Am Anfang war die Biene. Etwa 1,7 Millionen Menschen in Bayern unterzeichneten vor wenigen Monaten das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Dies sind immerhin ein Fünftel aller Wahlberechtigten im Freistaat. Und damit für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, gleichzeitig auch Parteivorsitzender der CSU, eine kritische Größe. Mit diesem Volksbegehren begann der sichtbare wundersame Wandel des Ersten Bayern im Staate. Denn ihm ist klar, will die CSU als Volkspartei überleben, muss sie bei einem Thema, das die Bürgerinnen und Bürger derart umtreibt, eine radikale Kehrtwende hinlegen. Horst Seehofer, Söders Vorgänger in beiden Ämtern, hatte den gleichen Instinkt, doch setzte er auf das falsche Thema: Migration. Und scheiterte.
Söders Kalkül: Wenn du eine mächtige Bewegung nicht verhindern kannst, dann kapere sie und setze dich an deren Spitze. Damit begann die Metamorphose der CSU von der Partei des rigorosen Wirtschaftswachstums zu einer des engagierten Umweltschutzes. Und das in einem verblüffenden Tempo: Im April teilte Markus Söder der erstaunten Landtagsfraktion mit, dass die Landesregierung die Forderung nach deutlich mehr Umwelt-, Natur- und Artenschutz übernehmen wollte. Ganz und gar. Der Landtag beschloss drei Monate später eine entsprechende Gesetzgebung, mit dem die Bayern nun alle anderen Bundesländer übertreffen. Zwar protestierten die Landwirte im Land vehement, als deren Schutzpatron sich die CSU bisher inszenierte. Doch diese machen nur zwei Prozent der Wähler aus – und sind damit für Söder inzwischen eine zu vernachlässigende Größe.
Während FDP-Chef Christian Lindner die Fridays-for-Future-Bewegung als Kinderkram abtat, traf sich Markus Söder still und heimlich in der Münchner Staatskanzlei mit den Umweltaktivisten. Nur ein Baustein zu dem Masterplan für ein ökologisches Bayern, der gut und gerne aus der Feder der Grünen stammen könnte. Bis 2040 soll der Freistaat komplett klimaneutral sein. Die bisherige Begrenzung für Photovoltaik-Anlagen wird nahezu aufgegeben, zudem sollen rund hundert neue Windanlagen entstehen. Wälder und Moore werden zu Kohlendioxid-Speichern ausgebaut, der Verbrauch von Plastik im Alltag drastisch gesenkt, selbstredend werden die Bienen gerettet und die Luft verbessert. Bereits nächstes Jahr sollen zwei Drittel des Fuhrparks der Staatsregierung nicht mehr mit Verbrennungsmotor fahren, auch müssen Beamte und Politiker auf Flugreisen verzichten, wenn es die Bahn als Alternative gibt.
Doch damit nicht genug. Was Bayern recht ist, soll Deutschland billig sein. Söder, so sein neuester Clou, will den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe im Grundgesetz verankert haben. Dies sei eine Jahrhundertaufgabe, so der bayerische Ministerpräsident sehr staatsmännisch, die nicht in irgendwelchen Parteienstreit gehöre. Verkündete es zu Beginn dieser Woche und machte sich auf der Suche nach Verbündeten bei Bund, Ländern und Kommunen. Ob nun die plötzliche Ökologisierung die CSU in ihren Grundfesten erschüttern wird, ist nicht zu befürchten. Den Apparat der Partei hat der ehrgeizige Machtmensch voll auf seine Linie gebracht. Weder in der bayerischen Regierung noch in der Landtagsfraktion gibt es ernstzunehmende Gegenspieler – und die Partei möchte nach dem herben Dämpfer bei der letzten Landtagswahl sich endlich wieder auf der Gewinnerseite sehen. Das hat auch Alexander Dobrindt, einst Verkehrsminister, Grünen-Basher und PS-Protz-Förderer in Berlin, verinnerlicht. Noch bevor Söder Zeit hatte, seine Pläne zu erläutern, preschte Dobrindt vor: Verteuerung von Flugtickets, Senkung der Mehrwertsteuer bei Bahntickets und Radikalumbau der Kfz-Steuer zu Lasten hochmotorisierter Geländewagen – die gerne auch von den bayerischen Autoschmieden Audi und BMW produziert werden.
Nicht nur die Grünen reiben sich verwundert die Augen. Politische Beobachter in Berlin sind ob des Tempos des bayerischen Natur- und Parteienschutzes überrascht. Die Einordnung, ob es purer Opportunismus oder neue Erkenntnis ist, fällt schwer. Doch der Weg lässt sich mit der Persönlichkeit Söders erklären. Er hatte schon immer ein Bauchgefühl für politische Stimmungen und scheute selten die 180-Grad-Wende. Eben bei der Migrationspolitik. Erst heftiger denn alle anderen, dann ließ er seinen damaligen Chef Horst Seehofer alleine im Regen stehen. Zu Söder gehört aber auch, dass er bei Umweltthemen sich schon immer sensibel zeigte. 2007 forderte er als erster Politiker ein Verbot der Neuzulassung von Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2020. Zwei Jahre stellte er sich gegen den umstrittenen Donauausbau. Seine Weitsicht: „Wenn wir als CSU in der Zukunft mehr Prozentpunkte wollen als 43, dann ist es wichtig, dass wir uns den Zielgruppen zuwenden, die sich nicht nur mit dem Beton beschäftigen.“ Intern argumentierte er, dass man nicht immer einflussloser werdende Wählergruppen bedienen könne und dabei zusehen müsse, wie die Leistungsträger der Zukunft zu den Grünen abwanderten.
Bislang stand die Partei eher hilflos neben der Riesenresonanz auf ein schwedisches Schulkind, das den untätigen Politikern die Leviten liest, aber auch vor dem kometenhaften Aufschwung der Grünen wie dem bodenlosen Absturz der Sozialdemokraten. „Zwei Megatrends“ würden die Welt verändern, diagnostizierte Söder neulich, „Digitalisierung und Klimawandel.“ Bei beiden dürfe seine Partei nicht den Anschluss verlieren. Dies darf auch nicht bei Machtoptionen im Land wie im Bund passieren – wenn es für Schwarz-Rot nicht mehr reicht, dann doch für Schwarz-Grün. Doch es muss sich erst zeigen, ob Söder die Rechnung nicht doch ohne seine Parteibasis gemacht hat, die sich noch immer im ländlichen Bayern rekrutiert und zunehmend nicht mehr in den Großstädten des Landes. Wenn die Partei ihm nicht bei der Kehrtwende folgt, dann steht er am Ende als Maulheld da. Dies auch nicht zum ersten Mal.