Eine OECD-Studie prüft Stärken und Schwächen des Bildungsmonitorings im Luxemburger Schulsystem. Das Unterrichtsministerium geht auf Tauchstation

Bloß keine Unruhe

d'Lëtzebuerger Land du 26.10.2012

Ungeachtet von der Luxemburger Öffentlichkeit hat die OECD ihren für Mitte Oktober angekündigten Länderbericht über Stärken und Schwächen des Luxemburger Bildungsmonitorings veröffentlicht. Obwohl das Unterrichtsministerium seit mehreren Jahren daran arbeitet, ein wirksames Monitoring der Grundschulen und der Sekundarschulen auf die Beine zu stellen, um es als Instrument zur Qualitätssteuerung zu nutzen, gelingt das offenbar nur ansatzweise.
Der politische Gedanke hinter dem Bildungsmonitoring klingt klar: Luxemburgs Schulen sollten mehr inhaltliche und pädagogische Autonomie erhalten, verpflichten sich im Gegenzug aber, ihre Performanz regelmäßig von außen prüfen zu lassen und gegebenenfalls zu verbessern. Als Instrumente dienen Leistungstests, Daten zur Schüler- und zur Lehrerpopulation, zur sozialen Herkunft der Eltern, alle zusammengefasst im Schulreport. Eine Qualitätsentwicklungsagentur soll beim Sammeln und Interpretieren der Daten unterstützen, und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse sollen die Schulen sich Entwicklungsziele geben.
Soweit die Theorie. In der Praxis klappt das noch nicht sehr gut, meinen jedenfalls die Beobachter der OECD. Sie stellten bei ihrem Besuch Ende Mai 2010 fest, dass verschiedene Monitoring-Instrumente und Aktivitäten parallel entwickelt wurden – und nicht immer kohärent sind. Als Beispiel nennt der Bericht die kompetenzbasierten Items für die Leistungstests im vierten Zyklus der Grundschule: Sie wurden erstellt, noch ehe die Unterrichtsinhalte definiert waren. Es gab Arbeitsgruppen auf Universitäts- und auf ministerialer Ebene mit Lehrern, die für die Entwicklung von Items freigestellt wurden – und später eine schlechte Vorbereitung und das Durcheinander bemängelten.
In Luxemburg existieren zwei Formen von Leistungstests, standardisierte (Épreuves standardisées) und nicht-standardisierte (Épreuves communes), die sich beide auf die Hauptfächer konzentrieren. Doch obwohl an ihnen seit vier Jahren gefeilt wird, wissen viele Lehrer und auch Eltern noch immer nicht, was diese Instrumente eigentlich messen, so die OECD, die sich dafür ausspricht, die Resultate zu veröffentlichen.
Das liege auch daran, dass der Weg von der Erhebung bis zur Bereitstellung der Ergebnisse für die Schulen zu lange dauere, so die selbstkritische Einsicht der Qualitätsentwicklungsagentur, auf deren Hintergrundbericht sich die OECD-Prüfer stützten. Obwohl das Personal aufgestockt wurde und die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Hochdruck arbeiten und sich redlich Mühe geben, die Daten so schnell wie möglich aufzubereiten und sie den Schulen zu erklären, scheint sich der Nutzen nicht immer zu erschließen. Gleichzeitig bindet die Interpretation und die Beratung der Schulen, die in der Lektüre der Daten wenig geübt und geschult sind, wichtige Ressourcen der Agentur, die dringend an anderer Stelle, etwa bei der Analyse von Meta-Daten, gebraucht würden. Auch fehle es an einer Gesamtstrategie sowie klar definierten Rollen und Zielen: Ist die Agentur verlängerter Arm des Ministeriums oder (externe) Beraterin im Dienste der Schulen?
Dass das Monitoring nicht so richtig vorankommt, liegt wohl auch an diesem Doppelcharakter. Vor allem die Gewerkschaften beäugen die outputorientierte Ausrichtung mit erheblicher Skepsis. Die OECD-Beboachter stellten eine „defensive Kultur“ unter Lehrern fest, die die externe Evaluation kritisieren, weil sie den Schwerpunkt einseitig auf die Rechenschaft lege. Dieses Misstrauen dürfte auch der Grund sein, warum das Unterrichtsministerium den Bericht, obwohl am 18. Oktober veröffentlicht, bisher mit keinem Wort erwähnt hat. Zumal darin unbequeme Wahrheiten stehen: etwa dass im technischen Sekundarschulunterricht (EST) der Anteil der Klassenwiederholer enorm ist. 63,5 Prozent der EST-Schüler waren älter als das Regelschulalter, will heißen, sie haben die eine oder andere „Ehrenrunde“ drehen müssen. Auch die starke soziale Selektion und die systematische Benachteiligung von Einwandererkindern im Luxemburger Schulsystem unterstreicht der OECD-Bericht erneut. Von den Gewerkschaften zum Feindbild Nummer eins erkoren, steht bei aller Vorsicht gegenüber outputorientierten Bildungsstudien fest: Es war die OECD-Pisa-Studie, die nach der Magrip-Studie den Blick auf das systematische Versagen der Luxemburger Schule gegenüber Einwandererkindern lenkte.
