Euro-Krise

Volksbefragung

d'Lëtzebuerger Land du 04.11.2011

„Eine Nachricht, auf die ich gerne verzichtet hätte“, nannte der Premier und Sprecher der Euro-Finanzminister Jean-Claude Juncker gegenüber RTL entnervt die Ankündigung seines griechischen Amtskollegen Georgios Papandreou, eine Volksbefragung über den Beschluss des Euro-Gipfels von vergangener Woche zu organisieren. Der sozialistische Politiker Papandreou hatte nicht mehr viele Freunde. Aber nach seiner Rede vor griechischen Abgeordneten am Montag und der Kabinettsitzung am Dienstag dürfte er noch einen ansehnlichen Teil der verbliebenen verloren haben. Denn er hat zum Leidwesen der Investoren nicht nur neue Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Schuldenkrise in Europa verursacht, sondern zum Leidwesen der Politiker den Kampf um die griechische Staatsschuld und damit auch um die europäischen Finanzen zurück auf das Terrain der Politik verlagert.

Dass Papandreous Ankündigung an Allerheiligen gleich zu weltweiten Kurseinbrüchen führte, ist nicht verwunderlich. Denn viele Investoren fragen sich, was geschieht, wenn eine Mehrheit der griechischen Wähler die gemeinsame Währung oder den Beschluss des Euro-Gipfels ablehnen würde? Zahlt Griechenland dann, statt der Hälfte, wie gerade abgemacht, seine Staatsschuld gar nicht mehr zurück? Das träfe viele euro[-]päische Banken, Versicherungen und Investmentfonds, die griechische Obligationen gekauft haben, auch in Luxemburg.

Man kann Papandreou sicher viele populistische und demagogische Hintergedanken vorwerfen, und es ist nicht abzusehen, was aus der Übergangsregierung und dem Referendum wird, so politisch unbeherrschbar ist die Schuldenkrise inzwischen geworden. Aber seine Ankündigung war doch aus gleich zweierlei Gründen lehrreich. So herrschte überraschenderweise lange die Überzeugung vor, dass Staatsschuld die sicherste Schuld sei. Dabei müsste seit Jahrhunderten bekannt sein, dass es im Grunde die unsicherste Schuld ist, weil die Gläubiger am wenigsten Mittel haben, um sie einzutreiben, und weil der Souverän als Gesetzgeber sich mit Gesetzen über die oft als Naturgesetze dargestellten ökonomischen Regeln hinwegsetzen kann. Selbst die eher seltenen Militärexpeditio[-]nen, um einen Staat mit Waffengewalt zur Zahlung seiner Schulden zu zwingen, wie vor 150 Jahren in Mexiko, führten zu vielfältigen Konsequenzen, aber fast nie zur Begleichung der Schuld. Im Vergleich dazu ist die Kanonenbootpolitik gegenüber Griechenland erst am Anfang. Aber selbst die bloße Ankündigung einer Volksbefragung könnte das Bewusstsein für die Unsicherheit von Staatsschulden schärfen.

Besonders verübelt wird Papandreou nämlich von seinesgleichen, dass er aus allerlei edlen und vielleicht auch weniger edlen Beweggründen den Umgang mit der Schuldenkrise zu einer politischen Frage macht. Denn selbst das wenig demokratische Euro-Directoire „Merkozy“ kann sich nicht aus Cannes öffentlich gegen Demokratie aussprechen. Um so mehr als ein Referendum zum letzten Mittel werden könnte, um im Rahmen der parlamentarischen Institutionen den sozialen Aufstand gegen die verheerende „interne Abwertung“ zu kanalisieren und diese zu legitimieren. Schließlich hat Griechenland eine politische Tradition, die weniger von der Sozial[-]partnerschaft als vom bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung und von der Militärdiktatur geprägt ist. Alleine die Idee eines Referendums, selbst wenn es abgesagt würde, schafft den beruhigenden Beweis oder die gefährliche Illu[-]sion, dass der Befragung der Märkte eine Volksbefragung, Demokratie den Sachzwängen gegenübergestellt werden kann, und könnte in Irland, Portugal, Italien oder Spanien ansteckend wirken.

Romain Hilgert
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