Dreck

Sad heißt traurig

d'Lëtzebuerger Land du 21.09.2000

Riecht der Urin von Ausländern stechender? Ja, könnte sein, irgendwie leuchtet das Sad ein, was eine Studie belegen soll: Wegen der vielen Zwiebeln und des Knoblauchs, den sie essen, müsste das zutreffen.

Sad ist Rosenverkäufer und Ausländer in einer kleinen Stadt. Dort hat er so viele fremdenfeindliche Vorurteile gehört, dass er sie mittlerweile bis zur Selbstaufgabe verinnerlicht. Als Robert Schneider, der Autor des Welterfolges Schlafes Bruder, den Monolog Dreck 1991 schrieb, einen ausdrucksstarken Monolog über Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, dachte er natürlich an seine Heimat Österreich, aber es könnte auch Luxemburg sein.

Zum Beispiel Esch. In der dortigen Kulturfabrik studieren derzeit Marc Baum und Armend Sina, zusammen mit den Kollegen der jungen Truppe Independent Little Lies, Dreck ein. Für Marc Baum drängte sich die Wahl eben dieses Stückes nach der Ausweisung der kosovarischen Flüchtlinge am 24. November letzten Jahres auf. 

Baum, 22, Schauspieler, Regisseur und im Augenblick Student der Germanistik und Theaterwissenschaft an der Berliner Freien Universität, ist politisch stark links engagiert. Wie Steve Karier, der Direktor der Kulturfabrik. Das erste Theaterstück seiner ersten Saison dürfte Karier um so mehr erfreuen, als er selbst Dreck schon 1992 als Hörspiel für den WDR aufnahm und den Monolog 1993 in Luzern und Zürich sowie anschließend auf Tournee auch im Escher Theater spielte.

Die Escher Innenstadt ist derzeit mit überlebensgroßen Fotoporträts von Menschen plakatiert, unter ihren Gesichtern steht nur das Wort "Dreck". Die Provokation sollte nicht nur die Escher auf das Stück aufmerksam machen, sondern vielmehr geht es "um die Macht der Bilder und in wieweit sie die Wirklichkeit beeinflussen", sagt Baum. Bei sämtlichen Porträtierten, bekannte und weniger bekannte Gesichter, handelt es sich um Menschen, deren Lebenslauf zu irgendeinem Zeitpunkt Spuren einer Ausgrenzung aufwies.

Um nicht ausgegrenzt zu bleiben, geht Sad, der Rosenverkäufer, den Weg der Überintegration. Als er ankam, kaufte er sich zum Beispiel nicht, wie alle seine Bekannten, einen Stadtplan oder eine Packung Rattengift, sondern "das beste deutsch-arabische Wörterbuch", das er finden konnte. Sein Langenscheidt, der ihn immerhin 56 Mark oder 348 Rosen gekostet hat, wird für ihn zum Symbol der Integration durch die Sprache.

"Deutsch", sagt Sad, "ist eine schnell wirkende Schlaftablette." Und dass er diese Sprache doch so sehr liebe und beherrschen möchte, obwohl er immer wieder deutsch zu reden versucht und weiter arabisch denkt. Armend Sina, der Darsteller, geht sehr vorsichtig mit eben dieser Sprache um, als könne sie ihm zwischen den Zähnen zerbrechen. Sina, 29, stammt aus dem Kosovo, wohnt jedoch seit 1992 in Deutschland und ist derzeit staatenlos. Marc Baum lernte er in München kennen, als beide dort an einem Theaterprojekt beteiligt waren. Diese zusätzliche Ebene verleiht Dreck noch mehr Kraft, denn der Schauspieler steigt immer wieder aus der Rolle aus, die verschiedenen Wirklichkeitsebenen vermischen sich. Für Armend ist das eine unheimliche Herausforderung: "Ich muss versuchen, nicht zu privat, nicht zu persönlich zu werden. Das Stück muss die Frucht unserer Zusammenarbeit bleiben", sagt er, "viel weniger das, was man erlebt hat. Es muss Kunst bleiben." 

Das Spiel mit den verschiedenen Wirklichkeitsebenen, der Kunstwirklichkeit des Theaters, jener der Figur, des Schauspielers und der des Publikums, stellen die größte Herausforderung für das Duo dar. "Natürlich kann das Stück, beziehungsweise die Kunst nichts bewirken." Dessen ist sich Marc Baum bewusst. Er hofft jedoch, den Zuschauern einen Anstoß zum Nachdenken zu geben, ohne primitiv auf Betroffen zu machen oder Gutmenschen produzieren zu wollen. "Allerdings soll das Ganze schon eine Verbindlichkeit haben, es ist nicht nur das postmoderne Spiel mit Wirklichkeitsebenen, dahinter steckt die existentielle Angst eines Individuums", betont der Regisseur.

Vor dem Publikum, auf dem Stückchen schlichter blauer Bühne von Ro Hilger oder auf seinem Stuhl, ist Armend Sina ganz allein, eine Einsamkeit, die ihm tief in seinen Augen geschrieben scheint. "Irgendwo", meint er zum Schluss des Gespräches, "glaube ich schon, dass ich Sad ein bisschen bin." 

 

Dreck von Robert Schneider; Regie und Konzept: Marc Baum, mit Armend Sina; Ausstattung: Théid Johans [&] Ro Hilger; Fotografie: Jérôme Netgen; Musik: Vincent Artuso und Laurent Schleck; Licht: Karim Saoudi; Produktion: Independent Little Lies, in Zusammenarbeit mit der Kulturfabrik. Die Erstaufführung findet am Mittwoch dem 27. September um 20 Uhr im kleinen Saal in der Kulturfabrik statt; weitere Aufführungen sind am 2., 7., 8., 11., 13. und 17. Oktober; Eintritt: 350 Franken (Studenten: 250 Franken). Kartenvorbestellungen über Telefon: 55 88 26; www.kulturfabrik.lu

 

josée hansen
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