Die Änderungen bei der Mehrwertsteuer auf Mietwohnungen haben nicht zum Konjunktureinbruch auf dem Bau geführt. Doch die Preise steigen

Alles beim Alten

d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2017

Als Finanzminister Pierre Gramegna (DP) im Herbst 2014 sein Zukunftspak genanntes Sparprogramm vorlegte und darin unter anderem beschloss, ab dem Haushaltsjahr 2015 den superreduzierten Mehrwertsteuersatz auf Mietwohnungen abzuschaffen, um 60 Millionen Euro zusätzlich einzunehmen, war die Aufregung in Wirtschaftskreisen groß. Da ab dem 1. Januar 2015 beim Erwerb und bei der Renovierung von Mietwohnungen 17 statt drei Prozent Mehrwertsteuer anfallen sollten, berichtete das Verbandsorgan d’Handwierk von einer „Frontalattacke auf das Handwerk“. Unter dem Titel „TVA Logement: Mehr Schwarzarbeit, teurere Mieten“, wurde in d’Handwierk darüber hinaus gewarnt: „Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Mietwohnraum wird zu einer Verteuerung der Wohnungen und der Mieten führen, begleitet von einem drastischen Anstieg der Schwarzarbeit und einem Verlust von Arbeitsplätzen im Handwerk. Dies und nichts anderes ist von der geplanten Anhebung der Mehrwertsteuer auf Zweitwohnungen zu erwarten.“

Damals hatten die Arbeitgeberverbände eine Studie durchgeführt, an der sich mehr als 500 Unternehmen beteiligt hatten. 80 Prozent von ihnen erwarteten einen Rückgang des Bauvolumens und einen Anstieg der Kauf- und Mietpreise. Die Unternehmer sahen rund 1 000 Arbeitsplätze gefährdet. Auch der Wirtschafts- und Sozialrat warnte vor einer „concentration de la demande“ die „risque d’avoir des graves conséquences sur l’emploi dans le secteur de la construction“, da jede Investitionstranche von 100 000 Euro, die nicht getätigt würde, einem Arbeitsplatz entspreche. Nach einem ursprünglichen Ansturm sei eine „Flaute“ auf dem Immobilienmarkt zu erwarten, meinte der Präsident der Immobilienkammer Jean-Claude Scheuren, die eben jenen Arbeitsplatzverlust bewirken werde.

Der Ansturm kam wie vorhergesagt. Vor dem Stichdatum des 1. Januar 2015 beeilten sich Bauträger und Investoren, Projekte für den Verkauf aufs Papier zu bringen, um sie noch schnell bei der Einregistrierungsbehörde einzureichen und so von den Übergangsbestimmungen zu profitieren, nach denen die Arbeiten an besagten Projekten bis Ende 2016 mit dem superreduzierten Mehrwertsteuersatz von drei statt mit dem neuen Regelsatz von 17 Prozent durchgeführt werden konnten. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Anträge auf die Rückerstattung der Mehrwertsteuer im Wohnungsbau 2014 sprunghaft um 60 Prozent von 4 102 auf 6 743 an. Wurden 2013 laut Jahresbericht der Einregistrierungsbehörde 44 337 Genehmigungsanträge zur Direktanwendung des superreduzierten Satzes gestellt, waren es 2014 plötzlich 55 567 Anträge. „Vor den Türen des zuständigen Mehrwertsteuerbüros bildeten sich Schlangen wie vor den Lebensmittelläden in der Sowjetunion“, sagt ein Beobachter. Auch der Präsident der Immobilienkammer, Jean-Claude Scheuren, trug die Anträge seiner Firma eigenhändig ins Büro der zuständigen Beamten, um den Eingang der Unterlagen vor dem Stichdatum abstempeln zu lassen. Ungerne hätte er seinen Kunden erklären müssen, dass sie wegen eines eventuellen Durcheinanders in den Unterlagen zwischen 30 000 und 40 000 Euro mehr für den Kauf ihrer Wohnung aufbringen müssten. Angesichts des großen Andrangs ist es erstaunlich, dass seit dem 1. Januar 2015 nicht mehr als 68 Beschwerden im Zusammenhang mit der kurzfristig geplanten Veränderung der Steuersätze auf den Mietwohnungen eingingen. Ein dickes Dutzend davon hat den Angaben des Finanzministeriums zufolge zu Prozessen geführt. Fast die Hälfte der Beschwerden ist auf Fälle zurückzuführen, in denen die Anträge zur Mehrwertsteuerrückerstattung nach dem Stichdatum vom 31. Dezember 2014 eingereicht wurden. Die Rückerstattung wurde dann von der Einregistrierungsbehörde abgelehnt, wenn sogar schon fertig gestellte Wohnungen erst nach dem Stichdatum vermietet wurden.

Von dem befürchteten Aktivitätseinbruch danach ist bisher indes nichts zu sehen. „Wir können nicht sagen, dass es eine besondere Flaute gibt“, räumt Scheuren diese Woche ein. Dafür, dass die befürchtete Entwicklung nicht eingetreten ist, sieht der Präsident der Immobilienkammer, der vor drei Jahren zusammen mit den Handwerkerverbänden die Alarmglocke geläutete hatte, mehrere Ursachen. Erstens zeigten sich die Folgen der Mehrwertsteueränderung erst nach und nach, weil es durch die Übergangsbestimmungen einen Verschiebungseffekt gebe. Erst seit sie am 1. Januar 2017 ausliefen, werden beim Bau von Mietwohnungen wirklich keine Rechnungen mehr mit drei Prozent Mehrwertsteuer verrechnet. Zweitens hätten die Investoren im aktuellen Zins­umfeld ohnehin keine Wahl. Auch wenn die Rendite angesichts der Mehrwertsteuererhöhung geringer ausfiele, sei die Investition in eine Mietwohnung immer noch günstiger, als angespartes Kapital bei der Bank zu lassen. Deshalb bleibe die Nachfrage hoch. „Wir bauen einfach nicht genug, da wird alles verkauft“, so Scheuren.

