Dieses Wochenende ist erster Advent. Aber die besinnliche Weihnachtsstimmung will sich nicht so richtig einstellen. Das liegt mitnichten daran, dass sich die Verwaltung der Hauptstadt nicht bemühen würde. An jeder Straßenecke wartet sie mit einer anderen Beleuchtung auf. Sogar die Kräne auf vielen Baustellen sind inzwischen dekoriert und blinken dermaßen hektisch, dass Epileptikern von einem Ausflug in die Stadt abzuraten ist. Dort werden inzwischen außerdem so viele Weihnachtsmärkte organisiert, dass die Stadtverwaltung eigens einen Stadtplan mit den verschiedenen Standorten aushängen lässt. Den Markt auf der Place d’Armes kennen die meisten. Dort reicht das Angebot von Tand und Klimbim, wie er ansonsten auf Touristenmärkten an der Costa Brava zu finden ist, bis zu fett- und zuckerhaltigen Speisen und Getränke, deren Anblick ausreicht, um spontan einen kardiovaskulären Vorfall und Typ-2-Diabetis auszulösen. Auf dem Podium mühen sich ein paar Musiker ab, denen meist niemand zuhört, die dennoch in einem gewissen Sinne auf das Weihnachtsfest einstimmen. Denn mittels schierer Lautstärke verleihen sie jedem Gespräch unter Besuchern den Charakter eines handfesten Streits, wie er in der stillen, heiligen Nacht sogar in den besten Familien vorkommen soll.
Auf dem Weihnachtsmarkt auf der Place de la Constitution wurde das Angebot von der Place d’Armes um grell leuchtende Fahrgestelle erweitert, weshalb die Stimmung in etwa so besinnlich ist, wie bei den Knuppautos auf der Schobermesse. Auf der Place Guillaume wiederum leistet die Stadtverwaltung seit Jahren einen ganz besonderen Beitrag zum Winter-Feeling. Sie kühlt dort während Wochen mehrere tausend Liter Wasser zu einer Schlittschuhpiste, steigert so ihren Energiekonsum und trägt dazu bei, dass die Temperaturen auch im Dezember nicht allzu frostig werden und die Chancen auf richtige Wintergefühle, wie sie eine weiße Weihnacht wecken würde, dahinschmelzen wie die Polkappen.
Neu dieses Jahr ist der überdeckte Weihnachtsmarkt an der Place du Théâtre, dessen Besuch allerdings nur ausgesprochenen Frohnaturen zu empfehlen ist, die gegen Winterdepressionen immun sind. Weder die beiden Bars, noch die Handvoll Stände, an denen selbstgemachte Geschenke und Pashminas angeboten werden, waren beim Testbesuch nach Feierabend besetzt, die lieblos abgestellten Biergarnituren und drei Dutzend Weihnachtsbäume an Tristesse kaum zu überbieten. So dass der neue überdeckte Markt eigentlich nur als Suizidpräventionsmaßnahme zu verstehen sein kann, als vorsorglicher Warnhinweis der Stadtverwaltung an Ältere und Alleinstehende, die Feiertage nicht einsam und allein zu verbringen.
Angesichts der Dauerbeschallung und aggressiven Geruchs- und Lichtbelästigung, die von diesen „Weihnachtsmärkten“ ausgeht, ist es umso bedauerlicher, dass die einzig wirklich schöne, erhebende und dazu noch kostenlose Weihnachtsattraktion der Hauptstadt dieses Jahr abgesagt ist. In den Vorjahren reichte eine abendliche Bus- oder Autofahrt vom Pont Adolphe bis zum Bahnhof, um die Winterlaune zu heben. Die wunderbar schlichte, warme und ganz und gar feierliche Beleuchtung der Baumallee vor den Prachtfassaden in der Avenue de Liberté, die dann an den Fensterscheiben vorbeizog, fällt dieses Jahr aus. Vor einigen Wochen fiel besagte Baumallee einem Kettensägenmassaker zum Opfer. Das Leben ist eine laute, dauerstauverursachende Trambaustelle. ms