ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Nähe und Distanz

d'Lëtzebuerger Land du 21.07.2023

Eher beiläufig änderte das Parlament vorige Woche fünf Gesetze über Investitionsfonds. Investitionsfonds verkaufen gebündelte Profitversprechen von Unternehmen. Und weitergehende Spekulationen mit reellen und imaginären Werten aller Art. Auch Rentenversprechen an unterversicherte Erwerbstätige. Sie erlauben Banken, sich an den Auflagen traditioneller Finanzgeschäfte vorbeizudrücken.

Im Quartalsrhythmus verlangen die Fonds von ihren Beteiligungen Rekordprofite. Davon zehrt eine Kette von Zwischenhändlern. Einige Kettenglieder führen durch Luxemburg: „Luxembourg is the largest investment fund centre in Europe and the second largest in the world.“ Wirbt Alfi im Internet.

Die Fonds-Lobby Alfi durfte den Gesetzentwurf mitschreiben. Um Auflagen zu lockern, die Abonnementsteuer zu senken. Der Motivenbericht nennt das: „d’améliorer et de moderniser la toolbox luxembourgeoise“ (Gesetzentwurf 8183/A, S. 2). Laut „Fiche financière“ kostet die Verbesserung des Werkzeugkastens den Staat acht Millionen Euro jährlich (S. 102).

Der Gesetzentwurf war erst im März eingebracht worden. Es blieb wenig Zeit für Gewaltentrennung: Die Gutachten sind viel Copy/Paste aus dem Regierungstext. Die Plenardebatte war nach einer halben Stunde vorüber. Es gab keine Parteien mehr, nur noch Patrioten: 55 von 60 Abgeordneten stimmten das Gesetz für „ons Fongenindustrie“.

Einst erklärte Jean-Claude Juncker dem Parlament die hohen Immobilienpreise: „Et si jo net d’Russen, d’Katarer, d’Inder an anerer, déi de Lëtzebuerger Bauterrainë verkafen. [...] Déi eng Lëtzebuerger beuten déi aner Lëtzebuerger aus“ (8.5.2012). Das hielt der damalige CSV-Premier für mangelnden Patriotismus. Luxemburger täten vielleicht besser daran, sich an der Ausbeutung von Ausländern zu beteiligen. Etwa mittels Investitionsfonds.

Immobilien und Investitionsfonds sind gewinnversprechende Anlageformen. Die hierzulande verwalteten Investitionsfonds zehren direkt oder auf Umwegen von der Mehrwertproduktion in fernen Ländern. Ihre ökonomische Grundlage ist geografisch und ökonomisch entrückt. Es scheint, als ob das Geld der Fonds arbeitete. Nicht die Fließbandarbeiterinnen in Ungarn, die Bergarbeiter in Peru, die Plantagenarbeiterinnen in Indonesien. Die ausgebeuteten Ausländer bleiben fern und namenlos.

Anders die ökonomische Grundlage des Immobiliengeschäfts. Sie liegt vor der Haustür als Ertragshäuser, Wohnungen, Büros, Läden. Die auf dem Immobilienmarkt ausgebeuteten Luxemburger sind nicht fern und namenlos. Sie sind die Familienangehörigen, denen das Darlehen über den Kopf wächst, die Arbeitskollegin, die keine Mietwohnung findet. Viele sind sogar wahlberechtigt. Das macht den Immobilienmarkt politisch heikler als die „Fongenindustrie“. Er verlangt Dummstellen von DP und CSV, falsche Entrüstung von LSAP und Grünen.

Der Gebrauchswert der in Ungarn, Peru oder Indonesien hergestellten Produkte bleibt für Investitionsfonds abstrakt. Der Gebrauchswert von Immobilien erscheint konkret: als Behausungen, Arbeitsstätten. So konkret, dass nicht die Rendite, sondern die Bereitstellung von Wohnraum für das Investitionsmotiv gehalten wird.

Wie Investitionsfonds dienen Immobilien der Kapitalverwertung. Die Europäische Zentralbank und die Regierung bezuschussten die Blähung einer Immobilienblase. Laut Observatoire de l’Habitat stiegen die Grundstückspreise zwischen 2010 und 2021 um 136,5 Prozent, die Preise bestehender Wohnungen um 117,4 Prozent, der Neubauten um 107,4 Prozent (Note 32, S. 4.) Der Lohnindex stieg um 18,1 Prozent. Investitionsfonds mit ähnlichen Bereicherungschancen muss man lange suchen.

Nun belasten Zinserhöhungen die Haushalte und fremdfinanzierten Anleger. Die Blase platzt nicht. Ihr geht die Luft aus. Manche Wahlprogramme versprechen eine „toolbox“: um die Blase mit Steuermitteln abzudichten.

Romain Hilgert
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