Theater

Eichmann in Luxemburg

d'Lëtzebuerger Land du 28.01.2022

Eichmann erzählt die fiktive Erinnerung eines Menschen, der behauptet sich nicht an seine Gräueltaten erinnern zu können. Das Theaterstück von Serge Wolfperger und Gilles Guelblum (eine Produktion des Théâtre national du Luxembourg) erzählt die letzten Lebensstunden vom SS-Obersturmbannführer und einem der „Architekten“ der Endlösung, Adolf Eichmann. In seiner Zelle in Jerusalem, wartet der in 15 Punkten für seine Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen das jüdische Volk und die Menschen Angeklagte auf seinen Schauprozess, der mehrheitlich auf hebräisch mit deutscher Übersetzung abgehalten wird. Auch das Theaterstück alterniert zwischen zwei Sprachen: Deutsch und Französisch. Mittels dieser zweisprachigen Fiktion schaffen die Autoren, angelehnt an historische Ereignisse, eine Erinnerung für einen Menschen, der bei seinen Befragungen oft behauptete, er könne sich nicht mehr erinnern, ihm fehle die Inspiration oder er wisse nicht wo er anfangen sollte. Eine Erinnerung die die verschiedenen Stationen seiner Karriere durchläuft und ihn uns als Menschen offenbart. Einen Menschen, der für immer den Begriff der „Banalität des Bösen“ prägen sollte. Die Geschichte tritt in den Saal und durchbricht dabei nicht bloß die dritte Wand, sondern scheinbar auch Zeit und Raum. Es ist ein Stück, das den Zuschauer direkt anspricht und ermahnt, nicht denselben Fehler zu begehen wie der Protagonist, nicht wegzuschauen.

Hannah Arendt wurde vom New Yorker zur Berichterstattung über den Prozess nach Jerusalem geschickt. Im Jahre 1963 erschien ihr kritisches Werk Eichmann in Jerusalem. Beim Eintritt in den Saal, begegnet der Zuschauer ihr als allererstes. Sie sitzt am Klavier, auf dem ein Tablett mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern steht. Sie ist es, die gemeinsam mit den Zuschauern, Journalisten, Überlebenden, Schriftstellern und Neugierigen das Geschehen beobachten wird. Mal raucht sie still, mal kommentiert sie. Sie stellt Fragen an den Zuschauer und an Adolf Eichmann: Fragen nach der Reflektionsfähigkeit und Urteilsfähigkeit des Menschen, nach Schuld, nach Gut und Böse. Das Gericht wird am 11. April 1961 eröffnet.

Eichmann sitzt in seiner Zelle, auf sein Urteil wartend, ein „Bekenntnis“ schreibend, das ihn vor seinen Kindern und Nachkommen in ein besseres, oder wie er wohl sagen würde, wahres Licht rücken sollte. Er erinnert sich: am 12. November 1938 wurden in Wien die Maßnahmen zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben verkündet. Sie beinhalteten den Verbot der Frisör-, Kino- und Theaterbesuche, des Autofahrens, Unterrichts, des Zugangs zu Bibliotheken, kulturellen Veranstaltungen und Ausstellungen. Es folgten die jüdische Verfolgung und Erniedrigung, ihre Deportation und das Niederbrennen der Synagogen. Auch erinnert er sich an die Gespräche mit dem ehemaligen Nazi-Journalisten Willem Sassen in Buenos Aires. Interviews, die offenbarten, dass er seine Mission, 10,3 Millionen Juden umzubringen als nicht erfüllt sähe, und es bereute, sie nicht erfüllt zu haben. Doch er schaute weg, als er den von Leichen überlaufenden Graben bei Minsk oder den 180 Meter langen Graben bei Auschwitz sah. Der Grynzspan-Prozess, der Besuch in Theresienstadt, die Diskussionen über die Endlösung beim Frühsport mit Rudolf Höss und allen voraus die Wannseekonferenz sind weitere wichtige Erinnerungspunkte. Bei der Wannseekonferenz, bei der Eichmann Protokoll führte, wurde kaltblütig und bürokratisch, die Ermordung von 11 Millionen europäischer Juden beschlossen und bis ins Detail geplant.

„Im Sinne der Anklage nicht schuldig“, ist die endgültige Antwort Eichmanns auf die Frage nach seiner Schuld. Seine einzige Schuld empfand er in seinem Gehorsam. Er habe Deportations- und Exekutionsbefehle empfangen und weitergeleitet, nicht mehr und nicht weniger. Er war ein Jedermann, mit Frau, Kindern und Liebhaberin. Er mochte Schweinebraten und wollte tief in seinem Herzen den Frieden. Er hatte durchaus Emotionen, er war kein Psychopath, vielleicht auch kein Monster und doch, auch wenn er selbst nie einen Einzelnen umbringen musste, sind durch seine Mittätigkeit 6 Millionen Menschen gestorben, und die Gnade um die er betete sollte ihm nicht erteilt werden. Am 1. Juni 1962 wurde Eichmann gehängt. Es blieb das erste und letzte Mal, dass in Isarel die Todesstrafe angewandt wurde.

Das Bühnenbild von Christian Klein, zitiert durch harte Metallbalken und mittels eines dramatischen Lichteinfalls die Situation hinter Gittern und den Dialog zwischen Gut und Böse. Untermalt durch gekonnt eingesetzte Musikgestaltung von Yann Priest, verkörpern Marc Baum, Konstantin Rommelfangen und Timo Wagner durch ihre hervorragende Darstellung das Böse, ohne es zu pauschalisieren. Ergreifend gut spielt dieses abwechslungsreiche Stück mit humoristischen und überspitzten Elementen, wie einem Göring in einem Spielzeugauto, und dem bitteren Ernst, der die Aktualität, ja die Dringlichkeit der Thematik sichtbar macht. Denn es sind noch keine 100 Jahre seit den Gräueltaten vergangen, die das vereinte Europa nicht vergessen kann und niemals vergessen sollte.

Anastasia Chaguidouline
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