Gesundheitsreform bei den Krankenhäusern

Eine Kasse, viele Akteure

d'Lëtzebuerger Land du 12.08.2011

Schlimme Befürchtungen äußerte Ende Juli, kurz vor Beginn der politischen Sommerpause, die Arbeitnehmerkammer: Durch die Einführung eines so genannten Globalbudgets für die Krankenhäuser drohe eine Verschlechterung der Behandlungsqualität.

Es ist das erste Mal, dass die zum 1. Januar wirksam gewordene Gesundheitsreform derart grundsätzlich attackiert wurde. Erstaunlich ist es aber nicht: Was Anfang des Jahres in Kraft trat, ist eine Rahmenreform. Wichtige Einzelheiten ihrer Umsetzung sollen 24 großherzogliche Verordnungen regeln. Im gesundheitspolitisch ziemlich heißen Herbst 2010 waren jedoch die wenigsten davon auch nur als informelle Vorentwürfe spruchreif. Seit drei, vier Monaten kommen sie nach und nach auf den Tisch. Ein paar politisch weniger brisante Ausführungsbestimmungen sind mittlerweile schon in Kraft getreten, ohne dass es viel Aufhebens gab. Das Globalbudget ist ein Thema, das zu den brisanteren zählt.

Könnte unter dem neuen Instrument tatsächlich die Behandlungsqualität leiden? Möglicherweise ja. Doch dann wäre nicht das Globalbudget selber die Ursache. Auf jeden Fall ändert sich mal wieder die Krankenhausfinanzierung. Bis zur Krankenkassenreform Anfang der Neunzigerjahre hatten die vielen berufsständischen Kassen einfach sämtliche Kosten der Spitäler übernommen. Seit 1993 müssen alle Häuser ein Budget für das jeweils nächste Jahr mit der Kasse aushandeln. Bei den individuellen Verhandlungen bleibt es weiterhin. Doch alle zwei Jahre wird ein Globalbudget festlegen, wie viel die Gesundheitskasse CNS in den zwei Jahren danach an alle Spitäler insgesamt verteilen kann. Das erste, provisorische Globalbudget trat bereits mit dem Gesundheitsreformgesetz in Kraft und gilt für dieses und nächstes Jahr.

Neu ist aber nicht nur das Globalbudget an sich. Interessanterweise entscheidet nicht die CNS, wie groß die Enveloppe alle zwei Jahre werden darf, sondern die Regierung – und nicht der Sozialminister allein, sondern der Regierungsrat, also auch der Finanzminister. Im Grunde ist das ein Schritt weg von einer Krankenversicherung nach dem Bismarck-Modell, die die Sozialpartner paritätisch verwalten, und ein Schritt hin zu einer staatlich gelenkten.

Für die Patienten ist das nicht von vornherein nachteilig. Aber natürlich ist das Globalbudget ein Versuch, das Wachstum der Gesundheitsausgaben zu beeinflussen. Weil an die 50 Prozent davon Krankenhauskosten sind, ist es nicht unlogisch, dass die Gesundheitsreform verfügt hat, ausgerechnet deren Entwicklung zu deckeln. Da der Staat zu den Einnahmen der Krankenversicherung 40 Prozent aus Haushaltsmitteln beiträgt, ist es gleichfalls nicht unlogisch, dass die Regierung den größten Ausgabenposten der CNS nun lieber selber steuert.

Aber ob das wirklich klappt? In der Gesundheitsreform hatte die Regierung für die Krankenhausausgaben 2011 und 2012 zunächst nur ein Wachstum um jeweils drei Prozent zulassen wollen – halb so viel, wie der Zuwachs im Jahresschnitt 2004 bis 2009 betrug. Auf Druck der Gewerkschaften sagte die Koalition schließlich zu, dass in den drei Prozent keine Index-Tranche berücksichtigt würde. Doch weil je nach Spital 70 bis 80 Prozent der Ausgaben im Budget Personalausgaben sind, wirkt eine Index-Tranche sich merklich aus.

