Die EU will, dass Luxemburg mehr Energie spart. Der Energieminister sagt, mit Verboten ginge das

„Wir sind doch schon ambitiös!“

Mobile fossile Heizung bei einem Betrieb. Verboten werden soll so etwas nicht
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 24.05.2024

„Ambitiös“ war das Wort, das am Donnerstagnachmittag vergangener Woche besonders häufig fiel. Da trafen DP-Energieminister Lex Delles und CSV-Umweltminister Serge Wilmes die parlamentarischen Ausschüsse für Wirtschaft, Energie und Umwelt. Ebenfalls oft erklärte Delles: „Diese Regierung steht nicht für Verbote.“

Vielleicht sagte er das auch deshalb so oft, weil die Sitzung als Livestream übertragen wurde. Wer zuschaute, konnte aus erster Hand erfahren, dass es in Luxemburg kein „Heizungsverbot“ geben wird. Bisher war das eine Option: Als die vorige Regierung im Juni 2023 ein Update des nationalen Energie- und Klimaplans (Pnec) annahm, hielt sie fest, dass der Ersatz von Öl- und Gasheizungen in Gebäuden zunächst freiwillig geschehen soll. Aber bringe das nicht genug, „il est envisagé d’autoriser le remplacement d’installations de chauffage dans le patrimoine existant (pour tous types de bâtiments, aussi bien fonctionnels que d’habitation) exclusivement avec des installations de chauffage qui sont opérées avec un minimum de 70% d’énergies renouvelables“ (S. 132). Dagegen kündigte Lex Delles an: „Das können wir rausnehmen.“ Anreize und Beihilfen reichen. Drei Wochen vor den Europawahlen ist das eine Nachricht, die das Streaming-Publikum sicherlich gerne vernommen hat.

Ob das klappt, muss sich natürlich zeigen. Die Regierung hofft, und das sagte Delles auch, dass bis 2030 die Hälfte der Heizungen mit fossilen Brennstoffen ersetzt sein wird. Wie es bisher läuft, ist nicht ganz klar. Die genaue Zahl der Ölheizungen zum Beispiel kennt niemand. Sie wird aus dem Heizölverbrauch abgeleitet. Schätzungen zufolge heizen von den rund 250 000 Luxemburger Haushalten an die 70 000 noch mit Öl.

Da bleibt viel zu tun. Zumal Luxemburg, wie alle EU-Staaten, mehr Energie sparen soll als bisher geplant. Darüber gibt es einige Aufregung in der Regierung, und darum drehte sich die Diskussion der Kammer-Ausschüsse mit Delles und Wilmes. War bisher öffentlich vom Energie- und Klimaplan die Rede, ging es um CO2 oder um grüne Energien. Der Plan hat aber noch einen dritten Teil: Der Energieverbrauch soll sinken. Um 40 bis 44 Prozent gegenüber einer „Referenz“, die sich auf das Jahr 2007 bezieht. Das nahm die DP-LSAP-Grüne-Regierung sich vor, als sie 2020 mit der EU-Kommission die erste Version des Luxemburger Pnec abmachte. Im Juni 2023 ging sie ein Stück weiter: Nun sollten es 44 Prozent Einsparung sein. Die CSV-DP-Regierung will zurück auf das Von-Bis von 2020.

Was wie ein technisches Hin und Her aussieht, ist wirtschaftspolitisch höchst bedeutsam. Wie die CO2-Reduktion und der Ausbau der grünen Energieproduktion ist auch die Energieeffizienz ein EU-Vorhaben. Es gibt für alle drei Bereiche jeweils ein EU-Ziel und eines Lastenteilung unter den 27 Staaten. Das Einsparziel richtet sich auf den Gesamt-Energieverbrauch. In den geht alles ein – die
Heizenergie für Gebäude, der Strombedarf sämtlicher Verbraucher, die Spritverkäufe (in Luxemburg inklusive Tanktourismus) und so fort. Während sich seit zwanzig Jahren keine Regierung mehr politisch um den CO2-Ausstoß von Stahlindustrie, Zementherstellung oder Glasproduktion kümmern muss, weil solche Groß-Emittenden unter den europäischen Handel mit Emissionslizenzen fallen und in nationalen CO2-Bilanzen nicht mehr auftauchen, schlägt deren Energieverbrauch voll ins Kontor. Das heißt: Mit Vorgaben zum Verbrauch stehen und fallen Wachstumsaussichten.

