Neue Schulgebäude und die Sanierung von Altbauten lässt sich der Staat trotz Krise viel kosten. Zu viel

Prunkbauten

d'Lëtzebuerger Land du 27.04.2012

Es ist ein lustiger Zufall, dass die Internetseite des Athenäums, www.al.lu, wie alt auf Luxemburgisch lautet. Mit „alt“ hat das klassische Lyzeum insofern zu tun, als es ein Traditionslyzeum ist, in dem viele Luxemburger Persönlichkeiten den Grundstein für ihre spätere Laufbahn gelegt haben – und weil das Schulgebäude aus den 60-er Jahren dringend renovierungsbedürftig ist.

Damit die Sanierung geschehen kann, ohne den Unterricht zu sehr zu beeinträchtigen, hat das Infrastrukturministerium für 32 Millionen Euro eine Zwischenstruktur bauen lassen. Ab September soll dies der neue Arbeitsort der rund 1 350 Schülerinnen und Schüler werden. Dann beginnt die eigentliche Arbeit: Das Schulgebäude wird runderneuert, angefangen bei der Wärmedämmung, die zum Teil gar nicht existierte, die Klassenräume, die Heizungsanlage, die Elektrik. Insgesamt sind für das Lifting 89 Millionen Euro veranschlagt. Im Prinzip würden „zwei Arbeiten in einer“ gemacht, erklärt Raymond Straus, Erster Regierungsrat im Unterrichtsministerium und dort für Finanzen und Infrastrukturen zuständig, die hohen Kosten: „Erst wird alles entkernt und dann komplett saniert.“

Bloß: Rechtfertigt das Ausgaben in Millionenhöhe, wie sie für ein Museum auf dem Kirchberg ausgegeben wurden? Das Mudam von US-Stararchitekt Ieoh Ming Pei hatte rund 90 Millionen gekostet – und der Bau war auch deswegen heftig umstritten. Die Arbeiten in Merl liegen im selben Rahmen – die Zwischenstruktur nicht eingerechnet. Ausgiebig und kontrovers hatten die Planer der Regierung zuvor diskutiert, ob ein Neubau nicht sinnvoller sei und vor allem weniger Kosten verursachen würde. Zumal auf dem großen Grundstück dann auch dichter gebaut werden könnte. Denkmalpolitische Erwägungen und die Wünsche der Schulleitung waren ausschlaggebend, das alte Gebäude zu erhalten.

Auf den ersten Blick kommt die Entscheidung dem Staat günstiger: Das für die letzte Rentrée fertig gestellte neue Lycée Belval hat um die 100 Millionen Euro gekostet. Redingen war mit rund 90 Millionen etwas preiswerter. Der höhere Preis ergebe sich, so heißt es seitens des Infrastrukturministerium, aus dem Platz, den Baunormen und den Umweltauflagen: Modernste Werkateliers, noch dazu nach strengen Sicherheitsauflagen gebaut, Klassensäle, die beste energietechnische Standards erfüllen, kosten. „Wir haben als öffentlicher Bauherr eine Vorreiterrolle zu spielen“, sagt Tom Weisgerber, Erster Regierungsrat im Infrastrukturministerium. Dass umweltbewusstes Bauen in Luxemburg kostet, weiß jeder, der sich auf das Abenteuer eingelassen hat, ein eigenes Haus zu bauen.

Und dennoch erstaunt, dass trotz anhaltender Wirtschaftskrise und steigendem Staatsdefizit niemand sich so recht Gedanken über den Gestehungspreis zu machen scheint. Nicht einmal die politische Opposition. Dabei räumt Raymond Straus durchaus ein, dass man „vielleicht billiger bauen könnte“. Es ist der Nutzer, also das Unterrichtsministerium beziehungsweise die Direktionen, die Gestaltungswünsche nennen, entlang derer ein Bauprogramm erstellt wird. Grundsätzlich gilt die Faustregel: Volumen ist gleich Kosten. „Wir könnten mehr einsparen, wenn kleiner gebaut würde“, ist Weisgerber überzeugt. Dass ausländische Delegationen, die in Luxemburg eine Sekundarschule besichtigen, angesichts der hiesigen Prunkbauten häufig der Mund offen stehen bleibt, ist kein Geheimnis.

Im Ausland kosten Schulgebäude vergleichbarer Größenordnung oft ein Drittel bis zur Häflfte weniger. Die Stadt München, eine der teuersten Städte Deutschlands, ließ im Jahr 2007 für 110 Millionen Euro gleich drei Gymnasien für 3 000 Schüler bauen. So dass, sogar wenn man berücksichtigt, dass in Luxemburg Megaschulen von 1 000 Schülern und mehr die Regel sind, die Kosten hierzulande sehr hoch scheinen.

Zumal die Zwischenstruktur, die energietechnisch auf dem neusten Stand ist, beweist, dass es auch anders gehen kann. „Die Struktur ist tiptop und voll funktionstüchtig“, bestätigt Raymond Straus. Wie sie aussehen soll, haben Lehrer, Direktion und Architekten gemeinsam geplant. Ob sich jedoch ein solcher Fertigbau als regelrechtes Schulgebäude eignet, sei nicht so sicher. „Für Klassensäle, in denen reiner Unterricht stattfindet, ist das sicher kein Problem“, räumt Straus ein. Schwieriger werde es, wenn Maschinen in Werkateliers untergebracht werden müssten. „Ich weiß nicht, ob die Konstruktion beispielsweise anhaltende Vibrationen aushält“, gibt Straus zu bedenken.