Die Erhebungen des Statistikamts Statec belegen dies. Einen Einbruch der Verkaufsabschlüsse für neue Wohnungen und Häuser, der den Ansturm von 2014 annulieren würde, hat es nicht gegeben, obwohl aus den Angaben nicht ersichtlich ist, wie viele der Transaktionen ein Eigentums- und wie viele ein Mietobjekt betreffen. Doch die investierten Summen sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, ebenso die Zahl der Mitarbeiter in der Baubranche und die Bruttoproduktion im Hoch- und Tiefbau. Mag sein, dass die Baubranche dabei ist, alte Aufträge und Projekte abzuarbeiten. Denn den letzten verfügbaren Angaben des Statec zufolge wurden von Januar bis September 2016 deutlich weniger Baugenehmigungen ausgestellt, (874 im Vergleich zu 1 138) als in den ersten neun Monaten 2015. Ob das auf eine nachlassende Nachfrage aufgrund der Mehrwertsteueränderung zurückzuführen oder ist, wahrscheinlicher, auf prozedurale Umstände – die Mehrheit der Gemeinden hinkt mit der Aktualisierung ihres Generalbebauungsplans hinterher –, geht aus der Statistik nicht hervor.

Obwohl sich die Folgen der Mehrwertsteueranhebung schrittweise bemerkbar machen, gibt es erste Anzeichen für deren preistreibende Wirkung. Im Logement en chiffres über die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt im ersten Halbjahr 2016 stellen die Mitarbeiter des Statec fest, dass die Verkaufspreise für neue Wohnungen merklich schneller angestiegen sind, als die bestehender Appartements: „En général la hausse des prix des appartements neufs est plus prononcée que celles des appartements existants. Au 2e trimestre 2016, les prix des appartements en construction sont supérieurs de 7,3 pour cent à leur niveau du 2e trimestre 2015.“ Diese Entwicklung führen sie eindeutig auf die Veränderung der geltenden Mehrwertsteuersätze auf Mietwohnungen zurück: „Cette hausse est essentiellement alimentée par les prix payés pour les logements qui ne sont pas destinés à une occupation personelle. Le taux de TVA appliqué sur ces transactions avait augmenté de trois à 17 pour cent en janvier 2015.“ Die Preise für bestehende Wohnungen stiegen im gleichen Zeitraum um „nur“ 4,6 Prozent.

Da die Übergangsbestimmungen für alle Transaktionen, die vor Ende 2014 bei der Einregistrierungsbehörde eingereicht wurden, Anfang dieses Jahres endeten, ist davon auszugehen, dass sich der Trend fortsetzt. Die große Frage sei, sagt deshalb Jean-Claude Scheuren, wie sich diese Entwicklung auf die Mieten auswirke; eine Antwort darauf meint er, werde sich nächstes Jahr ergeben.

Die von den Arbeitgeberverbänden erwartete Katastrophe für die Baubranche blieb in der Folge der Mehrwertsteueranpassung aus. Doch wenn die Mieten erwartungsgemäß steigen, sind ihre Folgen von der einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppe zu tragen: der, die sich keine Eigentumswohnung leisten kann. Die Einregistrierungsbehörde erwartet sich im laufenden Jahr erstmals Mehreinnahmen von 55 Millionen Euro durch die Abschaffung des superreduzierten Mehrwertsteuersatzes auf den Mietwohnungen. Dann wäre die Umverteilung von unten nach oben gesichert, da das Finanzministerium Mitte 2016 für eineinhalb Jahre die Gewinne aus Immobilienverkäufen vermindert besteuert. Und dabei hatten sich die Handwerkerverbände 2014 noch beschwert, der DP-Finanzminister mache keine liberale Politik.

Anträge zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer im Wohnungsbau:

2013: 4 102 2014: 6 743 2015: 3 302 2016: 3 183

Anträge zur Genehmigung zur Direktanwendung des superreduzierten Mehrwertsteuersatzes:

2013:44 337 2014: 55 567 2015: 37 899 2016: 36 908

Mehrwertsteuerrückerstattung im Wohnungsbau in Millionen Euro

2013: 33,8 2014: 23,8 2015: 33 2016: 27,8

Mindereinnahmen durch die Direktanwendung des superreduzierten Mehrwertsteuersatzes im Wohnungsbau in Millionen Euro:

2013: 188,5 2014: 297 2015: 159,8 2016: 167,6

Abgeschlossene Verkaufsverträge für neugebauten Wohnraum (Variation in Prozent)

2013: 2 133 (-0,7) 2014: 2 590 (21,4) 2015: 2 532 (-2,2) 2016: 2 372 (-6,3)

Investiertes Finanzvolumen in neugebauten Wohnraum (Variation in Prozent)

2013: 837 (3,4) 2014: 1 098 (31,1) 2015: 1 109 (1,0) 2016: 1 149 (3,6)

* Quellen: Einregistrierungsbehörde; Statec

Michèle Sinner
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