Und die will die CSV-DP-Regierung sich nicht nehmen lassen. Jedenfalls nicht über das hinaus, was für den Energie- und Klimaplan bisher an die EU-Kommission gemeldet wurde. Im September 2023 trat eine neue EU-Richtlinie zur Energieeffizienz in Kraft. Alle 27 Länder sollen mehr einsparen. Für den Gesamtenergieverbrauch Luxemburgs hatte 2020 die damalige Regierung eine Senkung bis zum Jahr 2030 auf 38 000 bis 35 568 Gigawattstunden veranschlagt. Das entsprach der Spanne von 40 bis 44 Prozent. 2020, zum Vergleich, betrug der Gesamtverbrauch 45 129 Gigawattstunden. Für das Pnec-Update im vorigen Jahr wurde bei 44 Prozent Einparung ein Verbrauch von 35 430 Gigawattstunden bis 2030 ausgerechnet. Die neue EU-Richtlinie gibt für Luxemburg 32 546 Gigawattstunden vor. „Onrealistesch“ und „bal onméiglech“ sei das, erklärte der Energieminister vorigen Donnerstag. Und versprach: „Dëst Zil setze mir net an de Pnec!“ Für diesen Akt des Ungehorsams werde es wohl „eng Remark vun der Kommissioun“ geben. Doch Luxemburg sei „schon jetzt ambitiös“ und habe bereits viel erreicht.

Unrecht hat Lex Delles damit nicht. Der Trend im nationalen Verbrauch zeigt nach unten, von 47 000 Gigawattstunden im Jahr 2015 ging er 2022 auf 43 000 zurück. Den Abgeordneten der Kammer-Ausschüsse zeigte ein Beamter des Energieministeriums eine Grafik, die für das Großherzogtum, neben Lettland, die beste Tendenz aufwies. Am anderen Ende der Skala dagegen lag zum Beispiel Dänemark, eigentlich eine Öko-Nation. Und schon Delles’ Vorgänger Claude Turmes von den Grünen hatte der EU-Kommission beizubringen versucht, dass es unrealistisch sei, von Luxemburg mehr zu verlangen. Außerdem würden EU-Staaten, die schon viel erreicht hätten, gegenüber denen benachteiligt, die in Verzug sind, falls die neue Richtlinie allen diesselbe Zusatzvorgabe macht. Im September geschah das. Da seien „Vorreiter“ wie Luxemburg „angeschmiert“ worden, stellte Lex Delles’ zuständiger Beamter fest.

Das große Aufheben um den Energieverbrauch und die Weigerung, weiterzugehen, hat einerseits damit zu tun, dass es sich wirtschaftspolitisch übersetzen lässt. Andererseits damit, dass schon das bisherige Effizienzziel nicht leicht zu erreichen sein wird. Der Wirtschafts- und Energieminister ging am Donnerstag gern auf die Frage seiner DP-Parteikollegin Carole Hartmann ein, was in Luxemburg denn unternommen werden müsste, um die verschärfte Vorgabe der EU-Richtlinie tatsächlich zu erfüllen: „Man könnte zum Beispiel“, zählte Lex Delles auf, „die CO2-Steuer so stark erhöhen, dass der Tanktourismus komplett abgewürgt wird. Oder fossile Heizungen sofort verbieten.“ Darunter auch „Ölheizungen in der Wirtschaft“. Aber für so etwas „stehen wir ganz klar nicht“.

