ADR-Schulkritik

Falscher Kronzeuge

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.2010

Die Moral an den Schulen sei niedrig, das Durcheinander groß, die Unterrichtsministerin habe die „Schule verkommen“ lassen, so lautet das düstere Zwischenfazit der Alternativ Demokratesch Reformpartei (ADR) am Dienstag auf ihrer Pressekonferenz zum Thema Grundschulreform. Er sei kein Lehrer, sagt Fernand Kartheiser, schulpolitischer Sprecher der Rechtspartei, entschuldigend. Aber mit der Kritik an der Reform stünde seine Partei nicht allein, viele Lehrer hätten große Probleme damit. Einen hatte Kartheiser besonders im Auge: Der Grundschullehrer und das SEW-Gewerkschaftsmitglied Patrick Arendt hatte jüngst in einem Interview mit dem Magazin Forum zugegeben, nicht zu wissen, wie man einen kompetenzorientierten Unterricht gestalten soll. Bisher habe ihm das noch niemand erklären können.

Arendt ist bekennender Skeptiker, was den vom LSAP-Unterrichtsministerium gepushten kompetenzorientierten Unterricht betrifft. Schon in früheren Beiträgen, zumeist in der Mitgliederzeitschrift SEW-Journal veröffentlicht, kritisierte er die neue Ausrichtung der Bildungspolitik entlang von „Prinzipien der Produktivität und der internen Konkurrenz“ (Journal 1/08).

Für Kartheiser also muss Arendt den Kronzeugen spielen, ob er das will oder nicht. Kartheiser, der sich selbst als „wertkonservativen Christen“ bezeichnet, sah „ganz viele Positionen übereinstimmen, die würden wir von ADR auch so sagen“. Zum Beispiel die Skepsis am Kompetenzansatz. Die Mindestsockel seien zu tief angesetzt; sogar Arendts Kritik an einer utilitaristischen Bildungspolitik kann Kartheiser nachvollziehen, die Kinder würden nicht ganzheitlich gesehen.

Fragt sich, wie die neu entdeckte Gemeinsamkeit zusammenpasst mit den anderen Prinzipien, die der Abgeordnete beschwört: Leistung, Leistung und noch einmal Leistung sind die Werte, die Kartheiser zuvorderst in der Schule gestärkt sehen will. Dazu gehört nach seiner Auffassung, Schluss zu machen mit „konfusen pädagogischen Methoden“, bei denen „nicht einmal mehr das Einmaleins strukturiert“ gelernt würde. Als Vergleich für ein Land, das es besser mache, fällt ihm China ein. Tradition würde hierzulande nicht mehr hoch gehalten, Disziplin sei ein Fremdwort, so Kartheiser, der Werte wie „subordination“, „autorité“ und „discipline“ im entsprechenden Schul-Reglement vermisst.

Ganz besonders gegen den Strich gehen ihm aber die neuen Zeugnisse, die Bilans intermédiaires und die Bilans de fin de cycle. Weil die nur lobten, aber keine Schwächen aufzeigten. Schüler müssten auf den „Wettkampf“ vorbereitet werden, das hieße eben, zu lernen, die „Wahrheit zu ertragen“, sagt der, der sich zuvor über die utilitaristische Ausrichtung der Schule gesorgt haben will. Dass die Bilans sehr wohl Auskunft über individuelle Lernrückstände geben, nur nicht im Verhältnis zur Klasse, sondern zu Mindestanforderungen, sagt er nicht.

Früher habe es noch Ambition gegeben, so Kartheiser. Überhaupt scheint früher alles besser gewesen zu sein. Auf das alte System festlegen mag er sich gleichwohl nicht: In ihrem Reflexionspapier zur Schulpolitik hatte die ADR 2008 selbst noch eine tiefgreifende Schulreform gefordert, in dem Schulen als „Dienstleistungsunternehmen“ funktionieren und Eignungsprüfung und Privatbeamtenstatut als „Garanten für eine leistungsorientierte Lehrerschaft“ dienen sollten. Ob die hohe Zahl an Schulabbrechern im technischen Sekundarunterricht, die zuvor durch die alte Primärschule gegangen sind, ihm nicht zu denken geben, wird er gefragt. Das sei nicht das Thema der Pressekonferenz, redet er sich heraus. Das war wohl eher, zu demonstrieren, wie so manche Politiker Sachverhalte verdrehen, falsche Kronzeugen für die eigene Sache einspannen, um dann von sich zu sagen, „ehrlich“ zu sein.

Übrigens: In seinem Forum-Interview spricht sich der Gewerkschafter Patrick Arendt für den tronc commun aus. Und obschon der Lehrer stark an der Kompetenzlogik zweifelt und dies auch begründet, mit der ADR teilt er recht wenig. Der Behauptung Kartheisers, das 60-Punkte-System sei „objektiv“, steht diametral die – wissenschaftlich gestützten – Aussage Arendts entgegen, es gebe „keine objektive Bewertung“. Der findet vielmehr Worte für eine Bewertung ohne Noten: Die neue Form sei „weitaus aussagekräftiger als die alte Art der Benotung. Sie erlaubt die Beschreibung der Fähigkeiten des Kindes“. Was Arendt vor allem bemängelt, ist der „administrative Aufwand“ für die Lehrer, der mit den neuen Bilans, den Konzertationen und den vielen Vorschriften einhergehe. Aber um seine nuancierte Sichtweise ging es auf der ADR-Pressekonferenz ja nicht.

Ines Kurschat
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