In Almaty sind es etwa 25 Grad, der Himmel ist bewölkt. Es dauert vor zweieinhalb Wochen bis in die zweite Halbzeit hinein, bis die weibliche Nationalmannschaft Luxemburgs dort zeigen kann, was sie draufhat. Dan Santos wechselt Amal Cherkane gegen Vera Villegas ein. In der 51. Minute gelingt dann der Kapitänin Laura Miller der Ausgleich gegen Kasachstan. Acht Minuten später schießt Kimberley dos Santos das 2:1. In der Nachspielzeit verhilft Anna Miny den Löwinnen mit einem dritten Tor zu ihrem haushohen Sieg. Es sitzen circa 100 Menschen im knapp 24 000-Plätze-Stadion in der kasachischen Hauptstadt, als die Rout Léiwinnen ihren Aufstieg in die Liga B der Nations League vollziehen. Ein historischer Moment für den luxemburgischen Frauenfußball. Die hiesige Presse widmet diesem Erfolg keine einzige Zeile. Als die Spielerinnen am Findel ankommen, ist niemand von offizieller Seite da, um sie zu beglückwünschen. Zu beschäftigt ist der luxemburgische Fußballbusiness scheinbar mit Überlegungen, ob vom Gericht verurteilte Gewalt gegen Frauen ein Ausschlusskriterium sein sollte, wenn es darum geht, Nationalspieler auszuwählen, um das Land zu repräsentieren. Man sei zu diesem Zeitpunkt überfordert gewesen, heißt es aus der FLF.
Dass die Löwinnen die Nase etwas voll haben, ist demnach verständlich. Seit letzter Woche stehen sie nun im Fokus – nicht etwa wegen ihres Spiels, sondern wegen einer Nachricht, die Kapitänin Laura Miller nach dem Spiel an die Verantwortliche der Damenfußballkommission und FLF-Verwaltungsratsmitglied, Carine Nardecchia, verschickte: „[Der Sieg war] ein historischer Moment. Und er wurde ganz einfach ignoriert. Das zeigt einen Mangel an Anerkennung und einen Mangel an Respekt gegenüber den Spielerinnen und dem Staff, die an dieses Team glauben. (…) Es hätte ein Moment des Stolzes sein können. Doch wir fühlen uns im Stich gelassen, vergessen.“ Mehrmals wurde im Nachhinein wiederholt, dass es sich hierbei nicht um einen offenen Brief gehandelt habe. Die FLF wolle all das intern klären. Ein weiteres Problem kann der Verband gerade nicht gebrauchen.
Die Spielerinnen halten sich generell mit lautstarken Forderungen in der Öffentlichkeit zurück. Zu dankbar sind sie dafür, dass die FLF und insbesondere ihr Trainer Dan Santos seit 2020 Strukturen geschaffen haben, die den Damenfußball professionalisiert und ans Ausland angepasst haben. Auch Dan Santos musste überzeugt werden, diese Rolle zu übernehmen. FLF-Präsident Paul Philipp fragte ihn drei Mal, ob er Interesse habe, die Frauen zu trainieren, bis er zustimmte. „Ech hu geduecht: Dat ka richteg gäil ginn, wann ech dat opbauen“, sagt er im Gespräch mit dem Land. Heute gibt es mehrere Jungkategorien, in denen circa 180 Spielerinnen aktiv sind. Drei von ihnen verdienen ihr Geld derzeit ausschließlich mit dem Sport. Santos wagte den großen Schritt, die weibliche Nationalelf 2021 zur WM-Qualifikation zu schicken. Sie bekam die Chance, mit den ganz Großen den Rasen zu teilen. Einfach war es nicht: In Stoke wurde sie von den Engländerinnen 10:0 überrollt, auch gegen Nordirland verlor sie 4:0. Doch die Sportlerinnen forderten sich heraus, lernten, verbesserten sich.
In einem klimatisierten Raum in der FLF in Monnerich sitzen die Nationalspielerinnen Edina Kocan, Leticia Mateus, Catarina Lavinas und Kimberley dos Santos. Der Pressesprecher Marc Diederich ist ebenso anwesend, die Stimmung ist etwas angespannt. Catarina Lavinas und Kimberley dos Santos leben als Elitesportlerinnen vom Fußball, sie sind Sportsoldatinnen für die Armee. Edina Kocan studiert an der Uni, um Grundschullehrerin zu werden, Leticia Mateus schließt das Lycée ab und will an die Polizeischule. Der Al-
tersdurchschnitt der Nationalelf liegt bei 21 Jahren, viele studieren, etwa Psychologie, Sport oder Sportmanagement. Weshalb haben die vier Frauen angefangen, Fußball zu spielen? Allesamt, weil ihre großen Brüder das Gleiche taten. Weil sie aus Familien stammen, die Fußball lieben, weil man die Spiele im Fernsehen verfolgte und davon träumte, den gleichen Ruhm zu erfahren. „Es liegt im Blut“, sagt Kimberley dos Santos. „Es war toll, genauso gut oder sogar besser als die Jungs zu sein“, erklärt Catarina Lavinas. Es ist ihre Leidenschaft.
