Mit Djuna Bernard und Meris Sehovic übernehmen zwei Millennials die Parteileitung der Grünen. Porträts zweier Senkrechtstarter

The new Greens

d'Lëtzebuerger Land du 03.07.2020

Erneuerung Am Anfang war Al Gore. Als Meris Sehovic den Dokumentarfilm An inconvenient truth zu Ende geschaut hat, trifft er einen Entschluss. Er setzt sich an den Computer seiner Eltern in Manternach. Tippt „Déi Gréng“ in die Suchmaschine ein. Und füllt einen Mitgliedsantrag aus.

Neun Jahre später soll Meris Sehovic Ko-Präsident von Déi Gréng werden. Noch ist er nicht im Amt, die Partei musste seine Wahl Corona-bedingt bereits zweimal verschieben, aber am Donnerstag soll es nun beim digitalen Parteikongress endlich so weit sein. Ohne Gegenkandidat gilt seine Wahl nur als Formsache. Doch auch darüber hinaus gibt es wenig Zweifel am Kandidaten Sehovic. Das „Riesentalent“, wie sein einstiger Mentor Claude Turmes ihn bezeichnet, ist bestens vernetzt, genießt hohes Vertrauen und gibt im Hintergrund seit Jahren den Takt in der Partei an. „Meris ist ein herausragender Politiker, passt vom Profil her perfekt in die Rolle des Präsidenten“, so der Grünen-Abgeordnete François Benoy. Selbst Politiker aus anderen Parteien sind kaum überrascht über die bevorstehende Nominierung: „Mir war klar, dass er die Parteileitung irgendwann übernehmen wird“, sagt Michael Agostini, der Präsident der jungen Demokraten (JDL).

Sehovic trifft dabei auf Djuna Bernhard als Ko-Präsidentin. Auch sie ist noch keine 30 Jahre alt, kennt den Streit zwischen Fundis und Realos, zwischen Gréng Alternativ Partei (GAP) und die Gréng Lëscht Ekologesch Initiativ (GLEI) nur aus Geschichtsbüchern, war noch nicht geboren, als Muck Huss oder François Bausch gegen den Nato-Doppelbeschluss oder ein Atomkraftwerk in Remerschen protestierten. Die Grünen vollziehen mit der neuen Spitze das, was Parteien gerne als „Erneuerung“ bezeichnen. Bernard und Sehovic sollen die neue Clique um Stéphanie Empain, François Benoy, Semiray Ahmedova und Chantal Gary anführen und mittelfristig die alten Haudegen François Bausch, Josée Lorsché, Henri Kox oder auch Claude Turmes ersetzen. Anders als man annehmen könnte, handelt es sich nicht um eine Revolution von unten. Die Partei wird nicht rebellischer, sie erlebt keine neue Sturm-und-Drang-Phase. Die neuen Grünen drängen vielmehr mit der Gunst der alten Garde selbstbewusst in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft, schlagen moderate Töne an und vollenden die Verwandlung in eine Catch-All-Partei.

Weg nach Westen Roter Fünf-Tage-Bart, kräftige Statur, schelmisches Grinsen: „Ich bin mir sicher, dass es ein Vor und ein Nach 2020 in der französischen Politik geben wird“, sagt Sehovic. Er redet seit mehr als 45 Minuten, hat noch keinen Schluck aus seinem Glas Viva genommen, das er bestellt hat, nur gelegentlich durch sein A4-Notizbuch geblättert. Es ist ein sonniger Sommertag, kalter Ostwind bläst über den Knuedler. Etienne Schneider läuft vorbei, Corinne Cahen läuft vorbei, Xavier Bettel läuft vorbei. Das grüne „Narrativ“ werde sich am Ende durchsetzen, sagt Sehovic. Dann zieht er sein Smartphone aus seiner Hosentasche. „Sorry, ich muss kurz.“

Meris Sehovic lässt sein eigenes Narrativ in der ehemaligen Sowjetunion beginnen. Seine Mutter ist als Russlanddeutsche in Odessa aufgewachsen. Sie trifft seinen Vater eher zufällig bei einer Reise nach Belgrad. Der verarmte Studienabbrecher hat 1990 in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nicht mehr zu bieten als eine Baracke ohne fließendes Wasser. Die beiden verlieben sich trotzdem. Kurz nach der Geburt von Meris zieht es den Vater gen Westen. Zu dessen Schwester, die von einem besseren Leben in Luxemburg berichtet. Als der Vater über Umwege eine Bleibe und eine Stelle in einer Gärtnerei im Großherzogtum findet, reisen Mutter und Sohn nach. Die Familie lebt in einem Heim in Moersdorf, einem Ort, von dem Sehovic nur noch die serbische Aussprache „Mestreff“ in Erinnerung behält sowie Wäscheklammern als Spielzeug.

