Wissenschaftskultur

Miteinander von Mensch und Fortschritt

d'Lëtzebuerger Land du 11.11.2011

„Was ist ein Gelehrter? Ein Spinner, der sich einschließt und über alles forscht und schreibt, was niemanden interessiert.“ Dieses Zitat entstammt nicht etwa dem Volksmund, sondern der Feder von Anatole France und zeigt vor allem eines: Klischees sind langlebig; das Bild vom Eremiten in seinem Elfenbeinturm ist keine Erfindung der Moderne.

Was heute wie damals gilt: Es ist auch – und vor allem – an der Wissenschaft selbst, zu den Menschen zu gehen, sich ihnen zu präsentieren. Es gilt, die Schnittstelle zwischen dem vermeintlichen Elfenbeinturm und dem vermeintlichen gemeinen Volk zu schaffen: Es geht um die wissenschaftliche Kultur.

Denn „wissenschaftliches Wissen“ ist nicht gleich „wissenschaftliche Kultur“. Ersteres – also Kenntnis und Verständnis wissenschaftlicher Fakten und Ideen sowie der entsprechenden Politik – ist ein rationaler Faktor. Hinter wissenschaftlicher Kultur hingegen steht ein Wertesystem, ein mitunter emotional geprägter Glaube an die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die Gesellschaft und die Wirtschaft.

Einer Gesellschaft, die eine wissenschaftliche Kultur hat, ist es gelungen, Wissenschaft und Forschung zu einer tragenden Säule des sozia-len Lebens zu machen. Hierfür muss eine Akzeptanz für die Rolle der Wissenschaft als Schöpferin von Wissen und Innovation geschaffen werden. Außerdem müssen Wissenschaft und Forschung verinnerlicht und nach Möglichkeit von allen erlebt werden.

Doch wie ist es um die wissenschaftlichen Kultur in Luxemburg bestellt? Im Vergleich zum Ausland sind die Forschung und der universitäre Bereich hierzulande noch sehr jung. Aber die neuesten Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung.

Denn auf bis dato wissenschaftlichem Brachland sind Fundamente entstanden, die tragfähig genug erscheinen, um eines Tages eine solide Wissenschaftskultur zu stemmen. Säulen wie die öffentlichen Forschungszentren, die Universität Luxemburg, die Nationalmuseen für Naturgeschichte und für Kunst und Geschichte beziehungsweise ihre jeweiligen Forschungszentren, die Cité des Sciences in Belval sowie die bestehenden Tätigkeiten zur Förderung der wissenschaftlichen Kultur sind in jedem Falle über den Verdacht erhaben, auf Sand gebaut zu sein.

Telefonumfragen, die vom Fonds na-tional de la Recherche in den Jahren 2007 und 2011 durchgeführt wurden, belegen, dass die wissenschaftlichen Tätigkeiten hierzulande immer stärker wahrgenommen werden. Demnach zeigen sich 40 Prozent der Bevölkerung an Wissenschaft interessiert, 65 Prozent wollen weiterhin und noch besser informiert werden, und eine zunehmende Mehrheit (69 Prozent) unterstützt Investitionen in die Forschung (2007: 57 Prozent). Die steigenden Werte gehen einher mit einem wachsenden Bekanntheitsgrad der Initiativen der Forschungsakteure, wie etwa dem Science-Festival, der Researcher’s Night oder Mr. Science.

Doch trotz der stärkeren Anerkennung der Bedeutung von Wissenschaft und Forschung bleibt von Seiten der Wissenschaftler noch viel zu tun. Denn nur eine Minderheit der Bevölkerung fühlt sich gut informiert. Ein großer Teil vertritt die Meinung, dass die Schule ihrer Verantwortung nicht nachkäme und die Forscher sowie die Institutionen sich nicht genügend bemühen würden, nach außen zu kommunizieren. Mittelfristig kann diese Kommunikationslücke sowohl in politischen Kreisen als auch in der Wirtschaft – vor allem aber in der Gesellschaft selbst zur kategorischen Ablehnung von Wissenschaft und Forschung führen.

Deshalb kann das Motto weiterhin nur lauten: Raus aus dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm. Wissenschaft kann nicht warten, dass die Leute zu ihr kommen, sondern muss vielmehr zu den Menschen gehen. Am Ende wird die Wissenschaft selbst von solch einer Popularisierung, einer Interaktion mit der Öffentlichkeit profitieren. Denn nur wenn Forschung lebt, hat sie das Potenzial, das Interesse der jungen Leute für Wissenschaft und Forschung und – warum nicht – auch für eine wissenschaftliche Karriere zu wecken.

Dabei darf die Popularisierung freilich nicht zur Banalisierung ausarten. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine Zeitgeist-Attitüde, sondern um eine strategische Zielsetzung der Forschungsakteure in Luxemburg. Etappen auf diesem Weg sind zum Beispiel eine spannende und zielgruppengerechte Themenvermittlung, der Aufbau eines dauerhaften Dialogs zwischen Wissenschaftlern und jungen Leuten und über all dem – der Faktor Spaß. Denn vergessen wir nicht: Kaum etwas ist so aufregend wie eine Entdeckung. Das muss unsere Botschaft sein.

Diese Botschaft hoffähig zu machen, braucht Zeit. Gerade deshalb müssen wir gemeinsam darauf hin arbeiten, dass die Menschen den Forschern zuhören, mehr noch: dass die Gesellschaft darauf wartet, dass die Forschung etwas sagt. Parallel hierzu müssen wir weiterhin die Forscher in ihrer Arbeit bestärken und unterstützen, sie zur Kommunikation motivieren. Beides geht zweifelsohne Hand in Hand – denn wer sich verstanden fühlt, will sich auch verständlich machen.

Wenn all dies weitergeführt wird und wenn dann auch noch die Forschungsinstitute in Luxemburg verstärkt erkennen, dass Kommunika-tionsmaßnahmen ein Teil der Arbeit des Forschers sind, dann werden wir eines Tages von einer echten wissenschaftlichen Kultur in Luxemburg sprechen können. Auf dem Weg dahin gilt das Wort Erich Kästners: Es gibt nichts Gutes außer: man tut es.

Die Autoren engagieren sich als Wissenschaftsmediatoren beim Fonds National de la Recherche in der Förderung der Wissenschaftskultur in der breiten Öffentlichkeit. Der FNR verfolgt dieses Ziel mit verschiedenen Aktivitäten, wie etwa dem Science-Festival, der Researcher’s Night oder Mister Science.
Jean-Paul Bertemes, Anne Schroeder II
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