Die Parteikongresse von LSAP und Grünen boten Einblicke in die Befindlichkeiten der Regierung. Schade, dass die DP nicht ebenfalls tagte

Die Worte der Vizepremierminister

d'Lëtzebuerger Land du 26.03.2021

Wenn Parteikongresse wegen der Corona-Seuche virtuell stattfinden müssen, beschränken sie sich auf das Nötigste: Diskussionen fallen aus, die Wahlen zu Parteigremien können per Brief erfolgen, die Eckdaten des Kassenberichts lassen sich bequem in den Live-Stream einbinden.

Aber die Übertragung per Internet schränkt nicht nur ein, sie bietet auch Chancen zur Inszenierung. Die wussten die beiden Regierungsparteien LSAP und Grüne am vergangenen Wochenende zu nutzen. Die Pandemie-Lage war dabei ein dramaturgisches Element: Die Sozialisten ließen sie schlimmer aussehen, als sie ist. Die Grünen taten so, als sei alles fast vorbei. LSAP-Generalsekretär Tom Jungen eröffnete am Sonntag den Parteikongress im halbdunklen Saal des Zolwer Kulturzentrums Artikuss mit leeren Stuhlreihen im Rücken. Als er mit ernster Stimme erklärte: „Wir sind alle getestet!“, wollte das gar nicht passen, denn wo waren alle? Dagegen hatte am Tag zuvor das grüne Führungsduo Djuna Bernard und Meris Sehovic in einem lichten Limpertsberger Tramsschapp gestanden, vor ihnen ein Arrangement aus knallbunten Sesseln. Falls jemand nicht zugeschaltet sei, sagte Bernard munter, dann bestimmt, weil er oder sie am Grouss Botz in der Gemeinde teilnehme. Was irgendwie nach Frühling klang und nach kleiner Freiheit.

Zum Höhepunkt beim LSAP-Kongress sollte die politische Ansprache von Vizepremier und Arbeitsminister Dan Kersch werden, doch wer genau hinschaute, konnte schon vorher eine Ahnung davon bekommen, was die Partei offenbar nicht anstrebt: Sich einer Politik verdächtig zu machen, die in erster Linie Menschen aus der Mittelschicht anspricht, die auch ökologisch bewegt sind und sich vor allem eine post-materialistische Einstellung leisten. In ihre Richtung hatte vor zwei Jahren der damalige Parteipräsident Franz Fayot einen Testballon gestartet und in einem Zeitungsartikel verlangt, „SUV und andere Dreckschleudern“ müssten „viel höher besteuert werden“. Dagegen hatten die Dramaturgen des Parteitagsfilms vom Wochenende sich einfallen lassen, den Militanten Vito Pastore gelegentlich in das Geschehen in Zolwer hineinzuschneiden. Seit vielen Jahren hält Pastore auf jedem LSAP-Kongress eine kurze Rede. Am Sonntag sah man ihn zunächst daheim vor seinem PC an der Internet-Verbindung verzweifeln, später in einem geräumigen Geländewagen zum Ort des Geschehens aufbrechen. Dort kurz vor Kongressende endlich angekommen, erklärte der Militant mit italienischen Wurzeln, „im Geiste von Enrico Berlinguer“ zu stehen – dem Generalsekretär der italienischen Kommunisten, der in den Siebzigerjahren den Compromesso storico einging, mit bürgerlichen Parteien zusammenzuarbeiten, um die Industrialisierung Süditaliens zu fördern.

Dass all dies gedacht war, um den Rahmen für die Rede von Dan Kersch zu liefern, lässt sich vermuten: Die Forderung des heimlichen starken Mannes der LSAP nach „einer selektiven Coronasteuer für Krisengewinner“ beschäftigte erwartungsgemäß in den Tagen danach die Medien, veranlasste die DP-Präsidentin zu einem „kommt nicht in Frage“ und manövrierte das Unternehmerlager in die peinliche Situation, dass der Präsident seines Dachverbands UEL, Michel Reckinger, der aus der Handwerkerföderation kommt, sich vorstellen konnte, über die Idee zu diskutieren, ehe UEL-Direktor Jean-Paul Olinger das am Tag danach wieder dementieren musste. Mindestens ebenso stark aber zielte Kerschs Vorstoß auch in die Partei selbst, die seit drei Jahrzenten nach ihrer Bestimmung sucht. Zumindest Kersch will sie weiter nach links bugsieren, auch näher zum OGBL, ehe der womöglich auf den Gedanken kommt, sich den Linken zuzuwenden. Da darf für rechtschaffen Arbeitende auch der Besitz eines SUV nicht zu verwerfen sein.