Danach zieht die Familie in ein Flüchtlingsheim auf Howald: Die Zimmer sind durch Vorhänge abgetrennt, Meris muss sein Bett mit seinem jüngeren Bruder teilen. Erst später, als Meris die vierte Klasse besucht, ziehen die Sehovics nach Manternach in ein Eigenheim.

Politiknerd Trotz der prekären Verhältnisse erinnert Meris Sehovic sich gerne an seine Kindheit. Er habe sich nie als Außenseiter gefühlt, auch wenn er oftmals „houre Jugo“ genannt wurde. Seine Eltern hätten ihn und seinen Bruder sehr sanft erzogen, jedoch stets streng auf Bildung gepocht. „Wenn ich eine Prüfung mit Note 56 mit nach Hause brachte, fragte mein Vater mich, warum da nicht 60 stand.“ Er hatte zum Glück ein Talent für Sprachen, Lernen war ihm ein Leichtes. Und er war ein aufgewecktes Kind, wie Zeitgenossen bestätigen. Er hinterfragte, stellte tradiertes Wissen auf den Prüfstand. Oder wie er es selbst formuliert: „Ich hatte schon immer eine große
Klappe.“

Es ist dieser Drang zur Kritik, zum Diskutieren und zum argumentativen Meinungsaustausch, ohne sich dabei die Köpfe einzuschlagen, die ihn in die Welt der Politik brachte. Seinen Eltern war das damals völlig fremd. „Sie dachten, Politik sei lediglich den Mächtigen vorbehalten.“ Dennoch schenkten sie ihm im Alter von 13 Jahren ein Spiegel-Abo. „Ich habe die Zeitung jede Woche von hinten nach vorne gelesen.“ Und irgendwann engagierte der „Politiknerd“ des Lyçée Classique in Echternach sich auch im Jugendparlament und entschied sich nach der Première Politikwissenschaften in München zu studieren.

Sehovic war dank Al Gore bereits Mitglied der Grünen, aber eher passiv. Das änderte sich in den Krisenjahren 2012 und 2013. Der junge Politikstudent wandte die Demokratietheorien von Locke und Montesquieu auf Luxemburger Fallbeispiele an und merkte: Hier stimmt doch etwas nicht. Oder wie Felix Braz es damals formulierte: „Es ist etwas faul im Staate Luxemburg“. Das Land, das er für eine moderne Demokratie mit ausgeprägtem Rechtstaat hielt, entzauberte sich, je mehr er darüber nachdachte, Und die Ergebnisse seiner Entzauberung veröffentlichte er auf einem Blog und auf Twitter. Zu dieser Zeit nahm er auch erstmals Kontakt auf mit den jungen Grünen und lancierte unter anderem die „Vertraut Dir dësem Mann?“-Kampagne“, die scharfe Kritik am damaligen CSV-Minister Luc Frieden übte.

Turmes-Jahre Und als die CSV-LSAP-Regierung platzte, erhielt er in München in seiner WG einen Anruf von François Bausch. „Ich will, dass Du auf der Wahlliste bist!“ Seine ersten Wahlen waren für ihn eine Enttäuschung, aber die Tristesse sollte nicht lange währen. Als Olaf Münichsdorfer Mitarbeiter der neuen Umweltministerin Carole Dieschbourg wurde, sollte er im Alter von 21 Jahren den Chefposten des Büros von Claude Turmes in Brüssel übernehmen und die bevorstehende EU-Wahlkampagne koordinieren. „Es geht nichts in die Öffentlichkeit, bevor es nicht auf Meris Tisch lag“, soll Turmes damals gesagt haben.

