für einen konfrontativen Kurs bekommt, den die Gewerkschaft über Jahre gefahren ist und der kaum Spielraum für Kompromisse ließ. Die Gewerkschaft scheint sich mit ihrem kategorischen Nein gegen jegliche Eingriffe in die Lehrer-Tâche verrannt zu haben – zum Preis, sich zunehmend zu isolieren und bei pädagogischen Entwicklungen oder Entscheidungen kaum mehr mitzureden.

So beharrt der SEW darauf, es brauche keine weiteren Experten in der Schule. Dabei nimmt die Vielfalt in den Klassen eher zu als ab. Schüler, die daheim kein Luxemburgisch sprechen, mit der Dreisprachigkeit ringen, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, stellen für den Unterricht eine große Herausforderung dar. Kinder mit Einschränkungen haben laut Behindertenrechtskonvention ebenfalls ein Recht auf bestmögliche Förderung. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu. Wie also das Schulsystem verbessern, sodass es weniger Ungerechtigkeit produziert, die Kosten fürs Personal aber nicht unendlich steigen?

Lediglich mehr Lehrer einzustellen, ohne die Unterrichtspraxis, Aus- und Fortbildung, Schulstrukturen zu hinterfragen, ist zu wenig. Zumal vor der Kontingentierung die Resultate der Schulen nicht besser, die soziale Selektivität nicht geringer waren. Den Lehrern ist kein Vorwurf zu machen: Sie sind mit der Komplexität überfordert, zumal ihre Grundausbildung recht allgemein gehalten ist.

Umso wichtiger wären ein gezielter Einsatz und die Vernetzung bestehender Ressourcen sowie ein besseres Zusammenspiel aller Akteure. Die Vereinbarung, die das Ministerium mit dem SNE getroffen hat, geht in diese Richtung: Die von Gewerkschaftsseite stets misstrauisch beäugten, in den Schulen aber willkommenen Instituteurs de ressource werden abgeschafft – um als Instituteurs spécialisés en développement scolaire wiederaufzuerstehen. Mit einem Master-Diplom, aber ohne hierarchische Funktion – weil die Lehrergewerkschaften das nicht wollen.

Mit regionalen Direktionen statt Inspektoren und einer unabhängigen landesweiten Beobachtungsstelle für Schulqualität sollen zudem die Zuständigkeiten von externer Beratung und Kontrolle präziser gefasst werden. Die Bobachtungsstelle würde Informationen zur Qualität von Unterricht und Schule sammeln und analysieren und damit Empfehlungen erarbeiten. Die genaue Arbeitsteilung ist noch nicht definiert, aber die Eckpunkte ähneln der von den Inspektoren geforderten Inspection générale.

Dass der Plan de réussite scolaire in Plan de développement de l᾽établissement scolaire umbenannt wird, ist dagegen Augenwischerei: Da es nach der Grundschulreform und mit der Einführung eines Bildungsmonitorings nie echte Benchmarks gab, an denen sich Schulen mit ihren Leistungen orientieren mussten, war der Réussite scolaire von Anfang an eher Ausdruck politischen Wunschdenkens als echtes Aktionsprogramm gewesen.

Als Wunschdenken entpuppt sich auch das Vorhaben Meischs, im Bildungsbereich Ressourcen einzusparen: Die von den Gewerkschaften gefürchtete angedachte Reduzierung der Alters-Décharge und der erweiterte Stundenplan sind vom Tisch. Reale Spareffekte erzielt der Bildungsminister mit seinen Neuerungen also kaum; für die 150 Speziallehrer mit Master-Diplom, die die Kinder mit besonderem Förderbedarf betreuen sollen, wird der Minister nochmals in den Staatssäckel greifen müssen.

Auch die von der DP, von Déi Gréng und von der CSV geforderten Direktionen in der Grundschule wird es nicht geben. Das wäre auch sehr teuer geworden. Dafür bekommt der Präsident des Schulkomitees einen Experten für Schulentwicklung an die Seite gestellt, der helfen soll, den schuleigenen Entwicklungsplan auf- und umzusetzen. Ziel soll sein, den Prozess der längerfristigen Qualitätssteuerung zu professionalisieren und nicht bloß punktuelle Ziele zu fördern. Gleichzeitig sollen Eltern mehr Mitbestimmungsrechte bei der pädagogischen Ausrichtung erhalten. Wobei bezeichnend ist, dass die Eltern in solche Pläne bisher nicht eingebunden wurden.

Die Erkenntnis, dass die Entwicklung der Schulen auch für diesen Minister zentral ist, dürfte der Grund gewesen sein, warum der SNE seinen anfänglichen Widerstand gegen die Pläne aufgegeben und eine pragmatischere Haltung eingenommen hat: Denn wenn sich die Unterrichtsqualität nicht spürbar verbessert, wird der Druck von Eltern zunehmen, die fürchten, ihre Kinder könnten abgehängt werden. Und sei es, dass immer mehr ihre Kinder in Privatschulen oder in Extra-Angebotsschulen unterbringen. Spätestens dann stünden die Lehrer und ihre Arbeitsbedingungen stärker im Fokus. Schon bei den letzten Streitereien hat sich gezeigt, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit dem Beharrungsvermögen mancher Lehrer und ihrer Vertreter eher mit Unverständnis begegnet.

Freilich, manche ficht auch das nicht an. „Ich erwarte, dass Leute in den Schulen deutlich sagen, dass sie damit nicht einverstanden sind“, sagte Patrick Arendt dem Wort. Die andere Option, konstruktiv in einen sachlichen Dialog zu treten und gangbare pädagogische Alternativen aufzuweisen, ist offenbar keine. Dabei war gerade die OGBL-Gewerkschaft darin einmal Vorreiterin gewesen.

Ines Kurschat
© 2024 d’Lëtzebuerger Land