Nachhilfeprojekt

Schüler helfen Schülern

d'Lëtzebuerger Land du 02.04.2021

Am Athenäum in der Hauptstadt gehört es zum Programm des Baccalauréat International, dass jede/r Schüler/in ein Projekt neben der Schule entwickeln muss. Das ist zur Zeiten einer Pandemie eine Herausforderung: Was tun, wenn sanitäre Maßnahmen Aktivitäten und Begegnungen erschweren und wenn wegen Homeschooling von regulärem Unterricht kaum die Rede sein kann?

Oberstufenschüler Mathis Oberlé und zwei Klassenkameraden hatten eine Idee: Leistungsstarke Schüler, denen Mathe, Französisch oder Deutsch leicht fällt, könnten schwächeren Grundschülern, die im Lockdown drohen, den Anschluss zu verlieren, gratis Nachhilfe geben und ihnen auch sonst in schulischen Fragen zur Seite stehen, ähnlich wie ein Tutorat. Und ihnen so in dieser schwierigen Zeit beistehen. Und warum nicht Flüchtlingskindern, denen es schwerer fällt, Anschluss im komplizierten Schulsystem zu finden, und deren Eltern teure Privathilfe nicht bezahlen können? „Bildung ist wichtig, und gerade diese Schüler drohen, durch die Krise in Schwierigkeiten zu geraten“, analysiert Mathis. Die Idee: Schüler helfen Schülern war geboren, rasch war ein Logo gefunden (ein Schüler springt über eine Hürde) und ein Konzeptpapier entwickelt: „Jeder hat sich mit dem eingebracht, was er oder sie am besten kann.“ Zehn Schüler/innen meldeten sich in einer ersten Phase, um beim Projekt mitzumachen.

Eine tolle Idee, zumindest auf dem Papier. „Ich hätte niemals gedacht, dass es so schwierig werden würde“, gesteht Mathis ein. Wie während einer Pandemie den Kontakt zu schwachen Schüler/innen herstellen? Das Team versuchte es zunächst über die Gemeinden: Das erwies sich als unmöglich. Die Verantwortlichen konnten den hilfsbereiten Schüler/innen aus Datenschutzgründen keinen Zugang zu Schülernamen geben. „Wir waren kurz davor, alles hinzuschmeißen, da bekamen wir Unterstützung von der Caritas“, sagt der 19-Jährige (später auch durch das Rote Kreuz).

Er hatte den Caritas-Kontakt von einem anderen ehrenamtlichen Engagement: Wenn es die Zeit erlaubte, half Mathis im sozialen Supermarkt in der Nähe des Hauptbahnhofs aus. „Ohne ihre Hilfe hätten wir das nicht geschafft“, sagt er heute dankbar. Die Sozialarbeiter knüpften den ersten Kontakt zu den Flüchtlingsfamilien. Bei ihnen stieß der Vorschlag einer Gratis-Nachhilfe mit Tutorat auf reges Interesse. „Wir hatten in einer ersten Runde gut zwanzig Familien im ganzen Land, die interessiert waren.“ Viele wohnten aber im Norden. Die wenigsten Jugendlichen hatten einen Führerschein, geschweige denn die Zeit, sich für eine Nachhilfestunde bis in den Norden zu begeben. Da stimmte das Verhältnis Aufwand und Ergebnis leider nicht. „Wir haben dann die schulische Hilfe mehr oder weniger auf das Stadtgebiet begrenzt, respektive so, dass die Familie in Reichweite des jeweiligen Tutors war“, erklärt Mathis Oberlé.

In einem Vorgespräch stellten die Jugendlichen ihr Anliegen vor: Sie würden nachhause kommen, Nachhilfe geben und stünden dem oder der Grundschüler/in auch sonst beratend zur Seite. „Die größte Nachfrage gab es im Fach Deutsch.“ Da etliche der Freiwilligen die IB-Klassen des Athenäums besuchten und selbst besser Englisch als Deutsch konnten, starteten Mathis und seine Kolleg/innen einen zweiten Aufruf. (Wer das Peer-Tutoren-Team verstärken will: soschoul@protonmail.com)

„Die ersten Erfahrungen waren schwierig“, gibt Mathis zu. „Kulturelle Missverständnisse“ hätten die Kommunikation erschwert. Manche Eltern waren sich nicht bewusst, dass eine Verabredung zur Nachhilfe bedeutete, dass das Kind dann bereit sein musste. Manche waren zum verabredeten Zeitpunkt nicht zuhause. „Da war es gut, dass die Caritas vermittelt hat“, sagt Mathis, der sich in Zukunft einen Einführungskurs mit den Sozialarbeiter/innen wünscht, „damit die Schüler wissen, wie sie mit solchen Situationen umgehen können“.

Mathis hatte Glück: Bei ihm lief alles rund. Seine Schülerin machte schnell Fortschritte, so dass die Mutter bat, er möge doch dem Sohn und vielleicht einer Freundin ebenfalls helfen. „Ich betreue derzeit drei Schüler. Das ist viel“, sagt Mathis. Gefragt, was für Profile für die Nachhilfe/das Tutorat gesucht sind, sagt der Oberstufenschüler: Verlässlichkeit, Geduld und natürlich muss man die Fächer kennen.“ Die Verantwortung als Tutor nimmt Mathis ernst. Jetzt, da er selbst auf das Examen zugeht, kann er nicht mehr mit demselben Engagement dabei sein: „Ich muss mich auf meine Prüfungen vorbereiten.“

Doch das Projekt soll weitergehen. Zum Glück ist sein Bruder an Bord. „Ich versuche, ihn und eine Schulkameradin in die Organisation einzuführen, damit das Projekt weitergeht“, betont Mathis Oberlé. Das ist ihm wichtig, denn für das Studium werde er ins Ausland gehen, dann könne er sich selbst nicht mehr kümmern. „Die Nachfrage nach Tutoraten ist groß“, weiß er aus Erfahrung. Und wenn man sehe und erlebe, „wie die Kinder Fortschritte beim Lernen machen, ist das richtig toll“.

Ines Kurschat
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