LEITARTIKEL

Schöne neue Welt

d'Lëtzebuerger Land du 04.08.2023

Am Montag bekam LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert Post. Die Ärzte der Escher Radiologen-Praxis Hygie Imagérie schrieben, sie seien an der Zusammenarbeit mit einem Spital interessiert. Gute Idee, antwortete die Ministerin ihnen, wie sie dem Land erklärte. Würde so eine Kooperation doch dem Gesetz über den „virage ambulatoire“ gerecht, das die Abgeordnetenkammer vorige Woche verabschiedet hat. Am gestrigen Donnerstag stand es im Memorial, seit heute ist es in Kraft. Schwere und teure Radiologie-Apparate, wie IRM, CT-Scanner und 3D-Mammografen, dürfen in Praxen nur zum Einsatz kommen, wenn dafür mit einem Spital eine „Antenne“ gebildet wurde.

Man könnte meinen, Paulette Lenert sei drauf und dran, nach der Radiologie in Potaschberg vor einem Jahr nun auch die in Esch Antennen-konform zu machen. Und zu verhindern, dass sich der LSAP und ihrer Spitzenkandidatin im Wahlkampf ein politisches Problem stellt. Doch so einfach ist das nicht. Wohlweislich vermeidet sie Hinweise darauf, mit welchem Spital kooperiert werden soll. Nahe läge das Süd-Klinikum Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem). Doch dort hat man es offenbar nicht eilig, der Ministerin eine heiße Kartoffel abzunehmen. Wieso auch? Das neue Gesetz gesteht jeder der vier Krankenhaus-Gruppen zwei Antennen-Standorte für schwere Radiologie zu. Warum sollte das Chem einen davon für Esch verbrauchen, wo es in Esch doch schon ist? Die Mission, die sein Verwaltungsrat ihm erteilt hat, sagt Chem-Generaldirektor René Metz dem Land, bestehe darin, mit Hygie zu reden, „falls wir kontaktiert werden“. Abgesehen davon müsse das Chem seine eigene Radiologie-Strategie verfolgen. „Wenn darin eine Antenne mit Hygie in Esch vorkommen sollte, müsste ich das meinem Verwaltungsrat erklären können.“

Das „Wo“ und „Mit wem“ ist aber nur ein Teil des Problems. Der größere besteht darin, dass hinter Hygie Imagérie kein Ärztekollektiv steht, wie in Potaschberg. Sondern eine Beteiligungsgesellschaft, die Räume und Ausrüstungen an die Radiologen vermietet, um daran Geld zu verdienen. Die Radiologen treten an den Investor einen Teil ihres Honorars ab, dem Vernehmen nach 70 Prozent (d’Land, 28.6.2023). Die Gesundheitsministerin tut bisher so, als sei das nicht weiter erwähnenswert.

Ist es aber. Schon, weil in Luxemburg das eiserne Prinzip gilt, dass Klinikärzt/innen ihr ganzes Honorar zusteht. Auch nur daran zu denken, das zu ändern, ist tabu. Der Ärzteverband AMMD wacht darüber. Würden die Hygie-Ärzte per Antenne mit einem Spital verbunden, egal mit welchem, stünde dieses Prinzip infrage.

Politischer Krach deshalb wäre absehbar. Es könnte ein längerer Krach werden. Einer, der das Gesundheitssystem verändert. Im Gegensatz zu den Behauptungen der CSV-Fraktion vorige Woche im Parlament, „sozialistische Planwirtschaft“ untergrabe „die Privatinitiative“ im Gesundheitswesen, untergraben die LSAP und ihre Gesundheitsministerin nichts. Sie öffnen sogar einer Soparfi, zu deren Aktionären ein Private-Equity-Fonds zählt, die Tür zur Klinikmedizin. Zunächst nur einen Spalt weit. Doch der Erfahrung nach verbleiben Private-Equity-Fonds fünf Jahre im Kapital einer Gesellschaft, dann verkaufen sie weiter. Wer weiß, an wen Hygie-Aktionär Axio Solutions SLP aus Paris verkaufen wird. Wer weiß, ob die Soparfi hinter Hygie nicht vielleicht ihr Kapital und ihren Aktionsradius weiter vergrößert, und wer weiß, welche Finanziers sich demnächst noch für den Luxemburger Gesundheitssektor interessieren.

Im Wahljahr 2023 scheint vieles möglich. Vielleicht setzt sich am Ende die Aufassung durch, dass es eine gute Idee ist, Klinikärzt/innen einen Teil ihrer Honorare ans Spital abführen zu lassen. In Belgien ist das so. Zum Ausgleich dürfen Ärzt/innen dort einen Teil ihrer Arbeit hors convention erledigen und dafür hohe Zuschläge nehmen. Eine solche „Teilkonventionierung“ auch hierzulande schwebt manchen im AMMD-Vorstand seit Jahren vor. Im Wahljahr 2023 könnte die schöne neue Gesundheitswelt mit Investoren und Privatmedizin vor der Tür stehen. Die LSAP sagt, sie werde das verhindern. Den Eindruck, einen klaren Gegenentwurf zu haben, macht sie nicht.

Peter Feist
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