Frankenstein

Leben lernen

d'Lëtzebuerger Land du 21.06.2001

"Hello Dolly" könnte Andy wohl seine Vorgängerin, das Schaf grüßen. Andy ist der erste gentechnisch veränderte Primat. Steve Karier erzählt von Andy, tritt aus seiner Rolle und erzählt von den zeitgenössischen Auswüchsen des menschlichen Forschungsdrangs. Aber vielleicht musste er gar nicht aus seiner Rolle treten. Steve Karier spielt die Kreatur in Franz-Josef Heumannskämpers Inszenierung von Frankenstein, nach dem Roman von Mary Shelley (1818), bald das Geschöpf, bald den Schöpfer und teilt sich die Figuren mit Jean-Guillaume Weis, dem Tänzer und Choreographen. 

Wobei Karier eher die Stimme, das Wort und Weis der Körper, die Bewegung wäre. Über die Bühnenfassung von Michael Farin hinaus hat das Trio assoziativ gearbeitet, Textfragmente eingefügt, wo Shelley ein aktuelles Echo hervorruft. Denn, um es mit Georg Seesslen zu umschreiben: "Es gibt keine neue Angst, die nicht die Wiederkehr einer alten Angst ist. Oder: Es gibt kein wissenschaftliches Problem, das nicht die Wiederkehr eines mythischen Problems ist." (taz, 4.1.2001). 

Frankenstein ist nicht nur die Geschichte des "modernen Prometheus" sondern auch die eines neugeborenen Lebens, der Einsamkeit der frisch in die Welt geworfenen Kreatur. "Verfluchter Schöpfer, der mich in dieses unerträgliche Elend gestoßen hat," ärgert sich das Geschöpf - die unendlich scheinende Tiefe, die übermenschlichen Dimensionen der Gabläsehalle auf Esch-Belval unterstreichen dieses Verlorensein, die minimalen Eingriffe der Bühnenbildnerin Diane Heirend betonen und heben hervor, statt zu verstecken. Die beeindruckende Industriearchitektur mit ihren Schatten und ureigenen Geräuschen, wie das Turteln der Tauben im Gebälk oder das Ächzen eines Luftzuges durch das Wellblech tragen zum Raumexperiment bei anstatt dagegen anzukämpfen. 

Dass Franz-Josef Heumannskämper, Diane Heirend und Steve Karier immer wieder zusammenarbeiten, ist kein Zufall, alle drei denken und arbeiten transdisziplinär, sprengen immer wieder die engen Grenzen des Theaters. So wie Diane Heirend die Architektur ausleuchtet, tut Franz-Josef Heumannskämper das mit der Kulturgeschichte - Kandinsky, Warhol, Schwitters und jetzt Shelley - und beweist letztlich auch so die Erhabenheit und Allgemeingültigkeit der Kunst im weiten Sinne. In diesem Trio kann die Körperlichkeit des Jean-Guillaume Weis eine neue Dimension bringen.

Frankenstein ist die erste eigene Theaterproduktion der Kulturfabrik, früher übernahm die Theater GmbH immer diese Rolle. Frankenstein versteht sich als Experiment mit Licht, Raum, Sound und Bewegung, stellt Fragen über die Schöpfung an sich und konnte dafür wohl kaum einen besseren Ort finden als die Gebläsehalle mit ihren gigantischen Kesseln und Schloten, den verwundenen Gängen und verwahrlosten Nebenräumen. In sechzehn Schlüsselszenen werden die Hauptmomente des Romanes erforscht und immer wieder Zusammenhänge zur aktuellen Debatte über Gentechnik und -manipulation aufgewiesen. Wer jedoch Franz-Josef Heumannskämper kennt, der weiß, dass bei aller Ethik, die Ästhetik nie in den Hintergrund gerät. 

 

Frankenstein, nach dem Roman von Mary Shelley; Dramaturgie: Michael Farin, Spielfassung: Farin/ Heumannskämper/ Karier/ Weis; Regie: Franz-Josef Heumannskämper; mit Steve Karier und Jean-Guillaume Weis; Bühne: Diane Heirend; Kostüme: Ute Paffendorf: Choreographie: Jean-Guillaume Weis und Franz-Josef Heumannskämper; Regieassistenz: Marion Rothhaar; Produktion: Kulturfabrik; 

Premiere am 28. Juni um 21 Uhr, weitere Vorstellungen am 30. Juni sowie am 8., 9. und 12. Juli, jeweils um 21 Uhr in der Gebläsehalle auf Esch-Belval; Telefon für Reservierungen:  55 88 26.

 

 

josée hansen
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