Zukunft der Luftfahrtbranche

Fluchhafen

d'Lëtzebuerger Land du 26.10.2012

Der Runde Tisch zur Flughafenproblematik von vergangenem Dienstag? Allem Anschein nach war er vor allem eine therapeutische Sitzung für die Gewerkschaften, die eine koordonierte Vorgehensweise in Sachen Flughafenpolitik und Logistikstrategie gefodert hatten. Denn außer Cargolux und Luxair waren keine Flughafennutzer eingeladen. Es gab weder eine nennenswerte Vorbereitung, noch Schlussfolgerungen. Man hat sich auf Anfang Dezember vertagt, wenn die Ergebnisse der strategischen Geschäftsüberprfüfungen vorliegen – obwohl die nicht Thema der Sitzung waren. Sie hat vor allem gezeigt, dass es überall an Koordination fehlt.
So lassen momentan die drei direkt oder indirekt staatlichen Unternehmen Luxairport, Luxair und Cargolux zeitgleich von drei verschiedenen Beratungsfirmen für gutes Geld ihre Geschäftsmodelle analysieren. Doch die Zusammenhänge zwischen den drei Flughafenakteuren werden dabei nur am Rande behandelt. Wie weit die Inkohärenzen gehen, machte Albert Wildgen, Verwaltungsratsvorsitzender der Cargolux, der vielen als Mann der ungeliebten katarischen Minderheitsaktionäre gilt, mit dem ihm eigenen Fingerspitzengefühl deutlich. Weil laut EU-Reglementierung am Findel mindestens zwei Handling agents ihre Dienste anbieten müssen, sowohl im Passagier- als im Frachtbereich, schreibt Luxairport die Stellen regelmäßig auf der Suche nach neuen Akteuren aus, obwohl es kaum Interesse gibt. In der Tischrunde vom Dienstag soll Wildgen sich ausdrücklich für einen zweiten handling agent im Frachtbereich ausgesprochen haben, denn dadurch könnten die Kosten für Cargolux gesenkt werden. Ein Schlag ins Gesicht der Luxair, deren Cargocenter handling agent der Cargolux ist und die demnächst als Cargolux-Großaktionär helfen soll, das Kapital der Frachtfluggesellschaft aufzustocken. Sogar Richard Forson, Cargolux-Interim-CEO, der den Gewerkschaften ebenfalls als Agent Katars gilt und gerade unilateral das Tarifabkommen gekündigt hat, musste Wildgen da widersprechen. Das Frachtaufkommen in Findel sei gar nicht hoch genug, um einem zweiten handling agent die Niederlassung zu ermöglichen, so Forson.
Der Runde Tisch hat auch deutlich werden lassen, dass die Regierung immer noch keinen Plan zur Flughafenpolitik hat. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) hebt hervor, dass man die Cargolux braucht, damit die Logistik-Strategie seines Ministeriums gelingen kann und geht davon aus, dass die Regierung den staatlichen Aktionären bei den anstehenden Entscheidungen über die beiden Fluggesellschaften den Ton vorgibt. Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) unterstreicht nicht zum ersten Mal, dass Luxair und Cargolux private Unternehmen seien, und macht deutlich, dass auch die staatlichen Akteure bei eventuellen Kapitalerhöhungen von Cargolux nicht wiederholt mitmachen könnten. Eine Insolvenz schließt er deswegen nicht aus.
Was aber wäre der Findel ohne Cargolux? Die Firma beschäftigt direkt rund 1 500 Mitarbeiter, viele andere Akteure und ihre Beschäftigten hängen von Cargolux ab. Allen voran das Cargocenter der Luxair mit annährend 1 000 Mitarbeitern, in dem Cargolux über zwei Drittel des Frachtaufkommens einbringt. Cargolux als größter Akteur zahlt aber auch die meisten Flughafengebühren, für Landungen und Starts beispielsweise, die zur Finanzierung des Flughafenbetriebs gebraucht werden. Cargolux ist Kunde bei den Straßentransporteuren, deren Lastwagen die Fracht zum Flughafen oder von dort weg bringen. Und auch das Konzept der Freihandelszone setzt erstens auf die Niederlassung auf dem Flughafengelände und zweitens auf die Zusammenarbeit mit Cargolux, die unter Museen einen guten Ruf für Kunsttransporte genießt.
