Im Auftrag des Sozialministers sucht die CNS nach Wegen, um die 1. Klasse in den Krankenhäusern abzuschaffen. Aber was wird dann aus den Ein-Bett-Zimmern?

Zimmer mit Aussicht

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.2011

In der Arbeitsgruppe der Krankenhaus-Verwaltungsdirektoren staunte man nicht schlecht über die Ankündigung, die kurz vor den Sommerferien die Gesundheitskasse CNS machte: Der Krankenhausaufenthalt 1. Klasse in einem Einzelzimmer solle abgeschafft werden.

Gemeint ist damit nicht die Regel, dass Krankenhausärzte einem 1. Klasse beherbergten Patienten einen Zuschlag von 66 Prozent auf ihr Honorar in Rechnung stellen dürfen. Dass dieser Zuschlag „nach und nach“ entfallen soll, weil er keine Zusatzleistung vergütet, steht im Regierungsprogramm. Die Ankündigung der CNS geht in eine grundsätzlichere Richtung: Einzelzimmer sollen künftig nicht mehr als 1. Klasse-Zimmer gelten können. Womit natürlich auch der Anlass für die Honoraraufschläge entfiele.

Ob es dazu tatsächlich kommt? Aus der EHL verlautet, die CNS habe „ganz klar deutlich gemacht, in diese Richtung gehen zu wollen“. Wie sich der Krankenhausverband dazu stellt, soll dessen Verwaltungsrat am 20. September diskutieren. Dem Vernehmen nach aber geht das Bestreben zu einer Abschaffung der 1. Klasse nicht ursprünglich von der CNS aus, sondern von Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP), der der CNS dafür den Auftrag gab.

Weder der CNS-Präsident, noch der Minister beantworten Anfragen des Land in dieser Sache. Doch dass die Initiative nicht von der Kasse ausgeht, dürfte zutreffen: Beim derzeitigen Stand der Dinge ist die CNS von der 1. Klasse in den Spitälern nicht betroffen. Ihren Versicherten erstattet sie weder vom 66-Prozent-Aufschlag auf der Rechnung eines Krankenhausarztes etwas zurück, noch vom 1. Klasse-Mehrpreis, den ein Krankenhaus für die Belegung eines Einzelzimmers erheben darf. Beide bezahlt der Patient entweder aus der eigenen Tasche oder über eine Zusatzversicherung, sei es die Caisse médico-chirurgicale mutualiste (CMCM) oder eine private Krankenversicherung.

Doch Konventionen zwischen der CNS, dem Krankenhausverband EHL und dem Ärzteverband legen auch fest, was Spitäler und Mediziner den Patienten in Rechnung stellen dürfen, ohne dass die Kasse etwas rückerstattet. Die klassenlose Krankenhauswelt sollen neue Konventionen mit EHL und AMMD einführen; die mit der EHL wird derzeit verhandelt. Und wenn die CNS dabei die Abschaffung der 1. Klasse ankündigt, setzt sie eigentlich nur einen kleinen Passus aus der Ende letzten Jahres verabschiedeten Gesundheitsreform um: Bis dahin stand in Artikel 66 des Sozialversicherungsgesetzbuchs, dass eine Konvention der Gesundheitskasse mit den Ärzten „obligatoirement“ die Modalitäten für erhöhte Arzttarife „pour l’hospita-lisation en première classe“ festlegen müsse. Was sich lesen ließ, als seien sowohl ein Spital-Aufenthalt 1. Klasse mit Aufpreis, als auch höhere Arzttarife für 1. Klasse-Patienten sogar gesetzlich vorgesehen.

