Nachruf

Ein Punk. Punkt

d'Lëtzebuerger Land du 09.02.2018

„If it’s me and yer granny on bongos, it’s The Fall.“ In den vergangenen zwei Wochen dürfte dieses Zitat überdurchschnittlich oft wiedergegeben worden sein. Denn dieses „Ich“ ist nicht mehr und hat die Großmutter mit ihren Bongos alleine gelassen. Mark E. Smith, Gründer und Frontmann der englischen (Post-)Punk Band The Fall, ist am 24. Januar im Alter von nur sechzig Jahren gestorben. Die Todesursache wurde bisher nicht bekannt gegeben. Man muss aber davon ausgehen, dass Smiths Tod eng mit seinem jahrzehntelang gepflegtem Lebensstil in Verbindung steht. Seine Bücherwürmerei durfte es nicht gewesen sein, dafür eher der exzessive Genuss von Alkohol, Tabak und anderen Substanzen.

Der junge Dockarbeiter Mark E. Smith gründete das musikalische Projekt The Fall, nachdem er am 4. Juni 1976 das popkulturell groß aufgearbeitete Sex-Pistols-Konzert in der Lesser Free Trade Hall in Manchester besuchte. Online geben nun plötzlich hunderte Menschen an, bei diesem Konzert gewesen zu sein, Tatsache bleibt aber, dass keine fünfzig Zuhörer vor Ort waren. Darunter jedoch: Tony Wilson Journalist und Produzent, Mitglieder von Joy Division, später New Order, Morrissey sowie Mick Hucknall von Simply Red. Und ein 19-jähriger Mark E. Smith.

„All you daughters and sons who are sick of fancy music / We dig repetition / Repeti­tion in the drums / And we’re never going to lose it / This is the three Rs / The three Rs: Repetition, Repetition, Repetition.“ Bei einem Gesamtwerk von 31 Studioplatten und 13 EPs aus 40 Jahren Schaffenszeit, genügt es manchmal, ganz von vorne zu beginnen. Denn bereits die im Sommer 1978 erschienene, drei Stücke zählende EP Bingo-Master’s Break-Out! beinhaltete den musikalischen Schlüssel zu The Fall. Die oben zitierten Lyrics aus dem Song Repetition gaben nicht nur den Ton, sondern auch den Rhythmus vor, an dem sich grundsätzlich über all die Jahre nichts ändern sollte. Aufgrund des klar formulierten „Sick“-Seins wegen der „fancy“ Musik klebte The Fall das Präfix „Post“ beim Post-Punk an. Hatte es 1976 bei John Lydon und Sid Vicious scheinbar einfach nur geknallt, so wurde dieser musikalische Wutausbruch, der die Pistols auch kurz danach implosionsartig zerschellen ließ, nur zwei Jahre später von The Fall neu kanalisiert und ausgerichtet. Aber eigentlich ist Mark E. Smith ein Punk. Punkt. Musikalisch bedienten sich Smith und Co. bei amerikanischem Punk, bei primitiver Stammesmusik sowie bei deutschem Krautrock. Gehört hat die Band diese Musik sehr wahrscheinlich bei John Peels BBC-Radio-1-Sendungen. „They are always different; they are always the same“, so Peel über The Fall.

Die Texte, die Mark E. mal mehr, mal weniger in sein Mikro rotzte – das natürlich mit der wahrscheinlich wiedererkennbarsten Stimme im Punk – behandeln alles, was Punk so beschäftigt. Ungerechtigkeiten aller Art und die entsprechende Wut dazu. Fußball, Musik, Filme. Sonst auf der Tagesordnung: Literaturversatzstücke, gehässig schwarzer Humor und schier Undechiffrierbares. Inhaltlich wie auch akustisch. Zu allererst muss man nämlich an Smiths Manchester Akzent vorbeihören. Wer den nicht versteht, ist selber schuld!

„Les uns crient: ‚Aime-moi!‘ Les autres: ‚Ne m’aime pas!‘ Mais une certaine race, la pire et la plus malheureuse: ‚Ne m’aime pas, et sois-moi fidèle!‘“ In Camus letztem Roman La chute – von dem der Bandname abgeleitet ist – und seiner Figur Jean-Baptiste Clamence wurde ein adäquates Psychogramm Smiths formuliert. In der Bandgeschichte war Mark E. über all die Jahre die einzige Konstante. Bandmitglieder wurden fast im Jahrestakt ausgewechselt. Und dank seiner großdiktatorischen Allüren drehten ihm sogar die ältesten Mitstreiter Ende der 90er den Rücken. Phasen häuslicher Gewaltausbrüche und schweren Substanzmissbrauchs gab es wiederholt.

Dass The-Fall-Fans keine Lieblingsalben, sondern Lieblingsepochen haben, liegt an Smiths WegbegleiterInnen. The Brix Years, Lieblingszeit vieler Fans und Kritiker, bezeichnen die Phase Mitte der 80er, als Smiths damalige Frau, Brix Smith Start, Gitarre beisteuerte und eine frische Dynamik in die Band brachte. Überhaupt wäre eine Neubewertung der Rollen notwendig, die Brix, Bassist Steve Hanley oder Gitarrist Graig Scanlon innerhalb der Band um Mark E. Smith spielten. Smith ist jetzt tot und mit ihm The Fall. Doch wie besang New York Indiegott Jeffrey Lewis die Band: „No band at all has ever been quite like The Fall / Except for The Grateful Dead.“

Tom Dockal
© 2024 d’Lëtzebuerger Land