Kommentar

Wo die Eisbären schwitzen

d'Lëtzebuerger Land du 11.11.2022

Vergangene Woche reisten gut 30 Vertreter der Luxemburger Filmbranche, Produzenten, Techniker, ins kanadische Montreal, wo Luxemburg Gastland beim Festival Cinemania war. Mit dabei, grob berechnet über ein Dutzend Offizielle von Kultur LX, der Promotionsagentur für den Kulturbereich, des Film Fund, der kurioserweise bei der Gründung von Kultur LX nicht integriert wurde, und des Medienministeriums inklusive des zuständigen Ministers Xavier Bettel und seiner Entourage. Die Veranstaltung sei ein voller Erfolg gewesen, meldeten Film Fund und Medienministerium danach. Viele neue Kontakte seien geknüpft und alte gepflegt worden. Und das, so konnte man den Beiträgen in Sozialnetzwerken entnehmen, bei sehr angenehmen, wenn auch für die Saison ungewöhnlich warmen Temperaturen – Klimawandel lässt grüßen.

Angesichts solcher Aussagen und beim Betrachten der Bilder (mitunter feucht-) fröhlicher Zusammenkünfte, die von Teilnehmern und offiziellen Stellen in Sozialnetzwerken und auf Webseiten geteilt wurden, werden Erinnerungen an die guten alten Tage von Luxembourg for finance (LFF) wach, der Promotionsagentur für die Finanzbranche. An jene Tage, als noch weitaus größere Delegationen aus Bankiers und Geschäftsanwälten zu immer exotischeren Ausflugzielen reisten, um die oft zitierten aber eher im Bereich des Legendären zu verortenden „Opportunitäten“ vor Ort auszuloten. Oft genug endeten die Abende solcher Missionen damit, dass die „Luxemburger“ abends gemeinsam lokale Restaurants ausprobierten oder sich in der Fünfsterne-Hotelbar wiederfanden, also mit exakt den Leuten, mit denen sich neue Geschäftsopportunitäten auch in Luxemburg im Büro, bei Branchenempfängen oder in der Stammkneipe um die Ecke ergeben hätten – ganz ohne teuren und CO2-intensiven Auslandsaufenthalt.

Die guten alten Tage von LFF endeten 2013 als Finanzminister Luc Frieden den CEO Fernand Grulms absetzte – nachdem er selbst noch einmal seine halbe Beamtenschaft auf Staatskosten mit nach China genommen hatte. Innerhalb der Branche gab es Kritik, LFF sei zum Reiseveranstalter – auch für Beamte und Offizielle – verkommen. Über die Reiseziele gab es ebenfalls Dissens zwischen jenen, die gerne Golf unter Palmen spielten und denen, die meinten, es mache wenig Sinn, an die Copa Cabana zu jetten, wenn die meisten Bankkunden im Dreiländereck zu finden seien. (d’Land, 01.03.2013) Angesichts der Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der Koproduzenten „Luxemburger“ Filme, die dieses Jahr in die Kinos kamen, aus Europa stammen, deutet sich auch hier eine Parallele zu LFF in Sachen Reiseziele an: Wieso bis nach Kanada fahren, wenn die Hauptgeschäftspartner um die Ecke sind? Und, auch diese Frage stellte sich sowohl für LFF-Missionen als für den Auftritt bei Cinemania: Wer wird dort als „Luxemburger“ Branche promoviert? Bei ersteren, die Niederlassungen ausländischer Finanzdienstleister. Bei letzterem, mit einigen wenigen Ausnahmen die vom Film Fund mit finanzierten ausländischen Koproduktionen deutscher, französischer, belgischer oder irischer Autoren und Regisseure.

So begrüßenswert es war, als mit Kultur LX eine eigene Promotionsagentur für die Kulturbranche geschaffen wurde, die erstens Künstlern zur Karriere verhelfen und zweitens dazu beitragen sollte, im Ausland die Botschaft zu verteilen, Luxemburg sei „nicht nur“ ein Finanzzentrum, umso vorsichtiger sollten die Offiziellen sein, die von LFF begangenen Fehler nicht zu wiederholen. Aus mehrerlei Gründen.

Anders als die Bankiers, für die LFF zuständig ist, und deren Arbeitnehmer ihre Auslandsaufenthalte zahlen, sind die meisten Kunstschaffenden keine Großverdiener, kämpfen vielmehr darum, ihren Lebensunterhalt mit ihrem Beruf zu bestreiten. Wenn das Verhältnis von Offiziellen aus Promotionsagenturen, Ministerien und Fonds einerseits und Künstlern, also jenen, die tatsächlich Drehbücher schreiben, in Kanada eine Residenz erhalten und zum Luxemburger Tag ein Konzert spielen andererseits, bei einer solchen Klassenfahrt bei ungefähr 2:1 liegt, ist das bedenklich bis problematisch. Denn der Preis für ein Offiziellen-Flugticket nach Kanada entspricht dem Betrag, den ein Künstler andernorts nicht als Beihilfe für ein Projekt erhält.

Dass die Luxemburger mitten in einer akuten Energiekrise nach Kanada reisten, nur ein paar Tage bevor Xavier Bettel als Staatsminister bei der Cop in Scharm El-Scheich die Untätigkeit in Sachen Klimakrise beklagte, verschlechtert die Optik des Luxemburger Auftritts bei Cinemania umso mehr. Auch weil Flugreisen besonders klimaschädlich sind sollten alle Promotionsagenturen dringend überdenken, ob solche Klassenfahrten noch zeitgemäß und mit den Klimazielen vereinbar sind.
Wer sich darum sorgt, dass die kanadischen Eisbären schwitzen, hilft ihnen am meisten, indem er nicht nach Kanada fliegt.

Michèle Sinner
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