Zwei Minuten vor dem verabredeten Termin kommt Jana Bahrich um die Ecke, ganz in schwarz, ein weißer Kragen sticht aus ihrem Pullover raus. Die Sängerin von Francis of Delirium, eine Band, die seit knapp zwei Jahren als hippster Indie-Export des Großherzogtums gilt, ist nur kurz auf Durchreise. Vor zwei Tagen stand sie auf einer Bühne in Bremen, am nächsten Tag geht es mit den zwei Bandkollegen Jeff Hennico und Denis Schumacher weiter in den Botanique nach Brüssel. Dieses Unterwegs-sein, sie kennt es von klein auf. Vor 21 Jahren kam sie in Antwerpen zur Welt. Nach Stationen in der Schweiz, Belgien und Vancouver zog sie mit 13 Jahren nach Luxemburg, ein Ort, den sie nun als ihr Zuhause beschreibt. Neue Freunde finden zu müssen, vor allem als älteres Kind, war nicht immer einfach. Doch insgesamt habe sie das gut weggesteckt und sei ein anpassungsfähiger Mensch geworden: „Auf Tour gehen ist ein bisschen wie Ferienlager, man muss einfach miteinander zurechtkommen.“
Ihr Aufstieg in der Luxemburger Indie-Szene zu Beginn der Pandemie war steil. Kurz nach ihrem International Baccalaureat gewann sie den Screaming Fields Songwettbewerb und brachte im darauffolgenden Jahr ihre erste EP All Change heraus. Zack, Francis of Delirium (FoD) wurde zum Household Name. Es folgten zwei weitere EPs, Wading und The Funhouse, Covid wurde von anderen Katastrophen abgelöst. Der Erfolg, den sie in den letzten beiden Jahren erfuhr, liegt an Jana Bahrichs starken, emotionalen Stimme, am Sound, der oldschool mit newschool vermengt und ins Ohr geht, aber auch an ihrer Live-Präsenz. Das Projekt hat sie gemeinsam mit dem 30 Jahre älteren Chris Hewett aufgezogen, der Vater von Schulfreunden. Ein intergenerationales Musikmachen, das zumindest zum Teil die Echos an die 90-er Grungejahre (Pearl Jam, Hole et al) erklärt. Mittlerweile geht Hewett nicht mehr mit auf Tour, sondern agiert eher im Hintergrund als Koproduzent und eine Art Mentor: „Er passt auf, dass ich auf mich achte und Sport treibe.“ Er sage ihr auch immer, er würde sie so lange unterstützen, wie sie das möchte.
Die Professionalisierung außerhalb der Landesgrenzen, die den meisten Luxemburger Acts Schwierigkeiten bereitet, ist FoD leichter gefallen. Nach zwei Jahren im Business hatte die Band im Frühjahr 40 Konzerttermine in den USA, unter anderem als Support für The Districts. Das liege an mehreren Faktoren, meint der Projektmanager Zachary Glavan von Kultur LX, die FoD mit Zuschüssen unterstützt hat. „Sowohl das Genre als auch das Timing haben in diesem Fall einfach gepasst.“. Das internationalere Netzwerk, aus dem Jana Bahrich kommt, hat ihr ermöglicht, über Freunde von Freunden in den Staaten Übernachtungsmöglichkeiten für das Trio zu finden.
Ihr IB hat sie an der International School Luxembourg (ISL) abgelegt, wo die jährlichen Gymnasialschulkosten rund 20 000 Euro betragen. Dort belegte sie unter anderem den Leistungskurs Musik. Ihre ehemaligen Lehrer sind voller Lob für ihre Alumna: „She really hones her craft, it’s not a fluke that she’s successful. She broke out of her shell slowly. At first she wouldn’t sing, then in her last two years she became more comfortable with herself and did”, sagt Musiklehrer Demosthenes Dimitrakoulakos. Es sei hart, Musikerin zu sein, die Mehrheit der Jugendlichen würde aufgeben. Ein Vorteil sei Janas Eklektizismus. Viele ihrer aktuellen Fans wüssten etwa nicht, dass sie auch das Waldhorn beherrsche. Tatsächlich sind die klassischen Orchestral Sessions fast das Schönste, was sie bisher gemacht hat. Dabei war ihre Liebe zur Musik nicht unbedingt vorprogrammiert. Ihr Vater spielt ein paar Akkorde auf der Gitarre, eine solche war auch immer im Haus, mehr aber auch nicht. Die Inspiration und Disziplin, die es braucht, um kreativ zu sein, von der gab es reichlich: Ihre Mutter, eine Kunstlehrerin, zeichnet ständig. Jana Bahrich wohnt noch bei ihren Eltern, wo die Merch-Kisten aus ihrem Zimmer hinaus in den Flur quellen. Sie erfährt viel Unterstützung von ihnen, was ihren Weg angeht. Ihr Vater, ebenfalls Lehrer, freut sich wahnsinnig, wenn ein Lied seiner Tochter im Schwimmbad des Geesseknäppchen im Radio läuft.