Dass viel weniger Interesse daran besteht, wenn Frauen das Runde in das Eckige schießen, als wenn Männer es tun, ist nichts Neues. Während die Rout Léiwen das Stadion monatelang im Voraus ausbuchen, blieb das Stade de Luxembourg 2021 mit 1 200 Menschen – auch aufgrund der Corona-Pandemie – bei einem Qualifikationsspiel der Frauenmannschaft gegen Österreich relativ leer. Bisher spielten die Sportlerinnen erst zwei Mal dort. Sie nennen es eine „Ehre“, es sei „cool“ und „interessant“, wenn ein Gegner wie Portugal oder Belgien eingeladen werden könnte. Dann könne das Stadion sich stärker füllen, denn die Erfahrung gehe etwas unter, wenn es zu leer sei. Ein großes Stadion habe eine ganz andere Atmosphäre, sagen sie. Doch viele Menschen wüssten noch nicht einmal, dass die Rout Léiwinnen aufgestiegen sind. Plötzlich hört man eine gewisse Resignation aus den Fußballerinnen. Sie wüssten nicht, was man noch tun könne, was sich noch ändern müsse. Sie klingen seltsam gebremst. Als würden sie in Richtung Tor laufen und plötzlich zögern.
Wenn die Löwinnen in Beggen oder in Esch/Alzette am Ball sind, kommen zwischen 900 und 1 100 Menschen. Allerdings werden die Spiele nicht vermarktet, es gibt kaum Berichterstattung. Der Télécran nannte es 2022 eine „flächendeckende Teilnahmslosigkeit“. Die heutige grüne Europaabgeordnete Tilly Metz wunderte sich bereits 2005 im Jeudi, warum 5:2 Gewinne mit keinem Wort in den Medien erwähnt werden; die ehemalige linke Abgeordnete Myriam Cecchetti nannte den Frauenfußball 2011 im Journal das „Stiefkind“ der Presse.
Der Dokumentarfilm Um Ball der Journalistin Tessy Troes zeigt die Entwicklung des Frauenfußballs im Großherzogtum. In den 70er-Jahren begann sie beim FC Atert Bissen, später stieg der FC Progrès Niederkorn auf. Der Film zeigt auch, dass die Probleme insgesamt die gleichen geblieben sind. Kaum Berichterstattung, wenig gesamtgesellschaftliche Beachtung noch Förderung der FLF. „Die FLF hat nie eine Vorreiterrolle gespielt“, sagt Tessy Troes. Erst in den letzten Jahren, als kein Weg mehr daran vorbeiführte, rang man sich durch, die Frauen besser aufzustellen. Meist seien es fadenscheinige Entschuldigungen, die genutzt würden, um den Mangel an Sichtbarkeit zu rechtfertigen.
„Es fühlt sich so an, als würden wir das Doppelte machen und trotzdem nur halb soviel kriegen als die Männer“, sagt Kapitänin Laura Miller im Gespräch mit dem Land. Dabei gebe es Luft nach oben, was die Vermarktung angeht. Marketingvideos von zwei Spielerinnen wurden etwa erst am Tag vor dem Spiel online gesetzt, statt die Werbetrommel schon Wochen vorher gründlich zu rühren.
Während der Männerfußball sich in den 70er-Jahren stark professionalisierte, fingen die Damen zu diesem Zeitpunkt in vielen Ländern erst an, sich auf den Rasen zu trauen. Die globale Fußballindustrie wird dieses Jahr laut Statista auf
33,13 Milliarden Euro geschätzt. Der Frauenfußball ist ein kleines Stück des Kuchens. Die Uefa plant bis 2030 eine Milliarde Euro in seine Entwicklung zu stecken und Europa zur „Heimat der weltbesten Spielerinnen zu machen“. Im Nachbarland Deutschland haben sich die Zuschauerzahlen für Frauenspiele im letzten Jahr verdreifacht. Frauenfußball sei eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit und auch in Deutschland, schrieb die Zeit kürzlich. Er „spricht eine neue Zielgruppe an, die wesentlich weiblicher und auch jünger ist“.