In dem Fall aber würde sowieso nichts gespart, rechnet die Arbeitnehmerkammer vor, die gegen das Globalbudet ist. Je eine Index-Tranche zusätzlich zu den drei Prozent, ergäben für 2011 und 2012 mit 6,25 Prozent sogar einen noch höheren Anstieg der Ausausgaben als in den Jahren zuvor. Weitere Personalkostenanstiege sind überdies programmiert: Das neue Gehälterabkommen für den öffentlichen Dienst muss für das nichtärztliche Personal in den Spitälern per Kollektivvertrag nachvollzogen werden. Zeitlich versetzt zwar, doch da der Punktwert für die Karrieren der öffentlich Bediensteten zwischen 2010 und 2013 um jeweils 0,55 Prozent steigt, wachsen die Personalkosten der Spitäler in jedem Falle rückwirkend.

Das könnte dann doch Konsequenzen für die Patienten haben: Laut Krankenkassengesetz muss die CNS finanzieren, was sich aus Kollektivverträgen ergibt. Doch je nachdem, wie streng die Regierung die Globalbudgets handhabt, könnte die CNS gezwungen sein, bei den Krankenhäusern auf Einsparungen an anderer Stelle zu drängen. Das ist es, was die Arbeitnehmerkammer fürchtet, wenn sie in ihrem Gutachten zum Entwurf für die großherzogliche Verordnung zum Globalbudget im Namen der Gewerkschaften präventiv droht, man werde keinesfalls akzeptieren, dass der Staat sich in die Tarifautonomie einmischt, und weiter hinten erklärt, dem Verordnungsentwurf fehlten „dispositions sur la qualité des soins“, und seine „Philosophie“ bestehe vor allem darin, den Staatsbeitrag an der Krankenhausfinanzierung bremsen zu wollen.

Zum Glück ist die Finanzlage der Krankenversicherung nicht so schlecht, dass die Spitäler dadurch schon demnächst in Bedrängnis geraten könnten. Wegen des erneuten Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums schloss die CNS ihr Haushaltsjahr 2010 mit einem kumulierten Überschuss von 83 Millio-nen Euro ab statt mit einem Defizit. Das Ziel der Regierung, die Krankenhausausgaben steuerbar zu machen und zugleich jedem Patienten zu jedem Moment eine Behandlung nach den „acquis de la science“ zu garantieren, wie es das Spitalgesetz vorschreibt, könnte sich aber noch aus anderen Gründen als schwierig zu realisieren erweisen.

Ein Problem ist, dass niemand wissen kann, was genau in den Spitälern am Patienten geleistet wird und was das kostet. Statt eines Gestehungspreises für die „Produktion“ im Spital, gibt es Krankenhauskosten, die an Kostenstellen wie dem Operationstrakt, der Intensivstation oder der Röntgenabteilung anfallen, und daneben die Kosten für Arzthonorare, die nicht zum Spitalbudget gehören.

Allerdings ist für dieses Problem eine Lösung in Sicht. Denn im Herbst 2013 müssen alle EU-Staaten die Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung erfüllen. Jeder Unionsbürger, der sich zu einer Behandlung ins Ausland begeben möchte, muss dann nicht nur vorab erfahren können, welchen Qualitätsansprüchen die Spitäler EU-weit bei welchen Leistungen gerecht werden. Sondern auch, was jede Leistung in welchem Spital in Euro kostet. Nicht zuletzt dieses europäischen Drucks wegen wurde mit der Gesundheitsreform eine Dokumentation der Tätigkeit im Spital, inklusive der des Arztes, anhand internationaler Kodierungsnormen Pflicht. Dann werden alle Luxemburger Spitäler vergleichbar. Die CNS und die Generalinspektion der Sozialversicherung arbeiten an der Umsetzung.

Kritischer ist die Frage, ob ein Globalbudget, das die Kosten steuern und gleichzeitig Qualität garantieren will, nicht auch voraussetzen würde, dass alle Krankenhausärzte fest angestellt sind. Aber das wahrscheinlich größte Problem bilden im Moment die Spitäler selber.

Denn das Globalbudget ist nicht nur finanzpolitisch gedacht, es soll auch pädagogisch wirken. Bekämen es die Spitäler mit einem gedeckelten Budget für alle zu tun, so die Überlegung aus der Gesundheitsreform vom letzten Jahr, dann könnten sie gar nicht anders, als nach Synergien zu suchen und Aktivitäten zu bündeln, damit die Kosten im System sinken. Doch wie die Dinge liegen, funktioniert das – zumindest derzeit – nicht.

