Luxemburg hat als Fahrradland enormes Potenzial. Doch fehlendes Marketing bremst das aus

„Where are all the people?“

d'Lëtzebuerger Land du 02.08.2024

Entlang der idyllischen Mosel erkundet das holländische Radfahrerpaar Jack und Wouda auf dem Weg nach Verona die luxemburgische Landschaft, profitiert von der ruhigen Atmosphäre und der gut ausgebauten Fahrradinfrastruktur. Wie es den beiden bis jetzt gefällt? „Honestly… a little bit boring.“ Wie kommt’s? „There is nobody here! In the hotel this morning, there were only the two of us! Where are all the people? It’s summer, it’s holidays!“, meinen die beiden verdutzt.

Wie das Sprichwort so schön sagt: Von nichts kommt nichts. Wenn Touristen aus der Großregion und anderen Ländern nicht über Luxemburgs Fahrradkapazitäten und das 700 Kilometer lange, gut ausgebaute Radwegenetz informiert sind, ebenso wenig wie über Initiativen wie „Move We Carry“ oder „Rent a Bike“, dann ist es wenig verwunderlich, dass nur wenige Menschen diese Angebote nutzen. „Seit 20 Jahren bauen wir ein gutes Netzwerk auf, das eigentlich nie richtig vermarktet wurde“, sagt Monique Goldschmit, Präsidentin der ProVelo-Initiative, im Gespräch mit dem Land. Bei Hobbyfahrern gehört es nicht zum Allgemeinwissen, dass die EuroVelo 5, die im englischen Canterbury anfängt und im italienischen Brindisi endet, auch durch Luxemburg führt. Oder dass der Voie-Bleue-Radweg Luxemburg direkt mit Lyon verbindet. Im Ausland ist das Großherzogtum – und das zu Recht – für den Müllerthal-Wandertrail bekannt, dank gezielter Marketingstrategien und intensiver Werbung in den letzten Jahren. Zahlreiche Reiseagenturen in der Großregion, die Wanderungen organisieren, haben den Müllerthal-Trail fest in ihre Pläne integriert. Aber ausländische Agenturen, die Radreisen durch Luxemburg planen und bewerben? Fehlanzeige. Dabei haben wir einiges zu bieten: Vom kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, der die Mitnahme verschiedener Fahrräder, E-Bikes und BMX-Räder ermöglicht, bis hin zum Vëlosummer. „Man muss die vorhandenen Angebote entsprechend bekannt machen“, so Monique Goldschmit.

Entlang des nahezu menschenleeren Mosel-Radwegs trifft man auf eine Handvoll Fahrradtouristen aus der Region. René (71) lebt nur wenige Kilometer von Schengen entfernt in Frankreich und radelt regelmäßig im Großherzogtum entlang der Mosel. Auf die Frage, ob er am Vëlosummer 2024 teilnimmt, antwortete er überrascht: „Dans notre presse locale j’ai rien vu“, obwohl er sie regelmäßig verfolgt. Ob das daran liegt, dass Luxemburger Pressemitteilungen jenseits der Grenze nicht berücksichtigt werden, oder weil man davon ausgeht, dass die angrenzende Region sich schon irgendwie über den Vëlosummer informieren wird, bleibt unklar. Martine Kneip, Direktorin des Europäischen Museums in Schengen, erklärt dem Land, dass das Schengener Ponton sich bemühe, den Vëlosummer „proaktiv zu promoten, weil er nicht so bekannt ist“. Es sei „schade, wenn die Leute das nicht wissen“. Im Ponton wurden beispielsweise die Flyer vom Vëlosummer letzten Jahres noch Wochen nach der Veranstaltung liegen gelassen, damit Touristen sich im Nachhinein über den Vëlosummer informieren können. Eine kleine Geste, die sicherlich die Mundpropaganda ankurbeln kann. Doch allein das Auslegen von Flyern reicht nicht, um Aufmerksamkeit zu erzielen.

„Natürlich macht Luxemburg ein bisschen Werbung“, meint Monique Goldschmit. Aber was gemacht wird, genüge bei weitem nicht. Frage man im Tourismusministerium nach, würden Vorwürfe mangelnder Werbung für den Radtourismus wahrscheinlich zurückgewiesen und beteuert, dass man natürlich etwas für den Radtourismus im Land unternehme. Allerdings werde dieser stets im Rahmen von Aktivtourismus oder Businesstourismus vermarktet. Der Fahrradtourismus selbst aber nicht als „eng grouss Iwwerschrëft“, so Goldschmit.

Man könnte beispielsweise mit einer verbesserten Beschilderung der großen Fahrradrouten beginnen, die durch Luxemburg führen, wie etwa der EuroVelo 5. Während diese Route in Martelingen und Schengen, den Start- und Endpunkten, relativ gut ausgeschildert ist, fehlt es in der Hauptstadt an ausreichender Kennzeichnung. Es wäre jedoch entscheidend, Radtouristen bis nach Luxemburg-Stadt zu führen und sie dort gezielt auf die EuroVelo 5 hinzuweisen. Zusätzlich könnte das Luxembourg for Tourism Office (LFT) auf großen Radmessen präsent sein, um die Radwege Luxemburgs vorzustellen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Mit einem Netz von fast 700 Kilometern in unserem kleinen Land, das vier verschiedene geologische Regionen umfasst, findet man eine solche Vielfalt in so konzentrierter Form sonst nirgendwo.“ Genau das sollte man vermarkten. Gelänge es, Touristen aus Deutschland und Frankreich, die regelmäßig entlang der Mosel radeln, bis nach Luxemburg-Stadt zu bringen und sie dort zwei bis drei Nächte verweilen zu lassen, hätte das erhebliche wirtschaftliche Vorteile, meint die ProVëlo Präsidentin.