Die Probleme bei Cargolux sind groß und für die wenigsten trägt Qatar Airways die Schuld. Der Verlust der Gesellschaft für das laufende Jahr wird in etwa 100 Millionen Dollar betragen. Wie hoch genau der Verlust sein wird, hängt davon ab, wie gut das Weihnachtsgeschäft wird. Das müsste aber eigentlich schon begonnen haben und noch ist davon nichts zu sehen. Weil die Cargolux noch nie wirklich großzügig mit Kapital ausgestattet war und sie annährend 300 Millionen Dollar für Kartellstrafen und Anwaltskosten ausgeben musste, werden die Aktionäre bald zur Kapitalerhöhung schreiten müssen oder aber die Insolvenz hinnehmen. Dass die Gesellschaft so viel Geld verliert, ist einerseits auf die allgemeine Handelsflaute zurückzuführen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Gewinne in der globalen Luftfrachtbranche von 4,6 Milliarden Euro 2011 auf 2,6 Milliarden 2012 fallen werden. Das stellt das Geschäftsmodell der Cargolux insgesamt in Frage, denn das ist einseitig auf Wachstum ausgerichtet. Die Frachtgesellschaft bestellte im November 2005 die neuesten Großraumflugzeuge Boeings, die Frachtversion der 747-8. So lange die Weltwirtschaft wuchs, bis zum Crash 2008, war die Nachfrage nach Luftfrachtkapazität so groß, dass Cargolux mitunter darüber nachdachte, die Flotte auf 20 Flugzeuge auszubauen. Doch in der gleichen Zeit wurden auch die Passagierflugzeuge, Boeing Dreamliner oder A380, größer. Fast 80 Prozent der zwischen 2001 und 2010 zusätzlichen Frachtkapazität auf dem Markt ist so genannter belly space, Laderaum in Passagiermaschinen, in den neben die Koffer Luftfracht gepackt wird. Luftfracht, die billig vermarktet werden kann. Die Passagiergebühren decken die Betriebskosten und das Flugzeug fliegt ohnehin seinen Flugplan ab – auch wenn wenig Fracht gehandelt wird. So sieht sich Cargolux derzeit einer mehrfachen Belastung ausgesetzt: wenig Fracht, viel Konkurrenz, schlechte Preise, hohe Betriebskosten und keine Rücklagen.
Das vielleicht dramatischste Problem aber ist, dass das Unternehmen führungslos ist. Die Unternehmensberater von Oliver Wyman halten in ihrem Zwischenbericht fest: „weak, even complete lack of planning and central management, both commercial and operational.“ Zur Erinnerung: Der frühere CEO Ulrich Ogiermann und der Verkaufschef von Cargolux, Robert Van de Weg, sind derzeit noch wegen illegaler Preisabsprachen in den USA in Haft. Ogiermann wurde übergangsweise vom damaligen CFO David Arendt ersetzt, bis Frank Reimen die Firma für knapp ein Jahr als CEO leitete. Zeitweise war die Firma ohne Finanzchef, bevor Richard Forson eingestellt wurde. Seit Frank Reimens Rücktritt leitet Forson die Firma kommissarisch, bis ein neuer CEO eingestellt ist. Der Jurist Henning zur Hausen, der eigentlich dafür sorgen soll, dass Cargolux nie wieder in einen Absprache-Schlamassel gerät, leitet die Verkaufsabteilung bis zur Rückkehr von Robert Van de Weg. Oliver Wyman stellt aber im Zwischenbericht auch fest, dass im Unternehmen niemand für die Flottenplanung und die langfristige Planung der Handelsstrategie zuständig ist. Deshalb schlagen die Berater vor, einen weiteren Manager einzustellen, der sich ausschließlich um diese Bereiche kümmert, während sich die Verkaufs- und Betriebschefs auf das Tagesgeschäft konzentrieren sollen. Die Unternehmensberater führen den ineffizienten Flugbetrieb unter anderem auf diese Managementmängel zurück. In etwa lässt sich das wie folgt erklären: Um den Frachtraum der Flieger zu füllen, verkaufen auch die Außenposten der Cargolux sehr flexibel und zu geringen Preisen hier und da ein wenig Laderaum, was dazu führt, dass die Flugzeuge erstens viele Zwischenstopps einlegen, das zweitens Sprit kostet, um ein paar Tonnen auf- oder abzuladen, die drittens schlecht bezahlt sind, das viertens die Flugpläne durcheinander bringt, das fünftens zu Problemen mit der Crew-Planung und der Belegschaftsplanung im Cargocenter führen kann, und sechstens, der Verspätungen wegen, dazu, dass manche Kunden anfangen, die Zuverlässigkeit der Gesellschaft anzuzweifeln.
