Sekundarschulreform

Bergetappe

d'Lëtzebuerger Land du 13.07.2012

Über hundert Stellungnahmen zur geplanten Sekundarschulreform zusammenzufassen, mit teils ganz konträren Auffassungen. Darunter die von Eltern, die eine individuellere Betreuung ihrer Kinder wünschen, von Lehrern, die sich gegen mehr Betreuung sträuben, von Direktoren, die die „heilige Kuh“, das Luxemburger Punktesystem, kritisieren, das andere unbedingt erhalten wollen, von Schülern, die sich gegen das Sitzenbleiben aussprechen, an dem andere wiederum festhalten wollen.

Aus diesen Standpunkten einen Konsens zu zaubern, kommt der Quadratur des Kreises gleich, so gegensätzlich sind sie. Die Synthese, die Mady Delvaux-Stehres (LSAP) am Donnerstag der Presse vorstellte, war eine Aneinanderreihung von Meinungen, während die Unterrichtsministerin selbst mit ihren Prioritäten hinter den Berg hielt. Schließlich ist die Stimmung, verglichen mit dem turbulenten Winter, derzeit ruhig. Die Ministerin berät mit der Lehrer- und Gewerkschaftsdelegation hinter verschlossenen Türen. Versucht wird, sich auf eine Bestandsaufnahme zu einigen.

Schon das dürfte kniffelig werden. Viele Schulakteure haben noch immer nicht verstanden, wie rasant die Luxemburger Schule dabei ist, sich zu verändern. In den Grundschulen steigt der Anteil der Nicht-Luxemburger, nur jedes dritte Kind spricht daheim Luxemburgisch. Dieser drastische Bevölkerungswandel schlägt sich aber nur bedingt in den 104 Gutachten nieder. Deren Autoren sind mehrheitlich Luxemburger. Die, die es wissen müssten – die Lehrer –, bringen wenig konkrete Vorschläge, was die Schule tun kann, um die Vielfalt in den Klassen positiv zu nutzen.

Dennoch bestimmen sie die Debatte um die Zukunft Luxemburgs wie keine andere gesellschaftliche Gruppe. Bisher ist es weder der Regierung, noch den Medien gelungen, die bildungspolitische Diskussion tiefer in die Gesellschaft hineinzutragen. Wenige Wortmeldungen aus der Wirtschaft, Leserbriefe, ein Die-Reformen-werden-kommen-Machtwort des Premierministers reichen nicht, um eine fachlich fundierte Reflexion um Form und Inhalt der Luxemburger Bildung voranzutreiben. Längst geht es nicht nur um die Sekundarschule.

Die Gewerkschaften wittern die Gunst der Stunde: Frustrierte Lehrer, die mit sich mit Unterricht und Bewertung allein gelassen fühlen und weitere Belastungen fürchten, bilden das Rückgrat für neu aufflammenden Protest. Auf die für Dezember geplante Zwischenbilanz der Grundschulreform wird sich aller Augenmerk richten. Ungenauigkeiten oder Schludrigkeiten kann sich die Ministerin nicht leisten: Die Gewerkschaften werden jede noch so kleine Vorlage für sich zu nutzen wissen. Dabei ist fraglich, was sich nach knapp drei Jahren Reform überhaupt aussagekräftig festhalten lässt.

Das ist die größte Schwäche der sozialistischen Ministerin, die wie lange niemand vor ihr, Entwicklungen im Luxemburger Bildungswesen angestoßen hat: Sie und ihr Berater-Team unterschätzen regelmäßig, wie wichtig Kommunikation mit allen Betroffenen, nicht nur den Lehrern und den Schulen, ist. Was sagen Bildungsexperten über nötige Weichenstellungen? Was meint die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft, was braucht ein junger Mensch, um in der globalisierten Welt zu bestehen? Wo sind die innovativen Schulen, die Best practises, die nicht nur Lehrer, sondern auch Schüler, Eltern und, ja, auch Betriebe, gefallen?

Im Frühjahr, wenn die Ministerin ihren Entwurf vorlegt, wird man wissen, ob sie ihre Reform – oder Teile davon – ins Ziel wird bringen können. Zuvor heißt es für sie, die schwierigste, sozusagen die Bergetappe, zu überstehen.

Ines Kurschat
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