Im Assessment-Bericht legen die OECD-Prüfer den Finger in eine weitere Wunde: Schüler am Ende des vierten Zyklus (oder der sechsten Grundschulklasse) hätten keinerlei Mitspracherecht, wohin sie orientiert würden. Die rigide Prozedur lege zu einseitig Gewicht auf die Sprachen. Die Noten in Deutsch und Französisch machen zwei Drittel der Gesamtbewertung aus. Schafft ein Schüler den Sprung ins Classique nicht auf Anhieb, liegt der Akzent beim Zulassungstest weiterhin auf den Hauptfächern. Das benachteilige Schüler, die weniger sprachbegabt sind, aber dafür vielleicht sehr gut in den Naturwissenschaften. Luxemburgs Schüler hätten wenig zu sagen, wenn es um die Gestaltung ihres Lernprozesses geht, und bei Einwandererkindern würden Schulen noch viel zu wenig berücksichtigen, welche zusätzlichen Schwierigkeiten für sie dadurch entstehen, dass sie, neben ihrer Muttersprache, zunächst Luxemburgisch, dann Deutsch, Französisch und meistens noch Englisch lernen müssen. Alles keine neuen Erkenntnisse, aber der OECD-Bericht unterstreicht – wahrscheinlich sehr zum Missfallen von Reformskeptikern und Gewerkschaften – den enormen Handlungsbedarf.
Noch mehr fuchsen dürfte die Gewerkschaften aber eine andere Kritik: Die Prüfer beanstanden nämlich, dass es in Luxemburg keinerlei Instrumente gibt, um die Leistungen der Lehrer zu messen. In den Grundschulen sind dafür laut Gesetz die Inspektoren und Inspektorinnen zuständig. Sie operieren wie regionale Schuldirektoren, daran hat die Schaffung von Schulkomitees und Präsidenten nichts geändert. Allerdings kommen die Inspektoren der pädagogischen Führungsaufgabe nicht genügend, respektive nicht systematisch genug nach: Das liege zum Teil an Zeitmangel, so der Bericht, denn das Inspektorat ist auch für organisatorische Fragen zuständig. Es fehle zudem an landesweit einheitlichen Bewertungskriterien, was eine gute Schule und einen guten Unterricht ausmacht – was wiederum eine systematische Bewertung der Qualität der Lehrerarbeit erschwere.
Ähnliches gelte für die Schulleitungen im Sekundarbereich, so die OECD, die ihnen einen Mangel an „pädagogischem Leadership“ attestiert. In Luxemburg werden die Schulleitungen für ihre Führungsaufgabe nicht extra ausgebildet. Viele klagen, in Verwaltungsarbeit und Organisation zu versinken, so dass wenig Zeit für eine systematische Schulentwicklung bleibt. Es kam vor, dass Lyzeen zwar ihren Schulbericht zugeschickt bekamen, aber keiner die Zeit hatte oder sich nahm, ihn zu lesen und daraus Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis zu ziehen. Angesichts der doch nicht unerheblichen finanziellen Mittel, die ins Monitoring investiert werden – über eine Million Euro –, eine Verschwendung von Ressourcen.
Die OECD-Prüfer beanstandeten überdies fehlende Karriereperspektiven in der Lehrerlaufbahn. Weiterbildungen sind zwar obligatorisch, die Wahl eines Kurs obliegt aber der persönlichen Motivation und dem Engagement eines Lehrers, mit dem „Risiko“, dass dessen berufliche Entwicklung vielleicht nicht mit den Entwicklungszielen seiner Schule übereinstimmt.
Damit rührt die Studie an ein Reizthema: den Rechten und Pflichten der Lehrer. Das dürfte auch der Hauptgrund sein, warum das Ministerium es gar nicht eilig hat, den Bericht zu würdigen. Denn die Forderung der OECD, die Leistungen der Lehrer in den Blick zu nehmen, weist in dieselbe Richtung wie die Pläne von Minister François Biltgen (CSV) für die Reform des öffentlichen Dienstes. Dagegen waren die Gewerkschaften Sturm gelaufen, die Reform des Beamtenstatuts trug maßgeblich dazu bei, tausende Lehrer gegen die Sekundarschulreform zu mobilisieren. Derzeit sind die Gewerkschaften vorm Schlichter. Relative Ruhe kehrte erst wieder rein, als Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres der nationalen Lehrerplattform, in der Sekundarschullehrer und Gewerkschaften zusammen sitzen, das Zugeständnis abringen konnte, den Streit um das Beamtenstatut aus den Verhandlungen um die Sekundarschulreform auszuklammern. Eben dieser Burgfrieden scheint nun, kurz vor den nächsten Gesprächen am 13. November, gefährdet. Beziehungsweise, die Ministerin und ihre Berater sorgen sich, er könnte gefährdet sein. So sehr, dass die Ergebnisse der nationalen Leistungstests, die zeitgleich mit der OECD-Studie herausgekommen sollten, offenbar nun in der Schublade liegenbleiben. Was den Eindruck verstärkt, die LSAP-Ministerin hätte etwas zu verbergen.

Ines Kurschat
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