Von den 140-Millionen-Dollar-Programm, das Oliver Wyman vorgelegt hat, gehen 40-50 Millionen Dollar mehr Ebit (Vorsteuerergebnis) darauf zurück, dass besser geplant und organisiert wird. Oliver Wyman plant außerdem eine Kostenreduzierung von 90 Millionen Dollar, von denen 50 Millionen auf ein für die Belegschaft weniger günstiges Tarifabkommen zurückgehen, zusätzliche 13 Millionen Dollar könnten gespart werden, wenn Änderungen am Arbeitsgesetz und der Reglementierung vorgenommen würden. Diese Änderungen betreffen vor allem die Sonntagsarbeit und den Schichtbetrieb, die Oliver Wyman für außergewöhnlich gut entschädigt hält. Die Problematik ist der im Einzelhandel nicht ganz unähnlich: Muss, wer sonntags oder nachts arbeitet, Sonderentschädigungen erhalten, auch wenn die Wochenarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreitet? Ungünstig für das Unternehmen sind auch die Bestimmungen für die Ruhetage für Piloten, die dazu führen, dass einem Ruhetag, damit er einer ist, ein freier Tag vorausgehen muss, was in etwa heißt, dass aus einem Ruhetag oft automatisch zwei werden. Darüber, wie lange der zweite Flugsektor sein kann, wenn eine zweite Crew an Bord ist, hatten Cargolux und Flugaufsichtsbehörde schon vor Jahren gestritten, Cargolux hatte den Kürzeren gezogen. Bis 2008 lag Cargolux etwa gleich auf mit der Konkurrenz, was den Ertrag und die Kosten pro Tonne und Kilometer anging. Doch spätestens 2011 ging die Schere zwischen Einkommen und Kosten weit auseinander, was die Studie unter anderem darauf zurückführt, dass die Angestellten zusätzlich zum Index einen Dienstalter-bedingten Gehaltsaufschlag von 2,4 Prozent erhalten. Durch das Streichen des 13. Monatsgehalts, rechnet Wyman vor, würden sich neun Millionen Dollar sparen lassen. Allein bei den Piloten sieht Wyman die Möglichkeit rund 30 Prozent der Arbeitskosten von 115 Millionen Dollar jährlich einzusparen. Bei den Overhead-Kosten sollen bis zu 17 Millionen Dollar von 158 Dollar eingespart werden (davon sechs Millionen Arbeitskosten). Bei den 870 Millionen Dollar Kerosinausgaben und den 164 Millionen Dollar für die Flugzeugfinanzierung sehen die Unternehmensberater keine Einsparmöglichkeiten.
Laut Oliver Wyman gibt Cargolux 166 Millionen Dollar jährlich für die Flugzeugwartung aus, davon sind 41 Millionen Dollar Lohn- und Arbeitskosten, die laut Studie acht Prozent über denen von Konkurrenzbetrieben in Westeuropa liegen und über 30 Prozent über denen in Osteuropa. Weil aber auch die Leerflüge zu anderen Wartungszentren Geld kosten würden, schlägt Wymann ein Vorgehen in drei Schritten vor: Wenn es der Cargolux gelänge, die Kosten für das Wartungszentrum von 211 Millionen Dollar um 20 Millionen Dollar zu reduzieren (davon acht Millionen Lohnkosten), soll sie die Wartung in Luxemburg auch künftig selbst betreiben. Sollte das nicht gelingen, soll Cargolux versuchen, die Wartung in Luxemburg zu verkaufen, um dann dort Kunde zu werden und günstigere Tarife durchzusetzen. Sollte auch das nicht gelingen, soll die Wartung an den weltweit günstigsten Bieter ausgelagert werden.