Die Turmes-Jahre waren äußerst prägend. Wer Sehovic reden hört und politisch beobachtet, erkennt bei ihm viele Eigenschaften des einstigen Mr Energy. Er ist weniger Showman, weniger Müsli und auch weniger charismatisch als sein Mentor, besitzt allerdings das gleiche Arsenal aus der politischen Trickkiste: Brücken schlagen in feindliche Lager, Mehrheiten beschaffen, Netzwerke aufbauen, die Presse beschäftigen und zu eigenen Zwecken instrumentalisieren, knallhart verhandeln und vor allem: akribisch arbeiten. „Meris ist eine Ameise“, sagt DP-Politiker Michael Agostini. „Politik heißt, so lange zu argumentieren, bis eine Mehrheit von 50 plus 1 erreicht ist“, fasst Sehovic sein Demokratieverständnis zusammen. Wie bei der Polit-Serie House of Cards hat er mit Turmes vor einer wichtigen Abstimmung die Namen der Politiker auf einem Whiteboard im Büro eingeteilt in Anhänger und Gegner –und so lange hin und hergeschoben, bis die Mehrheit stand.

Parteisoldat Es sind diese politischen Fähigkeiten, die ihn trotz seines jungen Alters auch innerhalb der Partei zu einem Strategen machen und dafür sorgten, dass er als Wahlkampfmaschine 2018 die Nationalwahlen organsierte. Die große Schnauze führte natürlich dazu, dass es gelegentlich intern oder auch mit anderen Politikern zu Konflikten kam. Bei den Koalitionsverhandlungen war er für die Grünen in manchen Arbeitsgruppen federführend und ging Jean Asselborn (LSAP) einmal so stark an, dass dieser es bis heute für eine Unverschämtheit hält. Doch Sehovic spielt mit knallharten Bandagen, ist aber immer zu Kompromissen bereit. Ein ökologischer Fundi ist er nicht: „Solange die Richtung stimmt, kann ich mit der Politik leben.“ Ein Satz, der eher nach Realpolitiker François Bausch klingt als nach Claude Turmes.

2019 wollte er als Doppelspitze mit Tilly Metz die Legacy von Turmes im EU-Parlament weiterführen, scheiterte nur knapp trotz historisch gutem Resultat der Grünen. Sehovic gesteht es nicht offen ein, aber er hatte sich eigentlich mehr erwartet. Und nach den Strapazen des doppelten Wahlkampfjahrs fiel er in ein Loch, wollte sich neu orientieren. Für immer Parteisoldat sein? „Ich dachte, wir würden ihn verlieren“, sagt Djuna Bernard. Es war schließlich Christian Kmiotek, der im vergangenen Jahr Sehovic anbot, den Posten des Parteichefs zu übernehmen – natürlich nicht ohne sich vorher mit dem grünen Pater familias Bausch abzusprechen. Mittlerweile arbeitet er in der Fraktion, ist seit kurzem verheiratet und will in den Südbezirk nach Esch ziehen. Dort soll er 2023 mit Ko-Präsidentin Djuna Bernand Déi Gréng in den Wahlkampf führen. So jedenfalls der Plan, den die Parteistrategen ausgehegt haben.

Galah ambitieuse Blondes Haar, blaue Augen und breites Lachen: Während Sehovic als junger Politiker etwas abseits der Öffentlichkeit Karriere im Parteiapparat machte, war Djuna Bernard bereits bekannt, bevor sie Politikerin wurde. Als Präsidentin des Jugenddachverbandes CGJL und FNEL-Pfadfinderkommissarin gab sie Interviews und koordinierte Vereine und Verbände von mehreren Tausend Mitgliedern. Sie sei diejenige, die bei Freibier früher ging, weil sie am anderen Tag noch eine Pfadfinderversammlung organisieren musste.

