Die Heilige Johanna der Schlachthöfe

Jeanne Dark in finsterer Zeit blutiger Verwirrung

d'Lëtzebuerger Land du 07.06.2001

Die Beschleunigung der Kapitalzirkulation führt zur häufigen Verwechslung von "aktuell" und "modisch" bei Kommentatoren, denen das gebührende Epitheton hier erspart sei und die gehört haben, dass Brecht nicht mehr aktuell sei. 

Und dann wurde im alten Escher Schlachthof Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe in der Vertonung Victor Fenigsteins aufgeführt, im Jahr der Maul- und Klauenseuche, als die Rinderscheiterhaufen loderten und "Fleischkönig" Pierpont Mauler eben einmal den Viehzüchtern in Versen die europäische Agrarpolitik kurz erklärte: "Verstopft war / In diesem Jahr der Fleischmarkt und so sank / der Viehpreis in ein Nichts. Nun, ihn zu halten / Beschlossen wir, Packherr und Viehzüchter, gemeinsam / Grenzen zu ziehen der hemmungslosen Aufzucht / Das Vieh, das auf den Markt kommt, zu beschränken / Und vom Vorhandenen auszuschalten, was zu viel ist, also / Ein Drittel allen Viehes zu verbrennen." Und was mussten "die kleinen Spekulanten" der new economy schon damals Lehrgeld an den Makler Slift zahlen: "Ich will euch lehren / Fleisch in Büchsen zu verkaufen und / Kein Fleisch zu haben."

Letzte Woche, als die Verkäuferinnen von Marks and Spencer unter Anführung des LCGB gegen die Schließung ihrer Geschäftsniederlassung demonstrierten, stellte Brechts in der Weltwirtschaftskrise aus Schiller und Upton Sinclair zusammengerührtes Stück am Beispiel von Werksschließungen in Chicago nicht nur die nötigsten Betrachtungen über Rationalisierungen und Konkurrenzfähigkeit  an, sondern rechnete am Beispiel der Heilsarmee auch ziemlich unhöflich mit dem LCGB sowie den humanitären ONG-Gutmenschen aller Art ab. Und weil der durch eine Schweizer-Luxemburger (!) Koproduktion in der Minettemetropole aufgeführte Dramatiker von herausragender Bösartigkeit war, trägt sein Pierpont Mauler auch noch den Vornamen John Pierpont Morgans, des Gründers von US Steel.

In ehrfurchtsvoller Komplizität bemühte sich der in Ötringen lebende Fenigstein, selbst Opfer und scharfsinniger Beobachter des vorigen Jahrhunderts, den Irrtum und Verrat der Johanna Dark/d'Arc "in finsterer Zeit blutiger Verwirrung" ganz im Sinne Brechts zu vertonen. Beinahe didaktisch setzte er seine Musik hervorhebend und kontrastierend in das Interesse des Textes, ordnete den einzelnen Figuren oft in Soli unterschiedliche Instrumente zu, so wie Brecht sie in verschiedenen Versformen sprechen lässt, verarbeitete in der Tradition der Brecht-Komponisten populäre Musikgenres und ließ alles in den großen, lehrreichen Schluss-Choral münden. 

Auch wenn eine der Folgen der Globalisierung war, dass ein großer Teil der Interpreten den deutschen Text nur phonetisch sangen, während besonders Susannah Haberfled in der Titelrolle, Jean-Jacques Knutti (Mauler) und Patric Ricklin (Slift) hervorstachen.

Regisseur Frank Hoffmann hatte diesmal auf leere Effekte verzichtet und sich mit seiner schönen und  klaren Inszenierung in den Dienst des (gekürzten) Textes und der Musik gestellt. Nur die heute allzu agitatorisch wirkenden Momente ironisierte er, und ansonsten wurde gerne operngerecht in Ohnmacht gefallen. Umringt vom Publikum, dem Orchester der Hochschule für Musik und Theater Bern-Biel und dem PAEB Percussions Ensemble Bern, führten die eineinhalb Dutzend Interpreten das Stück unter großem Einsatz in Doppel- und Dreifachrollen auf. Das sparsame und vielfältig nutzbare, im Gegensatz zum Text klinisch reine Bühnenbild von Erich Fischer verhinderte schließlich wirksam und ganz im Sinne Brechts, dass irgendwelche Illusion über die Natur des Theaters aufkamen.

 

Keine Aufführungen mehr.

 

Romain Hilgert
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