Deutschland

Das Private und das Politische

d'Lëtzebuerger Land du 29.01.2021

Es war die stundenlange Bund-Länder-Konferenz zur Bekämpfung der Corona-Pandemie am Dienstag vergangener Woche als Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken zu seinem Smartphone griff und das Puzzle-Spiel „Candy Crush Saga“ öffnete. Er zockte, während sich die politische Elite des Landes Gedanken um weitere Maßnahmen, um das Wohl und Wehe von Gesellschaft und Ökonomie machte. Er zockte ein recht belangloses Spiel, das mitunter bei langen Bahnreisen oder in Zahnarzt-Wartezimmern von der Tristesse des Alltags ablenkt, aber nicht unbedingt eine intellektuelle Herausforderung darstellt. „Bis zu zehn Level ‚Candy Crush‘ schaffe ich“, sagte Ramelow am vergangenen Freitag in einer virtuellen Diskussionsrunde über die App Clubhouse. So zumindest zitiert ihn die Welt am Sonntag.

Clubhouse ist der neue Star unter den sogenannten sozialen Medien. Sie bietet eine Audio-Plattform, eine Art Radio-Talkshow und Twitter-Diskussion, auf der Menschen in virtuellen „Räumen“ live miteinander und über einander reden können. Die App ist derzeit nur für Apple-Geräte verfügbar und wer an einer virtuellen Diskussion teilnehmen möchte, muss über einen entsprechenden Einladungslink verfügen. Am vergangenen Freitag fand der Raum „Nachtgespräche – zwischen Trash und Feuilleton“ für großen Zulauf. Teilnehmende waren neben Thüringens Ministerpräsident Ramelow auch Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, sowie der aufstrebende Sozialdemokrat Kevin Kühnert, der stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung Paul Ronzheimer sowie Kai Dieckmann, ehemaliger Chefredakteur der Bild. Christian Lindner, Vorsitzender der FDP, sei ebenfalls virtuell anwesend gewesen, wenn auch er es vorgezogen habe nur zuzuhören.

In der Runde, die von sechs jungen Menschen moderiert wurde, ging es unter anderem um triviale Themen wie Heidi Klum, Schwesigs Filmrolle als 15-Jährige, aber eben auch um den Corona-Bund-Länder-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wenige Tage zuvor. Zeitweise sollen mehr als 1 000 Menschen sich in diesem Online-Raum eingefunden haben. Während der Runde, in der auch munter gesungen wurde, bezeichnete Ramelow die Bundeskanzlerin als „Merkelchen“, als es spaßeshalber darum ging, die nächsten Bund-Länder-Konferenz bei Clubhouse zu veranstalten. Johannes Boie, Reporter der Welt am Sonntag, machte dies am Wochenende öffentlich.

Und sah sich umgehend der Kritik ausgesetzt, denn schließlich heißt es in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Clubhouse, dass aus Unterhaltungen auf dieser Plattform nur zitiert, aufgezeichnet oder transkribiert werden darf, wenn eine Erlaubnis der Beteiligten vorliege. Doch viele Journalist/innen und sind sich einig darüber, dass es Teil der Pressefreiheit ist, Gesprächsinhalte von Politiker/innen in öffentlichen Räumen, die im öffentlichen Interesse sind, zu veröffentlichen. Gerade auch, weil es bei dem Gespräch am Freitagabend um eine Konferenz ging, deren Ergebnisse den Alltag der Bürger/innen stark einschränkt.

Kritiker meinten, Boie habe erst mit seinem Artikel ein öffentliches Interesse erzeugt, in dem er die Äußerungen Ramelows skandalisiert habe. Doch in dieser Argumentation zeigt sich die Doppelmoral bei Vertretern der Presse, die beispielsweise die Video-Mitschnitte eines Etwa-Sechs-Personen-Gelages während der österreichischen Ibiza-Affäre als wohlfeilen Enthüllungsjournalismus feiern, aber andererseits für Ramelow einen geschützten Raum in einer Online-Veranstaltung mit mehr als 1 000 Teilnehmenden fordern. Das deutsche Feuilleton führt nun mit bekannter Vehemenz die Diskussion darüber, wo Wohl und Wehe, Privatsphäre und Öffentlicher Diskurs auf Internet-Plattformen beginnen und endet schließlich in der Erkenntnis, die bereits die sogenannte 68-er Generation umtrieb: Das Private ist politisch.

Gleichzeitig lieferte die Diskussion einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines knapp 65-jährigen Mannes, eines Politikers der Linken, des Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes. Auch wenn die Bezeichnung der Bundeskanzlerin noch so flapsig, so jugendlich anbiedernd, so internetaffin gemeint gewesen sein soll, offenbart sie das stereotype Denken von männlichen Alphatieren, die um ihre Dominanz fürchten und für die verbale Herabwürdigungen von Frauen zum alltäglichen, unreflektierten Sprachgebrauch gehören. Ramelow sieht sich zu Unrecht als Sexisten verunglimpft, was ihm – als einem Politiker der Linken quasi per Parteizugehörigkeit – nicht nachgesagt werden könne.

Pflichtschuldigst ruderte Ramelow zurück: „Eine kluge Frau hat mir“, schrieb Radelow am Sonntag auf Twitter, „gerade schlüssig den eigentlichen Fauxpas meiner Clubhaus-Plauderei dargelegt und es hat mich überzeugt. Den Namen der Bundeskanzlerin zu verniedlichen war ein Akt männlicher Ignoranz.“ Es auszusprechen und anschließend erklärt zu bekommen, zeigt die eigentliche Ignoranz. Bodo Ramelow schließt seinen Tweet: „Dafür meine ehrliche Bitte um Entschuldigung.“

Martin Theobald
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