Bernard ist die Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Über die Mutter, die lokalpolitisch bei den Grünen in Mamer engagiert war, fand sie auch den ersten Weg in die Politik. Sie nahm im Alter von 13 Jahren an einer Sitzung der jungen Grünen Teil. „Ich habe nichts verstanden“, so Bernard heute. Drei Jahre später fand sie erneut den Weg zu den Grünen. „Ganz ehrlich? Weil ich verliebt war in einen Jungen.“

Bernard hat dazu eine natürliche Gabe, im Mittelpunkt zu stehen. Das weiß sie spätestens, seitdem die Pfadfinder ihr den Totem – eine Art Spitzname – „Galah ambitieuse“ verliehen. Es handelt sich dabei um einen Rosakakadu, ein äußerst soziales Wesen, das im Zentrum glänzen muss und zum Drama neigt. „Das trifft es eigentlich ganz gut“, sagt Bernard. Zudem verfügt sie ähnlich wie Sehovic über ein großes Mundwerk, ist selbstbewusst und scheut das Risiko nicht. „Also es ist typisch Djuna, voll ins Fettnäpfchen zu treten. Aber meistens denke ich mir: so what?!“ Etwa als sie in einem Interview mit Paperjam sagte, sie könne sich vorstellen, Premierministerin zu werden. „Damals war Corinne Cahen ziemlich pissed.“ Oder als sie im Parlament eine Kinderkrippe forderte und sich von Fernand Kartheiser (ADR) vorführen lassen musste, dass es sich dabei doch um einen alten ADR-Vorschlag handelte.

Moien Djuna Bernards politische Karriere endete eigentlich bereits, bevor sie begann. Sie sollte mit Georges Lemmer die Parteispitze der jungen Grünen übernehmen. Doch daraus wurde nichts: „Ich bin damals Opfer einer politischen Intrige geworden.“ Sie musste Lehrgeld zahlen und eine Niederlage gegen das Lager um Gina Arvai und Philippe Schockweiler einstecken. Sie zog sich aus der Partei zurück und konzentrierte sich auf ihr soziales Engagement. An eine politische Karriere dachte sie damals nicht.

Aber sie mochte es weiterhin, per du mit den Politikern zu sein. „Ich war geschmeichelt, als Xavier Bettel mir am Hamilius zuzwinkerte und sagte: Moien Djuna.“ Und so schwirrte sie stets im Umfeld der politischen Bubble und wusste sich oftmals zu inszenieren: Ihre Weltreise wurde zu einem medialen Happening und 2015 erreichte sie enorme Resonanz mit Refugees Welcome to Luxembourg. Eine Facebookinitiave, die innerhalb kürzester Zeit mehr als 10 000 Likes erhielt. Der Zuspruch war so groß, dass das Olai und die Croix Rouge sich für ihre Initiative interessierten und sie in Medien als „die Flüchtlingshelferin“ tituliert wurde.

Als sie später ihr Pfadfinder- und CGJL-Amt niederlegte, haderte sie jedoch mit Identität und Image: „Wird Xavier Bettel mich weiterhin noch grüßen?“ Als schließlich François Bausch ihr vorschlug, Kandidatin der Grünen bei den Nationalwahlen zu werden, musste sie nicht lange überlegen: „François kann sehr überzeugend sein“. Ihr Wahlergebnis war beeindruckend, und dank grüner Regierungsbeteiligung winkte der Einzug ins Parlament. Und mehr noch: Gleich nach den Wahlen bot Bausch ihr den Posten als neue Ko-Präsidentin neben Christian Kmiotek an. Bernard war eigentlich gewillt abzusagen, wollte nichts überstürzen. „Aber er wusste mein Ego zu triggern und appellierte an meine Verpflichtung gegenüber der Partei“, sagt Bernard in typischer Millennial-Sprache.

Bernard sagt, sie sei keine Öko-Grüne und werde es auch nie werden. Sie sei sozial engagiert, wolle sich für Gerechtigkeit einsetzen, eine nachhaltige Zukunft und die Öffnung des Wahlrechts. Dieses etwas schwammige Profil einer Politikerin der Mitte ist wohl der Grund, weshalb sie von allen anderen großen Parteien Luxemburgs Angebote erhielt, um Parteimitglied zu werden.

Gemeinsam mit Sehovic will sie nun die Partei der neuen Generation anführen. Realo- oder Fundi-Debatten halten beide für überholt, als Schablone eines konservativen Denkens, das nicht in die Gegenwart passt. Oder wie Sehovic es formuliert: „Es geht nur darum, Mehrheiten für grüne Politik zu erzielen.“

Pol Schock
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