25 Jahre Lebensdauer attestieren Experten dem Fertigbau, das ist in etwa so lang wie eine neue Schule hält, bis die ersten umfangreicheren Instandsetzungsarbeiten anfallen. Kein Wunder, dass Finanzexperten nun durchrechnen, ob solch ein Zwischenbau nicht künftig Schule machen könnte. Offen sagt es niemand, aber Mega-Bauten wie in Redingen oder das Lycée Aline Mayrisch haben einen Maßstab gesetzt – an dem sich nachfolgende Schulleitungen orientieren. Wer möchte schon eine Schule haben, die billiger ist als die des Nachbarn? Raymond Straus nickt vorsichtig mit dem Kopf: „Wir denken ganz sicher darüber nach, wie wir billiger bauen können. Es müssen nicht immer Prunkbauten sein“, gibt er zu. Nächste Woche wird der Regierungsrat über öffentliche Infrastrukturen diskutieren, der Preis für Schulbauten soll ebenfalls auf der Tagesordnung stehen.

Die Finanzverwaltung dürfte das freuen, denn bisher waren die Budgetlinien im Bereich der Schulinfrastrukturen immer recht großzügig gewesen, wenngleich sie nicht immer ausgeschöpft wurden. So war das Lallinger Lyzeum mit 98 Millionen Euro veranschlagt, die voraussichtlichen Kosten belaufen sich laut Budget-Gesetzentwurf 2012 auf rund 95,1 Millionen. Für den Neubau der Mathias-Adam-Schule in Petingen waren 106 Millionen Euro vorgesehen, jetzt soll es rund 96 Millionen Euro kosten. Nicht immer wird Geld gespart: Die provisorische Struktur des Athenäum war ursprünglich mit 20 Millionen kalkuliert worden und wird jetzt mehr als 50 Prozent teurer. Absoluten Spitzenrekord hält das geplante Lycée Agricole in Gilsdorf, das zusammen mit der Erneuerung des Escher Lycée Hubert Clément von den Abgeordneten kürzlich gestimmt wurde: 114 Millionen Euro waren zunächst für den Neubau vorgesehen, der rund 800 Schüler beherbergen soll, 100 Millionen stehen nun im Haushaltsentwurf. Das ebenfalls für rund 800 Schüler geplante Lyzeum in Clerf sol dagegen nur rund die Hälfte kosten. Allerdings fallen bei der Landwirtschaftsschule aufwändige Werkstätten, Gewächshäuser und viel Fläche an. So dass beide Gebäude nicht ohne weiteres zu vergleichen sind.

Vergessen scheint inzwischen, dass Premier Jean-Claude Juncker noch im Frühjahr 2010 ein Moratorium für den Bau weiterer Schulen, also Clerf und Differdingen, angekündigt hatte. Die Planungsarbeiten für beide Schulprojekte jedenfalls hatten laut Unterrichtsministerium „nicht wirklich aufgehört. Sonst würden wir wertvolle Zeit verlieren“. In Clerf hat sich eine Arbeitsgruppe gegründet, die das pädagogische Konzept der neuen Schule erarbeiten will. Dann wird vielleicht auch möglich, was sich beim Mamer Lycée bewährt hat: Schuldirektionen und Bauherren arbeiten immer enger und früher zusammen. Beim Mamer Lyzeum war die Direktion in die Planung eingebunden, auch beim Redinger Lyzeum hatte die Direktion ein Wort über die Aufteilung der Klassenräume mitzureden. „Das ist eigentlich inzwischen die Regel“, weiß Straus. Eine frühe Zusammenarbeit ist wichtig, wenn es zum Beispiel um die pädagogische Ausgestaltung der Räume geht. Am besten klappt die Planung, wenn die Direktion oder zumindest ein Team von Lehrern schon im Vorfeld feststehen. Sollte die Sekundarschulreform tatsächlich eines Tages kommen, werden Schulen mehr noch als zuvor ihr eigenes pädagogisches Profil schärfen können. Je nach inhaltliche Ausrichtung dürfte sich das auch auf die bauliche Gestaltung einer Schule auswirken.

Ein weiterer Trend zeichnet sich ab: die Suche nach Synergien. Beispiel Differdingen: Weil die Gemeinde selbst neue Sportinfrastrukturen braucht, teilen sich Staat und Gemeinde die Kosten des neuen Schwimmbads. Die Sportanlagen des Lycée technique Nic-Biever in Düdelingen nutzen Schule und Vereine gemeinsam. Das technische Lyzeum Michel Lucius in der Hauptstadt soll eine neue Mensastruktur bekommen – und diese mit dem Lycée technique du centre teilen. Ähnliches, eine Art Campus-Mensa, ist für das Forum Geesseknäppchen angedacht. „Wir suchen Synergien, wo es nur geht“, betont Raymond Straus. Sollte das Lyzeum in Junglinster 2015 (ein Jahr später als geplant) seine Türen öffnen und die Schulen in Differdingen und Clerf bald gebaut sein, hätte jede Region ihre eigene Sekundarschule.

Unklar ist die Zukunft im Süden. Nachdem die Regierung eine Studie für das Jahr 2008 angefertigt hatte, die bestätigte, dass genügend Schüler für eine weitere Schule im Süden vorhanden seien, hat die Regierung kürzlich ein Update anfertigen lassen. Fazit: Auch wenn die Schülerzahlen nicht mehr so rasant steigen, durch die wachsende Schar an Neuankömmlingen und wegen der größeren Bautätigkeit der Kommunen, könnte eine Schule bei Mondorf Sinn machen. Vergangene Woche trafen daher Ministeriumsvertreter mit Gemeindeverantwortlichen zusammen. Eine Standortentscheidung, so hieß es nach dem Treffen, sei noch nicht gefallen.

Ines Kurschat
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