Doch für die LSAP schien Dan Kerschs Vorstoß vom Sonntag nicht die darauffolgende Woche zu überdauern: „Mehr Steuern auf Kapital und Ressourcen, dagegen Entlastung der Arbeit“, hatte er in Zolwer verlangt. Wenngleich der finanzielle Spielraum nicht da sei für die im Koalitionsvertrag der Regierung versprochene Steuerreform, könne man immerhin für mehr Gerechtigkeit sorgen. Zwei Tage später gab Parteipräsident Yves Cruchten sich im RTL-Interview alle Mühe, Kerschs Position zu relativieren, ohne ihn zu beschädigen: Für eine Steuer „während der Krise“ sei die LSAP natürlich nicht, sondern erst, „wenn das Wachstum zurück“ sei. Die Sozialisten hätten „vor den nächsten Wahlen Klartext gesprochen“. Die anderen Parteien könnten sich nun nicht länger „verstecken“.

So konnte man Dan Kersch am Sonntag auch verstehen: Als ein Vizepremier einer Regierung, der für sich und seine Partei in der aktuellen Koalition nichts mehr gewinnen zu können meint und in der Mitte einer Legislaturperiode schon zum nächsten Wahlkampf rüstet. Eigentlich ist das erstaunlich: In der letzten Sonndesfro vom Dezember 2020 war die LSAP im Aufwind, es wurde ihr der Gewinn eines zusätzlichen Parlamentssitzes in Aussicht gestellt und Gesundheitsministerin Paulette Lenert zur beliebtesten Politikerin gekürt. Heute scheint Kersch nicht zuletzt daran zu liegen, die LSAP von den Grünen abzugrenzen: Nur ihr sei es zu verdanken, dass die CO2-Steuer für Bezieher kleiner Einkommen sozial kompensiert wurde. Was nicht stimmt: Kersch und Fraktionschef Georges Engel wollten sie für sämtliche Einkommensgruppen ausgleichen, was der Steuer ihren Sinn genommen hätte. Für die LSAP seien „abgesagte“ Industrieprojekte „verpasste Chancen“, erklärte Kersch in Anspielung auf die Fage-Fabrik. Wenn diese Aussagen strategisch gemeint sind, dann folgt daraus freilich nicht nur, dass auf diesen Politikfeldern große Zukunftsfragen entschieden werden. Es könnte auch heißen, dass die LSAP innerhalb von Koalition und Regierung Obstruktion betreiben wird. Dass Kersch mit dem Bruch der Koalition gedroht hat, kam schon vor.

„Lockdown ist Mittelalter!“

Die Grünen hatten am Samstag dennoch andere Sorgen. Die Partei, die bei den Wahlen 2018 mit einem Zugewinn von drei Sitzen „Gambia II“ möglich gemacht hatte und ein Jahr später noch weiter im Aufschwung schien, muss seit dem Corona-Ausbruch erleben, ihre gewohnten politischen Themen schwerer vertreten zu können. Strategisch aber zielen die Grünen in die ominöse „Mitte“, wollen eine liberale Volkspartei werden – ähnlich wie die Kolleg/innen in Deutschland.

Und so unternahm der Limpertsberger Digital-Parteitag den Versuch, die gesamte Gambia-Koalitionsprogrammatik bei den Grünen aufzuheben. Das Führungsduo Bernard/Sehovic, ohne Gegenkandidat/innen wiedergewählt, spulte einen Themenkatalog ab, bei dem für alle etwas dabei war: Kampf gegen die Klimakrise sowie Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Freiheitsrechte.

Übertreibungen der eigenen politischen Erfolge konnten dabei nicht fehlen. So behauptete Djuna Bernard, im unlängst verabschiedeten Klimagesetz stünden die Treibhausgas-Reduktionsziele so deutlich, dass „jeder weiß, wo es hingeht“. In Wirklichkeit verhandelt ein interministerielles Komitee über „sektorielle“ Reduktionsziele noch. Meris Sehovic lobte Wohnungsbauminister Henri Kox, jenen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet zu haben, den Kox selber gern zitiert. Tatsächlich droht Kox wegen des Unwillens der DP, einschneidendere Maßnahmen zu ergreifen, und wegen der Behäbigkeit von Planungsvorgängen am Ende der Legislaturperiode kaum mehr öffentliche Wohnungsbauprojekte vorweisen zu können als jene, die ohnehin entstanden wären, weil sie längst unterwegs sind. Die Behauptung, bald werde es mehr „erschwingliche“ Wohnungen geben, ist ziemlich kühn: Was genau „erschwinglich“ heißen soll, muss noch definiert werden.

