Fotografie

Poesie der Camargue

d'Lëtzebuerger Land du 15.12.2017

Ausgesprochen frisch wirkt die Ausstellung Lucien Clergue – Poète photographe im Ratskeller des Cercle Cité, kuratiert von Anne Clergue, Tochter des Fotografen, und unter der Projektleitung von Anouk Wies. Pastellfarbene Wände bilden einen attraktiven Hintergrund für die in Holzrahmen eingefassten Schwarzweißfotografien; die Anordnung der Wände zeichnet den Rundgang durch den Ratskeller neu. Der Zugang erfolgt über die Place d’Armes, von wo der Besucher über einen Gang in den Ratskeller gelangt, entlang dem die Biografie des 2014 verstorbenen Fotografen grafisch anschaulich in Form einer bebilderten Timeline dargestellt ist.

Die Bilder sind nach den wichtigsten Themen des aus Arles stammenden Fotografen sortiert. Der Rundgang beginnt mit den gitans aus der Camargue; der junge Clergue war fasziniert von dem fahrenden Volk und dessen Lebensstil. In der Camargue lernte er zudem José Reyes, Gründungsmitglied der Gypsy Kings, kennen. Neben einzelnen Momenten der Trauer stellen die Bilder ein sorgenfreies Leben dar, sie zeigen tanzende Frauen und Kinder, umringt von musizierenden Herren. Die schattig-kontrastreiche Fotografie eines kostümierten Affen aus dem Jahr 1953, dem neugierige Kinder durch eine Straße folgen, bezeichnete Clergue als sein „erstes gutes Foto“.

Der väterlichen Freundschaft Picassos, die Clergue entscheidend förderte und anspornte, wird die Ausstellung gerecht mit einer Reihe teils spontan wirkender, teils repräsentativ-inszenierter Aufnahmen des Malers in seinem Studio oder im privaten Umfeld. Es war Picasso, der Clergue ermutigte, seine abstrakten, sehr grafischen Landschaftsfotografien von den Stränden der Camargue weiterzuverfolgen. Eine lange, dicht behangene Wand ist dieser Serie gewidmet. Clergues träumerische Liebe zur Natur spiegelt sich in den reduzierten und kontrastreichen Sonnenreflexionen und Wellenstrukturen wider, denen trotz der Farblosigkeit eine faszinierend dichte Lichtstimmung zu eigen ist. Es sind diese Bilder, die dem titelgebenden poetischen Anspruch im besten Sinne nachkommen.

Der gleichen Machart folgen die ausgestellten Aktfotografien, denen sich Clergue ab 1955 zuwandte. Auch sie sind gekennzeichnet von Minimalismus, Reflexionen und Schatten. Die zeitlosen Bilder zeigen keinerlei Gesichter der Frauen, sondern konzentrieren den Blick auf deren Torsos, die vom glitzernden Meer umspült werden. Ästhetisch ähneln die Bilder dank der kurvenhaften Formensprache deutlich Clergues Darstellung von Landschaften.

1957 machte Picasso Clergue mit Jean Cocteau bekannt, der wie der Maler das Potenzial des Fotografen erkannte und zu einem Mentor Clergues wurde. So sind eine Reihe surrealer Traumszenerien mit dem Regisseur ausgestellt, die Clergue während der Dreharbeiten zu Orphée fotografierte und die Cocteau neben seinen mythischen Figuren zeigen.

Den für seine Karriere wohl bedeutsamsten Förderer fand Clergue 1958 mit Edward Steichen. Steichen, Direktor der Fotografieabteilung des New Yorker Museum of Modern Art, erwarb zunächst einige repräsentative Fotografien und lud den damals erst 27-jährigen Clergue schließlich ein, in der Gruppenausstellung Diogenes with a Camera V im MoMA auszustellen. Für Clergue bedeutete das einen gewaltigen Karrieresprung in Übersee und Europa. Von der Entwicklung der Freundschaft zeugen in der Ausstellung die Korrespondenzen und Notizen, die neben Artefakten wie Clergues Reisepass erstmals öffentlich zu sehen sind.

Die Verbindung mit Steichen bildet den Aufhänger für eine solch repräsentative Ausstellung über Clergues Lebenswerk in Luxemburg. Dass Steichen ab seinem zweiten Lebensjahr in den USA lebte und eine Beziehung zu seinem Herkunftsland lange Jahre nicht bestand, lässt diese „Wiedervereinigung im selben Land“ (Anne Clergue) zwar ein wenig forciert wirken. Jedoch war Clergue selbst mehrfach in Luxemburg zu Gast; für Ausstellungen in der Galerie Clairefontaine, die seine Bilder derzeit ebenfalls zeigt, aber auch für Vorträge im Cercle Cité.

Clergues wichtigste Erfolge waren 1969 die Gründung der Rencontres internationales de la photographie in Arles, dem heute weltgrößten Fotofestival, und 2006 die Gründung einer fotografischen Abteilung an der Pariser Académie des Beaux-Arts. Im selben Jahr folgte er dem Ruf an den ersten Lehrstuhl für Fotografie am Institut de France. Steichen und Clergue verband somit eine noch bedeutsamere Gemeinsamkeit: die Bestrebung um die Anerkennung der Fotografie als Kunstform. Die außerordentlich schön gestaltete Repräsentation der Bilder im Ratskeller kommt diesem Anspruch auf jeden Fall nach.

Lucien Clergue – Poète photographe im Ratskeller des Cercle Cité. Bis 14. Januar 2018, 11 bis 19 Uhr. Führungen jeden Samstag um 11 Uhr. Eintritt frei. Katalog in der Ausstellung erhältlich. http://cerclecite.lu

Boris Loder
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