Das mangelnde Gespür für das Potenzial des Fahrradtourismus sei vor allem bei der diesjährigen Radreisemesse im Aèril in Bonn offensichtlich gewesen. Luxemburg war als Gastland vertreten, die politische Repräsentation jedoch ließ zu wünschen übrig: Kein Minister, kein Vertreter der Politik war vor Ort, lediglich ein paar Beamte. Besonders ins Auge stach ein Programm der Messe mit dem Titel „Luxemburg, das unbekannte Nachbarland“.

Die große Frage stellt sich natürlich: Warum wird nicht mehr gemacht? „Weil es auf der politischen Agenda nicht die oberste Priorität hat“, meint Goldschmit. In der vorherigen Regierung hatten DP-Tourismusminister Lex Delles zu Beginn seines Mandats mit großem Elan das „Veloland Lëtzebuerg“ angekündigt und den Eindruck erweckt, dass die Förderung des Fahrradtourismus in Luxemburg und Marketing oberste Priorität hätten. Doch mittlerweile? „Hört man gar nichts mehr darüber“. Stattdessen bleibe alles beim Business- oder Kongresstourismus hängen. (Auf Nachfrage im Tourismusministerium wird dem Land erklärt, dass es dieses „Veloland Lëtzebuerg“-Projekt nie gegeben habe.)

Ein kurzer Blick nach Ostbelgien genügt, um das wirtschaftliche Potenzial der Förderung des Fahrradtourismus zu erkennen. Vor etwa zwanzig Jahren, noch bevor der Bau des Vennbahn-Radwegs begann, war die Lage der örtlichen Hotels eher trostlos. Der Zugverkehr der Vennbahn war in den Achtzigerjahren definitiv stillgelegt worden. Die Entscheidung, die ehemalige Bahntrasse als touristisches Projekt massiv zu unterstützen, erwies sich als erfolgreich. Bereits drei bis vier Jahre vor der Fertigstellung des Vennbahn-Radwegs begann man mit umfassender Werbung. Marketing wurde zur Priorität, und parallel zum Bau der Strecke wurde intensiv geworben. Heute hat der Vennbahn-Radweg eine eigene Webseite, die verschiedene Reiseangebote, Informationen über die historische Bedeutung der Vennbahn, deren Finanzierung sowie einen Überblick über nützliche Services wie Shuttle-Services und Taxis bietet – alles an einer Stelle, ohne dass man die Informationen mühsam einzeln suchen muss. Die positiven Auswirkingen haben sich auf ganz Ostbelgien ausgewirkt, das sich zu einem Hotspot für Rad- und Wandertourismus entwickelt hat. Zahlreiche neue Infrastrukturen entstanden, darunter familienfreundliche Hotels und kleine Bed & Breakfasts, die in der Saison gut ausgelastet sind. Die aufkommende Dynamik belebte auch kleine Cafés und Res-
taurants entlang der Strecke, die sowohl Einheimische als auch Touristen anziehen. Ähnlich könnte Luxemburg von gut vermarkteten Radwegen profitieren – insbesondere durch die gezielte Förderung und den Ausbau verschiedener Initiativen und Konzepte. Zwar gibt es bereits einige gute Beispiele wie die Eco-Lodges in Useldingen und das Bed & Breakfast in Niederanven entlang der EuroVelo 5. Eine umfassende Promotion und gezielte Vermarktung könnten dazu beitragen, dass mehr solcher Angebote, sowie auch Cafés und Restaurants entlang der Radwege entstehen und zeitgleich die touristische Attraktivität Luxemburgs für Radreisende weiter wächst.

Um mit den Nachbarländern Schritt zu halten, Marketingstrategien und Fördermaßnahmen entwickeln zu können, fehlt es allerdings an Daten und Zahlen zum Fahrradtourismus und seinem wirtschaftlichen Potenzial. Daten des Statec liefern dazu kaum Informationen. Besonders wichtig wären Statistiken darüber, wie viele Fahrradtouristen in Bed & Breakfasts oder Hotels übernachten. „Momentan unterscheiden wir nicht zwischen Wandertouristen und Fahrradtouristen“, erklärt die asbl Auberge des Jeunesse du Luxembourg dem Land. In Deutschland hingegen werden seit 1999 nahezu jährlich umfassende Analysen zum Radreiseverhalten der Bevölkerung durchgeführt. Diese Erhebungen bieten wertvolle Einblicke in die Zielgruppe der Radreisenden, um deren Verhalten und Bedürfnisse besser zu verstehen und darauf basierend geeignete Maßnahmen abzuleiten. Es wäre auch für Luxemburg entscheidend, das Verhalten von Radreisenden zu untersuchen. Der Mangel an statistischem Interesse erschwert die Entwicklung politischer Initiativen zur Förderung des Radtourismus in einem Land, das eigentlich viel zu bieten hat und über eine vielfältige und gut ausgebaute Fahrrad-Infrastruktur verfügt.

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Ema Mehic
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