Auch wenn fortwährend ein Hauch von charmanter Schüchternheit in der Luft liegt, kommt man mit der Sängerin schnell ins Gespräch. Über die Bilder, die im Café Bloom an der Wand hängen, über die grüne Farbe vom Matcha-Tee, über dieses und jenes. Stört sie der Pressezirkus, der sich an das Musikmachen hängt? „Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich es kaum erwarten konnte, herzukommen”, sagt sie und lächelt. Dass sie sich öfter wiederholen müsse, nerve schon mal. Denn die Fragen, die allen auf den Lippen brennen, junge Frau im sexistischen Musikbusiness, die stellen viele. „Mir fällt auf, dass Menschen meinen Bandmitgliedern Fragen stellen, auf die ich die Antworten habe“, doch gleichzeitig „hatte ich nie das Gefühl, dass mein Geschlecht mir Grenzen für meine Arbeit aufzeigt, einfach weil mittlerweile mehr junge Frauen auf der Bühne stehen.“ Ein Running Gag hat sich in der Band etabliert: „Of course you can carry that equipment, you’re a strong female vocalist“.
„Your change never came from anger”, singt sie in Let it all Go. Im Equality Song geht es um Gleichberechtigung. Wie politisch ist sie wirklich? Sie zögert. „I guess everything is political. There is just so much crazy shit happening everywhere, it can feel overwhelming.” Beklagt die Generation, die die 24/7-Apokalypse in der Hosentasche trägt, die eine andere, langsamere Welt gar nicht mehr kennt und von Anfang an mit der Dauerbeschallung zurecht kommen muss. Sie habe generell eher „emotionale“ Reaktionen zu Politik und Weltgeschehen. Vier Jahre lang sei sie Vegetarierin gewesen, damit habe sie momentan aufgehört, weil man manchmal „das tun müsse, was einem guttut.“ Es sei ihr außerdem wichtig, dass Menschen sich auf ihren Konzerten wohlfühlen.
Und Screentime? „Youtube is the best social media“, meint sie, dort könne sie sich eine 40-minütige Doku über William de Kooning anschauen. Sie verbringt viel Zeit auf Wikipedia, um andere Kunst ausfindig zu machen, die sie inspiriert. Ihre Social-Media-Kanäle verwaltet sie alle selbst. „Es ist so ungesund und macht süchtig, aber es ist praktisch unmöglich, nicht darauf aktiv zu sein.“ Acts wie Charli XCX, die sie rauf und runter hört, haben sich nach „digitalen Burnouts“ von ihren Kanälen zurückgezogen. Also versucht sie die Netzwerke als weiteres Kuratierprojekt zu betrachten, wo sie die Stop-motion Videos und Zeichnungen, die sie für die Band macht, vorstellen kann. Francis of Delirium, das ist viel DIY. Authentisch soll es sein, ein überanstrengter Begriff, der auf Jana Bahrich jedoch gut passt. Sie strahlt eine Natürlichkeit aus, die auch als Gegenpol zu einer mitunter übersexualisierten Popgeneration gelesen werden kann. Die Oversized-Ästhetik von Billie Eilish (der New Yorker qualifizierte Letztere als Anti-Popstar) findet man in gedämpfter Form auch bei ihr vor. Weniger blaue Haare, extravagante Fingernägel und Make-up, klar, aber beide Frauen haben gemein, dass sie dem male gaze anders entgegentreten. Der männliche Blick hat eindeutig an Wichtigkeit eingebüßt, auch wenn sich an der Fixierung des globalen Publikums auf die Dresscodes und Körper von Sängerinnen kaum etwas verändert hat.
Diese Ästhetik geht einher mit einer bezeichnenden Selbstironie: Auf dem Instagram von FoD sind zuhauf herangezoomte Fotos von ihr zu sehen, auf denen sie die Augen nur halb offen hat. In ihrem Song Karen eignet sie sich das Meme der nervigen weißen Frau an. Karen wird darin personifiziert als „innere Stimme des Selbstzweifels.“ Sich selbst nicht zu ernst nehmen, und doch komplett sein eigenes Ding machen, ist das die Geheimformel der Gen Z? Die Kompromisslosigkeit und Kreativität, die die Künstler/innen dieser Generation (in Luxemburg etwa auch C’est Karma) auszeichnet, fühlt sich erfrischend an. Als würde den durchaus präsenten Selbstzweifeln auf spielerische Weise Luft gemacht, als halte das sie im Zaum. Jana Bahrich bewundert Billie Eilishs Art, ihr ganzes Selbst in ihre Performance zu legen, ihre Seele zu offenbaren. Live aufzutreten genießt sie am Musikmachen am meisten. Nach der Tournee will sie sich zurückziehen um neue Songs zu schreiben, vielleicht in die USA: „I’m still trying to figure out what’s happening. But I’m going to commit to making music and see what happens.”