Im Gegenteil: Im Krankenhausverband Entente des hôpitaux luxembourgeois (EHL) ist dem Vernehmen nach die Atmosphäre so gespannt wie lange nicht. Nach Inkrafttreten der Reform im Januar standen die Zeichen für ein paar Monate auf Kooperation. Denn mit der Gesundheitsreform wurde nicht nur das Globalbudget eingeführt, sondern zum Beispiel auch die Aussicht, „Kompetenzzentren“ zu bilden, für welche die Spitäler einander Aktivitäten abtreten müssten.

Anfang Mai jedoch wurde die ko-operative Stimmung nachhaltig beschädigt: Das Centre hospitalier de Luxembourg (CHL) und die Kongregationsstiftung François-Élisabeth, der neben dem Hôpital de Kirchberg und der Bohler-Klinik auch die Escher Clinique Sainte-Marie angehören, schlossen ein Abkommen über eine verstärkte Zusammenarbeit. Zur feierlichen Unterzeichnung luden sie die Presse ein, und die Verwaltungsratschefs beider Träger erklärten, man werde unter anderem bei der Bildung von Kompetenzzentren zusammenwirken und lade „die anderen Spitäler des Landes“ ein, an den Synergien teilzuhaben.

Doch: Seit der Gesundheitsreform ist im Spitalgesetz explizit festgehalten, dass Kompetenzzentren innerhalb der EHL von allen gemeinsam definiert werden sollen. Die seltsame Regelung gelangte ins Gesetz, weil das Thema so sensibel ist. Das Separatabkommen von CHL und Kongregationsstiftung aber überraschte alle anderen; und das zu einem Moment, da verbandsintern die Gespräche über Kompetenzzentren schon ziemlich weit gediehen waren. Aber weil seitdem die Spannungen so groß sind, sieht es derzeit so aus, als könnte jedes Spital versuchen, seine Aktivitäten zu maximieren, um nächstes Jahr, wenn das erste „richtige“ Globalbudget aufgestellt wird, einen möglichst großen Anteil davon zu erlangen: Klinikbudgets werden stets auf der Grundlage vergangener Aktivitäten berechnet.

Am Separatabkommen von CHL und Kongregationsstiftung zeigt sich aber auch das politische Problem, das sich um eine Zusammenarbeit der Spitäler und ein Instrument wie das Globalbudget stellt: Wollte der Gesundheitsminister fünf große Spitäler, die eigenständige juristische Personen sind, zur Zusammenarbeit und zu gemeinsamen Effizienzanstrengungen bewegen, dann wären von seiner Seite Vorgaben nötig, wohin die Klinikmedizin sich hierzulande in den nächsten Jahren entwickeln soll.

Schon immer aber trieben CHL und Kirchberg-Krankenhaus den Konkurrenzkampf unter den Spitälern voran und wollten etwas Besonderes sein. Das eine, als Ziehkind der LSAP, das öffentliche Musterkrankenhaus im Sinne der sozialliberalen Koalition der Siebzigerjahre. Das andere das „private“ Pendant dazu, durchgesetzt in den neoliberalen Neunzigern von Bistum und CSV und von vornherein als Konkurrent zum CHL konzipiert.

Wie weit der Gesundheitsminister gegenüber diesen beiden Krankenhäusern und ihren Lobbys zu gehen vermag, ist nicht so sicher. Beim diesjährigen Gesundheitstag im Mai in Bad Mondorf drohte Mars Di Bartolomeo öffentlich, nächstes Jahr könnte ein neuer staatlicher Spitalplan Kooperationen unter den Spitälern erzwingen. Doch die Erfahrung lehrt, dass Drohungen oft ein Ausdruck von Machtlosigkeit sind. Würde sich diese Vermutung bestätigen, was die Krankenhausmedizin im Lande betrifft, dann wird bei weiterem Konkurrenzkampf und bei gleichzeitigem staatlichem Einspar-druck durch ein Globalbudget nicht nur die Behandlungsqualität schlechter. Dann hätte das heimische Gesundheitswesen seine kleine „Euro-Krise“ mit vielen Akteuren um eine Kasse.

Peter Feist
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