Krisen sind Zeiten der Exekutive. Da kann es schon sein, dass die Regierung das Parlament während der Ferien mit einem Nachschlag zum Covid-Gesetz befasst, kaum dass unter der letzten Gesetzesänderung die Tinte trocken ist. Und so wird die Abgeordnetenkammer am heutigen Heiligabend nach nur zweieinhalb Tagen Bedenkzeit über Verschärfungen beschließen: Für öffentliche und private Treffen sollen neue Beschränkungen und Auflagen in Kraft treten. Großveranstaltungen müssen ausfallen. In der Gastronomie soll ab Samstag „2G plus“ mit Testpflicht für lediglich zwei Mal Geimpfte gelten und eine Schließstunde um 23 Uhr. In die Schulen hält nach den Ferien die generelle Maskenpflicht wieder Einzug.
Damit soll Luxemburg sich vor der Omikron-Welle wappnen, die das Land zweifellos erreichen wird. Die Regierung „antizipiert“ das, sagte Premier Xavier Bettel am Mittwoch. Die Omikron-Variante des Coronavirus verbreite sich „rasant, zehn Mal schneller als Delta“. Was in Dänemark und Großbritannien bereits zu beobachten sei.
Doch in Wirklichkeit wird mit der Verschärfung des Covid-Gesetzes vor allem Zeit erkauft und die Regierung läuft, wie bisher schon, dem Ausland hinterher. Nicht zuletzt Deutschland, wo die Omikron-Variante bisher ebenfalls nur sporadisch entdeckt wurde, aber ein von der neuen Bundesregierung eingesetzter Corona-Expertenrat Anfang der Woche empfohlen hat, einschneidende antizipierende Maßnahmen zu ergreifen.
Denn so berechtigt die neuen Maßnahmen sein mögen: Würde die Luxemburger Regierung tatsächlich antizipieren, wäre diese Woche der Moment gewesen, um auf einen Risikofaktor einzugehen, der in dieser Zeitung schon mehrfach erwähnt wurde: die große Zahl noch Ungeimpfter über 60. Jeder Zehnte in dieser Bevölkerungsgruppe ist null Mal geimpft. Rechnerisch kann das zu mehr als 12 000 Erkrankungen mit potenziell schweren Verläufen führen – und obendrein schnell, wenn eine Virusvariante vor der Tür steht, die sich „rasant“ verbreitet.
Noch immer aber gibt es keine gezielte Aktion, um gerade die verbleibenden Älteren zur Erstimpfung zu bewegen. Ebensowenig wie jemand erklärt hätte, wie die seit der „Impfwoche“ von Anfang des Monats bei 64 Prozent stagnierende Vergabe des „Boosters“ an über 60-Jährige wiederzubeleben wäre. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass es auch anders geht: Dort sind 99 Prozent der über 60-Jährigen zwei Mal geimpft und 81 Prozent drei Mal. Dass Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) vor drei Monaten Dänemark bereist hat, weil sie sich für das dortige Gesundheitssystem interessiert, wirkt da wie eine bittere Ironie.
Krisen sind Zeiten der Exekutive. Die Luxemburger jedoch bekommt es nicht fertig, strategische Prioritäten zu setzen. Am Mittwoch sinnierte der Premier, Omikron könne womöglich kritische Dienste entgleisen lassen. Etwa wenn viele Ärztinnen und Pfleger, Feuerwehrmänner und Polizistinnen auf einmal sich wegen einer Infektion mit der neuen Virusvariante in Isolation oder als Kontaktpersonen in Quarantäne begeben müssten. Weil er nicht hinzufügte, was genau daraus folgen soll, war auch dieser Satz ein Ausdruck strategischer Ratlosigkeit. Soll es am Ende etwa so sein, dass systemisch wichtige Dienste weniger durch die neue Virusvariante in Gefahr gebracht werden, sondern durch die Quarantäneregeln der Behörden?
Im Januar will die Regierung weitersehen. Was sicher nicht falsch ist, da die Omikron-Variante hierzulande noch nicht wirklich angekommen ist und Luxemburg noch mit der Delta-Welle ringt, die mittlerweile ein Plateau erreicht zu haben scheint. Doch zum Thema Impfpflicht wollten Premier und Gesundheitsministerin sich am Mittwoch vor der Presse von sich aus nicht äußern. Sie mussten durch Journalistenfragen dazu genötigt werden. Und es fiel auf, dass Xavier Bettel erst als Paulette Lenert herumlavierte, entschlossen erklärte, „ich hätte gerne eine Entscheidung Mitte Januar“. Fest stand diese Frist bis dahin vielleicht noch nicht. Passend zu einer Exekutive, die nicht recht weiß, was sie will.