Weil auf dem Kongress Prioritäten, Pläne und Erfolge stichpunktweise dargeboten wurden, bildete das eine Art grünen Rauschens. Darin ging unter, dass Ideen für eine Coronasteuer auch den Grünen nicht fremd sind: „Wer in der Krise Profite gemacht hat, wird im après-crise mehr beitragen müssen“, war Meris Sehovic überzeugt. Die Grünen hüteten sich aber, daraus einen Schwerpunkt ihres Kongresses zu machen. Den bildete ein anderes Thema: der Umgang mit der Corona-Seuche.

Die Einschränkungen der Freiheitsrechte waren der immer wiederkehrende Programmpunkt. „Nur solange wie nötig“ dürften die Einschränkungen bestehen bleiben, sagte Sehovic, danach müssten sie „sofort weg“. Den Bürger/innen müsse „eine Perspektive raus aus der Pandemie“ angeboten werden. Dafür sei „eine klare Strategie“ nötig; inklusive einer, wie mit Selbsttests und Schnelltests „Freiheiten ermöglicht“ werden.

Justizministerin Sam Tanson sorgte sich, das Rechtssystem müsse „eins zu eins wiederaufgebaut“ werden. Vizepremier François Bausch sagte: „Wir mussten verschiedene Sachen machen. Aber wir müssen aufarbeiten, was wir an Freiheiten weggenommen haben.“ Es sei „bedenklich, was das gesellschaftspolitisch für Schäden angerichtet hat“.

Da sprach nicht nur die Partei, die derzeit die Verteidigung von Freiheitsrechten noch über ihre Öko-Agenda stellt. Und die beim Polit-Talk mit den fünf grünen Minister/innen alle möglichen Themen streifte, Polizei und Armee aber aussparte. Das zu Covid-19 Gesagte war aber auch eine Anspielung auf die Gesundheitsministerin, die, wenn der Regierungsrat sie ließe, in der Pandemie drakonischer und autoritärer vorgehen würde, als die alle drei Wochen aktualisierten Bestimmungen im Covid-Gesetz vermuten lassen. Dass Paulette Lenert es war, die im Dezember Staatsbeamte per Gesetz verpflichten wollte, Verstöße gegen Quarantäne und Isolation zur Anzeige zu bringen, war nur zufällig publik geworden.

Bausch holte noch ein Stück weiter aus, war aber vorsichtig genug, keine Namen zu nennen: Die Grünen müssten „ein Gegenmodell“ zu Konzepten „wie in autokratischen Regimes“ bieten. Luxemburg bekämpfe die Pandemie mit Instrumenten „aus dem Mittelalter“. Und er erzählte, im Wort vom selben Tag stehe „ein exzellenter Artikel von Claude Muller, der intelligente Konzepte“ einfordere. Lockdowns dagegen, so Bausch, kämen „aus der Zeit der Pest“.

So betrachtet, ermöglichten die Parteikongresse von LSAP und Grünen ein paar jener in Luxemburg seltenen Einblicke in den innerbetrieblichen Zustand einer Regierung: Mit einem LSAP-Vizepremier, der die nächsten Wahlen gewinnen will, und mit Grünen, die mit Paulette Lenert nicht einverstanden sind. Schade, dass am Wochenende nicht auch die DP tagte: Das hätte das Bild vielleicht vervollständigen können.

Paulette Lenert selbst blieb auf dem LSAP-Kongress unauffällig. Weder verlor die Gesundheitsministerin ein Wort über die Vorgänge an den Hôpitaux Schuman, noch darüber, welche politischen Prioritäten sie am Gesundheitstisch zu setzen gedenkt. Die Talk-Runde dazu auf dem Kongress mit Generalsekretär Jungen und Sozialminister Romain Schneider fiel kurz aus: Schneider freute sich auf „schöne Diskussionen“ am Gesundheitstisch. Aus den sechs Arbeitsgruppen lägen schon 14 Projekte vor. Lenert meinte, „das System muss hinterfragt werden, ob es eine Krise bewältigt“. Als Jungen wissen wollte, ob Schneider noch etwas hinzuzufügen hätte, meinte dieser, „ach, wenn Paulette spricht, ist alles klar“. Dabei war das genaue Gegenteil der Fall – und einen Moment lang schien es, als wolle die LSAP sich auch aus der Gesundheitspolitik in den Vorwahlkampf davonmachen.

Peter Feist
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