Die hiesige Fußballwelt wurde in den letzten Wochen von der Affäre Gerson Rodrigues überschattet, der zwei Mal wegen häuslicher Gewalt und Körperverletzung zu 18 Monaten Bewährungsstrafe verurteilt wurde und dennoch weiter für die Nationalelf kicken darf. Solidarität mit Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, findet man bei den Spielerinnen jedoch wenig. Kimberley dos Santos und Catarina Lavinas finden, es sei nicht an der Gesellschaft, ein weiteres Mal zu richten. Wenn ein Lehrer gewalttätig werde, dürfe er dann nicht mehr unterrichten?, fragt Catarina Lavinas. „Er ist nicht der einzige, der seine Frau schlägt“, wagt sich Kimberley dos Santos vor. „Niemand hat die andere Seite dazu gehört.“ Die Diskussion über die Vorbildfunktion von Profisportlern verläuft im Sand. Statt eine klare Anprangerung gibt es auch von Seiten des Pressesprechers Relativierungen und Fragestellungen, die die Verantwortung der FLF auf andere abwälzen. Edina Kocan und Leticia Mateus wollen sich dazu nicht äußern, Kapitänin Laura Miller findet seine Auswahl hingegen nicht in Ordnung.
Die erste luxemburgische Frauenliga wird vom FC Racing dominiert. Die besten Spielerinnen sind dort engagiert, was dazu führt, dass der Verein seit Jahren jedes Spiel gewinnt und die Liga sich kaum verbessert. Diese Woche warf der Trainer des Damenteams Swift Hesper, Philippe Ciancanelli, das Handtuch, was zu einer weiteren Verstärkung des Racing führen dürfte. Dem Quotidien sagte Ciancanelli, die Frauen würden weiter hinter den Männern bleiben, weil nicht genug für sie getan werde.
Die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern ist im Fußball besonders groß. Weltweit haben neun Verbände (Australien, Norwegen, Brasilien, Wales, Nordirland, Spanien, USA, England, Neuseeland) Verträge über Gehaltsparität unterschrieben. In Luxemburg hat allein der SC Ell Parität bei den Boni für die Spieler und Spielerinnen hergestellt. Die grüne Abgeordnete Joëlle Welfring erkundigt sich derzeit bei Sportminister Georges Mischo (CSV), ob Gleichberechtigung im Sport von den Verbänden garantiert werden muss und ob Mischo sich nicht mit der FLF zusammensetzen wolle, damit die Frauenmannschaft auch im Stadion spielen kann.
Statt Geld geht es im Damenfußball um Leidenschaft, um Engagement und Einsatz. Die vielen Stunden, die Trainer Dan Santos neben seiner Festanstellung auf dem Platz verbringt, sind bezahlt, davon leben lässt es sich jedoch nicht. Erst seit zwei Jahren werden den Sportlerinnen Boni ausgezahlt. Nach dem Aufstieg sollen sie nun verdoppelt werden. Ein von der FLF gerne vorgebrachtes Argument besteht darin, dass der Männerfußball den Damensport eben mitfinanziert – „selbstverständlich“ sei das, sagt Marc Diederich. 1,2 Millionen Euro investierte die FLF in die Spielerinnenauswahl im Damenfußball. Wieviel in die Herrenauswahl, könne man nicht auf diese Weise herausarbeiten, sagt die FLF.
Wenn es um Geldfragen geht, herrscht vereinbarte Intransparenz. Fragt man die Spielerinnen, wieviel Boni sie bekommen, wehren sie ab. „Wir wissen ja auch nicht, wieviel die Männer bekommen“, entgegnet Kimberley dos Santos. Das gehe niemanden etwas an. „Ich lasse meine Mutter meine Banksachen regeln“, sagt Catarina Lavinas. Auf Wunsch der Spielerinnen würde man diese Zahlen nicht offiziell kommunizieren, erklärt Carine Nardecchia, einzige Frau neben zehn Männern im Verwaltungsrat der FLF. In einem Interview mit dem Wort sagte sie 2023: „Es hieß bei der Veranstaltung immer wieder, dass mehr gekämpft werden müsse. Ich sage lieber, dass wir uns für den Frauenfußball einsetzen müssen.“ Auf diese Wortwahl angesprochen, sagt sie im Gespräch mit dem Land: „Wer kämpft, der geht in eine Konfrontation. Wenn man etwas will, muss man darlegen, was man will. Mit der Brechstange gehe ich nicht vor. Viele kleine Schritte machen auch ein Haus.“
Hinter vorgehaltener Hand erklärt eine Person, die der FLF nah steht, es handle sich bei den Männer- und Frauenboni um Unterschiede, die im zehnfachen Bereich liegen. Hütet sich, wer es sich mit den Männern, die das Sagen haben, nicht verscherzen will. Oder kann. Denn lehnt sich eine Sportlerin zu weit aus dem Fenster, könnte es sie eventuell bei den nächsten Verhandlungen, die mit den gleichen Leuten stattfinden, Geld kosten. Oder die weitere Karriere. Die FLF hält die Zügel kurz.