Ob dabei noch Synergien mit Luxair oder anderen Gesellschaften möglich sind, wird nicht wirklich untersucht. À propos Luxair: 2,5 bis neun Millionen Dollar (von insgesamt 53 Millionen) handling-Kosten könnten unter anderem dadurch gespart werden, dass die Bedingungen für das Aus- und Beladen verspäteter Maschinen angepasst und solche Verspätungen vermieden würden. Das würde natürlich Mindereinnahmen für Luxair bedeuten und die braucht jeden Euro selbst. Denn Luxair wird im Linienflugbetrieb dieses Jahr voraussichtlich einen Verlust von fast 20 Millionen Euro verbuchen, und auch das Cargocenter wird einen Verlust von 2,5 Millionen Euro hinnehmen müssen. In einem internen Papier, mit dem die Luxair ihre Belegschaft auf das Audit von Roland Berger vorbereitet hat, geht die Gesellschaft von einem gesamten Nettoverlust von 14,4 Millionen Euro für 2012 aus. Auch Luxair kämpft mit Konkurrenzdruck, hohen Kosten und sinkenden Erträgen. Dabei hatte die Airline ohnehin nur wenige wirklich profitable Linien. Zum Beispiel Luxemburg-London-City. Zwar stiegen auch dieses Jahr die Passagierzahlen, doch der Ertrag pro Passagier ist seit 2006 von 219 Euro auf 154 Euro gefallen. Seit Cityjet die Kapazitäten auf der gleichen Linie dieses Jahr erhöht hat, ist das Ergebnis der Route von fünf Millionen Euro 2011 auf 3,9 Millionen Euro 2012 gefallen. Noch schlimmer sieht es auf der Genf-Route aus. Darwin Airlines machte Luxair nur sechs Monate Konkurrenz. Das Ergebnis ist verheerend. Luxair transportiert 2012 fast 10 000 Passagiere mehr nach Genf (41 760 ingesamt) und zurück. Doch binnen eines Jahres fiel der Ertrag pro Passagier von 350 auf 161 Euro, das Routenergebnis von 6,7 Millionen auf 1,1 Millionen Euro. Ein ähnliches Massaker richtet Lufthansa auf der München-Route an. Auch hier verbucht Luxair steigende Passagierzahlen (86 616). Doch seit Lufthansa die Route ab 2010 abfliegt, ist der Ertrag pro Passagier von 162 auf 118 Euro, das Routenergebnis von 6,9 Millionen Euro 2009 auf -0,1 Millionen 2012 gefallen. Neue Konkurrenz nach London gibt es ab übernächster Woche von Easy Jet. Die Billigairline Vueling wird ab 2013 Barcelona anfliegen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass Easy Jet neben London weitere Routen ins Visier nimmt.
Deshalb soll Roland Berger der Luxair helfen, in Sachen Flotte und Streckenführung umzudenken – auch bei der Cargolux steht dieser Teil der Wyman-Studie noch aus. Die Ergebnisse werden spästestens Anfang Dezmber vorliegen. Dann fehlt aber immer noch eine Luftfahrt- und Flughafenstrategie der Regierung. Wenn sie sich nicht beeilt, interessiert sich dafür bald niemand mehr. Denn Luxair beispielsweise stellt in dem internen Papier das bisher als sakrosankt angesehene Prinzip in Frage, die Anbindung Luxemburgs ans Ausland zu garantieren. Kein Wunder, dass das Unternehmen irgendwann auf den öffentlichen Auftrag pfeift und die Profitabilität in den Vordergrund stellt, wenn Claude Wiseler immer wieder betont, es handele sich um Privatfirmen, die sich im Zweifelsfall selbst helfen müssen.

Michèle Sinner
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