Das war ein Stück liberaler Populismus. Doch Energie einzusparen, gleichzeitig den CO2-Ausstoß zu senken, am besten mit grünen Energien, kann sich widersprechen. Wird Strom aus Kohle oder Gas durch Solarstrom ersetzt, ist weniger CO2 im Spiel, aber der Verbrauch bleibt derselbe. Anstelle von Öl- und Gasheizungen in Häuser im großen Stil elektrische Wärmepumpen einzubauen, bringt dagegen tatsächlich einen Effizienzgewinn: „Ist eine Wärmepumpen-Heizung gut geplant und parametriert, können bis zu drei Viertel der Heizleistung aus der Umgebungsluft gewonnen werden. Nur ein Viertel entfällt dann auf den Stromverbrauch“, sagt Gilles Reding, Berater bei der Handwerkskammer.

Ähnlich wird die Fahrleistung von Elektroautos mit einem drei bis vier Mal besseren Wirkungsgrad aus dem Treibstoff Strom bezogen als von Verbrennerautos aus Benzin oder Diesel. Dagegen ist es nicht selbstverständlich, dass Energie gespart wird, wenn ein Produktionsprozess in der Industrie, der Wärme braucht, mit Strom betrieben wird, während dazu vorher Gas diente. Und ein LKW mit Wasserstoffantrieb ist wahrscheinlich nicht energieeffizienter als einer mit Diesel.

So kommt es, dass der Weg zu mehr Effizienz nicht völlig klar ist. In der Ausgabe des Pnec vom vorigen Jahr steht sinngemäß, die 44 Prozent weniger Verbrauch sollten zu einem Drittel über „Obligationen“ erreicht werden. Das ist kompliziert. Das können Verpflichtungen für Energieversorger sein, beim Energiesparen zu helfen. Wer seinen Kunden einen Zuschuss zur Wärmepumpe gibt, bekommt einen Punkt. Unter „Obligationen“ fallen aber auch die schon vor Jahren eingeführten accords volontaires, die stromintensive Industriebetriebe abschließen: Um einen günstigeren Strompreis zu bekommen, versprechen sie Effizienzanstrengungen. Der dritte große und am Ende klarste Effizienz-Hebel laut dem Pnec vom Juni 2023 ist die CO2-Steuer. Die vor allem auf dem Sprit wirkt. Daraus folgt: Sinkt der Tanktourismus weiter, sieht es gut aus für Luxemburg, dann wird die Effizienzbilanz besser. Geht der Tanktourismus langsam genug zurück, damit die Akziseneinnahmen nicht einbrechen, ist das noch besser. Nicht rückläufig dagegen ist der Kerosinverbrauch. Sein CO2 geht in den EU-Emissionhandel ein, sein Energieinhalt und sein Volumen in die nationale Bilanz. 2022 wurde ein Rekord aufgestellt: 782 Millionen Liter, 29 Millionen mehr als 2021. Schon aus den Zahlen von 2021 kam der Pnec vor einem Jahr zu dem Schluss, „la forte croissance du secteur de l’aviation (transport de passagers et fret) contrebalance une partie des améliorations au niveau de l’efficacité énergétique“ im Bereich Transport ingesamt.

Dabei steuert der Transport mit rund einem Drittel Anteil das meiste zum Energieverbrauch bei. Dreieinhalb Mal so viel wie die verarbeitende Industrie. In der, so der Pnec von 2023 weiter, das Wachstum, das man wünscht, wohl alle Effizienzgewinne auffressen werde. Die Landwirtschaft falle nicht ins Gewicht. Im Tertiärsektor sei es wie bei den Wohnbauten: Wärmepumpen einbauen!