Diese Bestimmung wurde mit der Gesundheitsreform gestrichen. Sie habe keinen Platz mehr im Gesetz, hieß es zur Begründung im Reformtext. Denn eine Unterbringung 1. Klasse im Krankenhaus sei ein Anreiz für eine „hospitalisation exagérée“. Außerdem gebe es „difficultés d’interprétation, comme par exemple si chaque chambre à un lit peut être considérée comme première classe ou si un seul patient acceuilli en chambre double il peut être consideré comme patient en première classe“. Zum Ein-Klassen-Patienten übergehen zu wollen, ist demnach weder die Idee der CNS, noch etwa das persönliche Anliegen des Sozialisten Di Bartolomeo – sondern das der gesamten Regierung.

Fragt sich nur, wie der Weg dahin aussehen soll. Bisher darf ein Krankenhaus jeden Tag eines stationären Aufenthalts als „1. Klasse“ mit einem vom Haus selbst festgelegten Mehrpreis in Rechnung stellen, wenn der Patient ein Ein-Bett-Zimmer belegt, das außerdem mindestens über ein Waschbecken mit warmem und kaltem Wasser, eine individuelle Toilette oder eine, die mit noch einem Zimmer geteilt wird, sowie über eine elektronische Rufeinrichtung verfügt. Die Toilette nicht mitgerechnet, muss das Zimmer mindestens elf Quadratmeter groß sein.

Nach welchen Kriterien aber sollen solche Zimmer künftig vergeben werden? Bei ihrem Treffen mit den Verwaltungsdirektoren der Spitäler schlug die CNS vor, die Vergabe von der medizinischen Indikation abhängig zu machen. Das kann bereits heute so sein, betrifft jedoch Einzelfälle. Künftig könnten, so die Idee der CNS, zum Beispiel für Herzinfarktpatienten oder nach Entbindungen generell Ein-Bett-Zimmer zuerkannt werden. Das klingt plausibel, ist aber womöglich nicht realistisch: Simulationen beim Krankenhausverband haben ergeben, dass dafür vier bis fünf Mal mehr Einzelzimmer in den Spitälern bereit stehen müssten. Aber schon heute herrsche Knappheit, meint ein Krankenhaus-Verwaltungsdirektor gegenüber dem Land: „Ganz viele Leute fragen nach einem Einzelzimmer und erklären, sie hätten schließlich jahrelang in die Caisse médico eingezahlt.“

Die Bemerkung deutet an, dass ein Bruch mit der Gleichsetzung „Ein-zelzimmer = 1. Klasse“ durchaus auf ein Akzeptanzproblem in der Bevölkerung stoßen könnte: Über 195 000 Personen waren 2009 bei der Caisse médico chirurgicale mutualiste im Régime Prestaplus zusatzversichert. Prestaplus trägt während einer begrenzten Zahl von Krankenhaustagen pro Jahr alle 1. Klasse-Extrakosten bei einem Spitalaufenthalt. Ist ein schwerer chirurgischer Eingriff nötig, übernimmt die CMCM diese Kosten auch im Régime commun für ihre Mitglieder. 2009 zählte das Régime commun der Caisse médico 280 000 Personen. Selbst wenn man Privatversicherte und EU-Bedienstete mit EU-Krankenversicherung nicht mitzählt, ist die Absicherung gegen 1. Klasse-Kosten bei Krankenhausbehandlungen hierzulande fast schon eine Volksversicherung – und das Anspruchsdenken auf ein Zimmer für sich allein womöglich ziemlich weit verbreitet.

Dagegen müssten die Versicherten der CNS sich darauf einstellen, dass die Gesundheitskasse teurer würde bei Abschaffung der 1. Klasse. Im Gesundheitsreformtext hatte die Regierung letztes Jahr bekräftigt, der Wegfall des 66-Prozent-Zuschlags auf das Honorar der Krankenhausärzte sei kein Versuch, deren Einkünfte zu beschneiden. In Verhandlungen mit „allen beteiligten Akteuren“ solle ein Übergangsregime gefunden werden. Gegen-über dem Krankenhausverband erklärte die CNS, sie werde für die Krankenhausärzte ermitteln, welche Zusatzeinnahmen sie von Fachsparte zu Fachsparte aus dem Honorarzuschlag beziehen, und diesen Einnahmenverlust durch eine anteilige Steigerung der generellen Arzttarife kompensieren. Doch: Damit entstünden der CNS Ausgaben, die sie derzeit noch nicht hat.

