Gesundheit und Sozialversicherung

Fallpauschalen und Zusatzrenten

d'Lëtzebuerger Land du 06.12.2013

Wer im Koalitionsvertrag über Gesundheit und Sozialversicherung nachliest, muss viele Seiten umblättern. Die beiden Kapitel sind zusammengenommen der nach der Wirtschaft und der Nachhaltigen Entwicklung drittlängste Teil im Regierungsprogramm.

Das liegt nicht etwa daran, dass Blau-Rot-Grün eine neue Pensionsreform plant, die die von 2012 übertrifft und nun genau erklärt wird. So weit schon in dieser Legislaturperiode zu gehen, in der die Reserven der Pensionskasse voraussichtlich noch weiter wachsen werden, war den Parteien schon in ihren Wahlprogrammen zu riskant. Da kommen auch die Koalitionäre vorerst lieber den Gewerkschaften entgegen: Versprochen wird das von der letzten Regierung Pacte de l’âge genannte Gesetz über die Beschäftigung Älterer. Verbindungen von Teilzeit und Teilrente sollen ermöglicht, die Bestimmungen zum Kumul eines Gehalts mit einer Rente sollen überdacht und „Anreize“ (aber keine Zwänge) für den längeren Verbleib im Arbeitsleben geschaffen werden. Auch soll über die 2001 am Rententisch eingeführte Jahresendzulage, die laut Pensionsreform eigentlich automatisch wegfallen soll, sobald die Reserve der Kasse nicht mehr zu wachsen droht, „evaluiert“ und darüber „diskutiert“ werden (S. 183).

Von größerer Tragweite ist das Vorhaben, das 1999 geschaffene Zusatzrentenregime auszubauen. Gilt es heute für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern einen Pensionsplan als Zusatzleistung zum Gehalt anbieten, soll es künftig für Freiberufler sowie sämtliche Lohnabhängige geöffnet werden. Was genau die Koalitionäre damit wollen, scheint ihnen selber noch nicht klar zu sein, oder sie sagen es noch nicht. Die Rede ist jedenfalls nicht von der „öffentlichen Zusatzrentenanstalt ohne Gewinnzweck“, die die LSAP versprachen. Vielmehr soll „allen Bürgern die Möglichkeit geboten werden, von denselben Steuervorteilen zu profitieren“ wie die an eine Betriebs-Zusatzrente angeschlossenen das können (S. 184). Was den Aufbau der „Anstalt“, die die LSAP andachte, zwar nicht ausschließt, aber auch dazu dienen kann, für die nächste Legislaturperiode die Umsetzung der DP-Idee vorzubereiten, die private Altersvorsorge als „Säule“ neben der öffentlichen Rentenkasse zu etablieren und dieser die Rolle einer Grundversorgung zuzuweisen – also die Renten zu senken.

Je nachdem, wie die Diskussion um die Zusatzrenten verläuft, kann der LSAP ein politisches Minenfeld drohen. Im Gesundheitsbereich ist es jetzt schon absehbar. Die neue Regierung will die Gesundheitsreform von 2010 sehr konsequent fortschreiben. Vor allem das geht aus dem 17 Seiten langen Kapitel „Santé“ im Koalitionsvertrag hervor. Dass Lydia Mutsch für das Gesundheitsressort zuständig wurde, Romain Schneider für die Sozialversicherung, und damit erstmals seit 1999 beide Bereiche nicht mehr in Personalunion geführt werden, soll verhindern, dass ein Gesundheitsminister, dessen Rolle es eher ist, das Angebot im System zu vergrößern, mit sich selber in Konflikt gerät, wenn er als Sozialminister gleichzeitig auf die Kostenbremse treten soll. Und Gesundheitsausgaben sollen massiv gespart werden, auch wenn das Regierungsprogramm keine Zahlen nennt.

Im Visier ist vor allem der Krankenhausbereich, für den die Gesundheitskasse CNS rund die Hälfte ihrer Ausgaben aufwendet. Um die Spitäler zu Einsparungen, Kooperationen und Synergien zu bewegen, gilt seit der Reform von 2010 ein Globalbudget für alle Häuser. Zur Steuerung der Spitäler aber reicht das auch deshalb nicht, weil die Krankenhausärzte Therapie- und Verschreibungsfreiheit genießen und das Gros von ihnen als Freiberufler den Direktionen der Häuser nicht untersteht. Deshalb will die Regierung das Statut des Krankenhausarztes „redefinieren“ (S. 168). Das soll einhergehen mit einer Finanzierung der Spitäler nach Aktivität (S. 166): Pro Patient, seiner Diagnose sowie der zur Behandlung nötigen „Prozesse“ im Spital würde von der CNS künftig eine Pauschale gezahlt. Sie soll auch alle Arztkosten einschließen (S. 167), die heute alsPayement à l’acte getrennt sind von den Klinikbudgets. Um ihre Tarifierung anzupassen, will die Regierung innerhalb nur eines Jahres die Gebührenordnung der Mediziner überarbeiten.

Falls Papier nicht immer geduldig ist und diese Pläne, die keine der drei Parteien in ihrem Wahlprogramm so geäußert hat, tatsächlich konkreter werden, ist Mutsch und Schneider ein Machtkampf mit dem gesellschaftlich einflussreichen Ärzteverband AMMD sicher. Denn die Einbeziehung der Arztkosten in die Pauschalen, so betriebswirtschaftlich einleuchtend sie sein mag, würde den Ärzten nicht nur ans Portemonnaie gehen und sie einem Druck, Resultate zu liefern, unterwerfen. Sie würde auch die Daseinsberechtigung des Ärzteverbands in Frage stellen, der die Gestaltung der Gebührenordnung und die Verteilung der Honorarmasse je nach Fachrichtung stets als seine innere Angelegenheit betrachtet hat. Verschärft werden könnte die Auseinandersetzung, falls die AMMD die Patienten als Opfer auf ihre Seite zu ziehen versucht: Preise pro Fall zu definieren, ist eine Kostensparmaßnahme und keine soziale Wohltat. Sollten die beiden LSAP-Minister keine überzeugende Antwort auf die Frage wissen, wie trotz der Pauschalen dafür gesorgt werden soll, dass die Behandlungsqualität nicht sinkt, könnte diese Reform den Sozialisten schwer schaden. Zumal sie erst gegen Ende der Legislaturperiode umgesetzt sein soll, wie der Koalitionsvertrag verrät, und die interessierte Öffentlichkeit kaum Zeit hätte, sich vor den nächsten Wahlen an sie zu gewöhnen.

Verglichen damit mutet die Reform der Pflegeversicherung, die schon unter Mars Di Bartolomeo mit einer Bestandaufnahme begonnen hat, auf dem Papier des Koalitionsvertrags wie ein politischer Spaziergang an. Aber sicher ist das nicht. Auch dort geht es um Geld, und wie das Finanzkapitel im Regierungsprogramm zeigt, soll die Sozialversicherung künftig weiter dazu beitragen, einen „strukturellen Überschuss“ bei den öffentlichen Finanzen herzustellen. Schloss Di Bartolomeo im Frühjahr Beitragserhöhungen als einen Weg zur Absicherung der Pflegekasse nicht aus, sollen sie jetzt nur als allerletztes Mittel in Frage kommen. Umso mehr wird es auch bei der Pflegeversicherungsreform um Kostensenkungen gehen und ebenfalls um die Frage, inwieweit sich das mit Qualität verträgt. Als Sozialversicherungsminister mit Sparauftrag wartet auf den gutmütigen Romain Schneider einer der härtesten Jobs in der neuen Regierung.

Peter Feist
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