So dass unter dem Strich das größte Wirkungspotenzial für die politische Aktion vielleicht die Gebäude mit ihrer Wärmedämmung und ihren Heizungen sind. Wie der Heizungsersatz bisher läuft, kann das Wirtschafts- und Energieministerium auf Anfrage nicht mit Zahlen sagen, nur dass die Anträge für den Förderbonus im „Masuttsersatzprogramm“ in den letzten zwei Jahren stark gestiegen seien. Das Umweltministerium, wo die Anträge bearbeitet werden, präzisiert, 2022 seien 464 Anträge für Wärmepumpen-Beihilfen eingegangen, 2023 1 148 und dieses Jahr bis Mitte dieser Woche 766. Die Klima-Agence verzeichnet, wie ihr Direktor Fenn Faber berichtet, seit 2022 ein großes Interesse von Bürger/innen „in erster Linie für die Photovoltaik, aber gleich danach für Wärmepumpen“.

Wie Lex Delles vorigen Donnerstag berichtete, werden verstärkte Anstrengungen unternommen, um kommunale Wärmenetze einzurichten. Ab kommendem Jahr sollen Solarstromanlagen vorfinanziert werden können. Wie das Wirtschaftsministerium dem Land mitteilte, werde die Vorfinanzierung „auch für alle anderen Klimabonus-Bereiche gelten, also auch für den Ersatz von Heizungen“. Teure Kredite zum Renovieren würden dann, so das Ministerium, nicht mehr nötig sein oder in kleinerem Umfang.

Eine Herausforderung für sich sind die öffentlichen Gebäude: Von den energetisch renovierungsbedürftigen Gebäuden im Staatsbesitz wurden in den letzten Jahren drei Prozent der Fläche auf den Nearly Zero Energy-Standard gebracht. Ungefähr genauso viele müssen es nun jedes Jahr sein, um bis 2030 der neuen EU-Effizienzrichtlinie zu genügen, die für öffentliche Gebäude – auch von Gemeinden über 50 000 Einwohner – vorschreibt, in welchem Rhythmus Nearly Zero Energy angestrebt werden soll. Das Energieministerium teilt dem Land mit, „die Regierung wird ihre Bemühungen, alle öffentlichen Gebäude auf den künftigen Mindeststandard zu bringen und mit Photovoltaik auszurüsten, beschleunigen“. So werde der Staat seinem „Vorbildcharakter“ gerecht, von dem immer wieder in den letzten Jahren die Rede war. Wer will, kann in dem Bekenntnis zur Beschleunigung eine versteckte Kritik an dem früheren grünen Bautenminister François Bausch lesen, nicht genug unternommen zu haben.

Die Frage, was sein soll, wenn die schönen Ziele nicht erreicht werden, stellt sich natürlich. In erster Linie mit Anreizen und Beihilfen arbeiten wollte auch die vorige Regierung. Das „Heizungsverbot“ war nur ein letzter Ausweg. Einen Zwang, gut funktionierende Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen, wollte sie nicht schaffen; obligatorisch hätte der Ersatz nur für Heizungen am Ende ihrer Lebensdauer werden können.

„Wir wollen Wachstum, wir wollen Künstliche Intelligenz, wir wollen Datenzentren. Das wollen wir entwickeln und das kostet alles Strom“, erklärte Lex Delles vorigen Donnerstag im Parlament mit einiger Verve. Am Ende kann er sich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass über die CO2-Steuer Tanktouristen und Grenzpendler die Energie-Transition hierzulande mitfinanzieren. Sonst müsste es vielleicht doch Verbote geben oder Luxemburg könnte weniger „ambitiös“ sein. Eine sehr spannende Frage ist übrigens die, in welcher Höhe ab 2027 in Belgien Trucker-Diesel besteuert wird. Noch ist er billig; billiger als in Luxemburg seit Einführung der CO2-Steuer und Grund dafür, dass hier der Tanktourismus gesunken ist. Ab 2027 aber gilt eine EU-Regel über CO2-Preise im Transport, und dann könnte sich das wieder umkehren. Beziehungsweise Luxemburg seine Steuer empfindlich erhöhen müssen. Auch deshalb versucht die Regierung sich mit ihren Effizienzverpflichtungen Spielräume zu wahren und sagt dann schon mal, „dat do geet guer net“.

Peter Feist
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