Die Ankündigung der Gesundheitskasse, den Ärzten die verloren gehenden Zuschläge zu kompensieren, hat wiederum bei den Krankenhausdirektionen für Unruhe gesorgt. Denn für die Krankenhäuser, die von der CNS ein Jahresbudget erhalten, machen die Einnahmen aus der 1. Klasse-Hotellerie einen wichtigen Teil ihrer wenigen von der CNS unabhängigen Einkünfte aus, inklusive einer Gewinnspanne. Bei der EHL hält man sich derzeit mit der Bezifferung eventueller Einnahmenverluste durch Wegfall der 1. Klasse zurück. Doch wenn die CNS den Ärzten den Einnahmenausfall zu kompensieren bereit ist, scheint es alles andere als ausgeschlossen, dass die Krankenhäuser verlangen könnten: „Wir auch!“ Daraus könnten der CNS weitere Kosten entstehen, die sie derzeit noch nicht hat.

Natürlich wären die neuen Kosten für die CNS logische Konsequenzen, wenn die Einzelzimmer-Belegung vergesellschaftet werden soll und die bisherigen Zuschläge ebenfalls. Doch über die Einnahmenausfälle aus der 1. Klasse sind schwierige Diskussionen absehbar – mit Spitälern wie mit Ärzten. Mit den Spitälern, weil unter ihnen die Einzelzimmer ungleich verteilt sind. Vor allem die neu gebauten Häuser verfügen über besonders viele – und damit über mehr Möglichkeiten, Extra-Einnahmen zu erzielen. Wie groß die Unterschiede sind, verdeutlicht die Carte sanitaire des Gesundheitsministeriums vom Jahr 2006: Demnach gab es beispielsweise im Hôpital de Kirchberg 111 Zwei-Bett-Zimmer und ebenso viele Ein-Bett-Zimmer, in der Bohler-Klinik 20 Zwei-Bett-Zimmer und 50 Einzelzimmer. Dagegen bestanden im Centre hospitalier de Luxembourg, dem größten Krankenhaus der Hauptstadt, lediglich 31 Einzelzimmer.

Bei den Krankenhausmedizinern stellt das Problem sich ähnlich: Die bestehende Gebührenordnung für Arztleistungen führt zu teilweise [-]beträchtlichen Einkommensunterschieden unter den Arztdisziplinen. Würde auf die bestehenden Tarife einfach ein Ausgleich wegen der wegfallenden 1. Klasse aufgeschlagen, könnten die Einkommensunterschiede sich noch verschärfen.

Gesundheitspolitisch wäre das kontraproduktiv. Besteht eines der wichtigsten Ergebnisse der Gesundheitsreform doch in der Übereinkunft, dass Luxemburg eine neue, eine moderne Mediziner-Gebührenordnung erhalten soll, die transparent ist und die Ärzte gerecht entlohnt, neue Behandlungsmethoden enthält und auch die Ausübung von Spitzenmedizin hierzulande erlaubt. Vorbereiten sollen das neue Tarifwerk verschiedene neue Gremien; zum Teil aber sind sie noch nicht einberufen. In dieser Situation das Einkommensgefüge unter den Ärzten durch 1. Klasse-Kompensa-tionen zu verändern, würde die Debatte um das neue Tarifwerk nicht leichter machen. Abgesehen davon, dass noch die gute Idee fehlt, wie man die Einzelzimmer in den Spitälern künftig vergibt, scheint die Gefahr groß, dass die Versuche zur Abschaffung der 1. Klasse zu einem einzigen Durcheinander führen.

Peter Feist
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