Nicht streiten, möchte frau angesichts der neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft sagen. Wir sind alle schön. Wir sind alle gut. Die einen so, die andern so, die einen dick, die andern doof, oder beides, oder nicht mal das, Hauptsache man bemüht sich. Und man weiß, wo man herkommt.
Zu dem Thema gibt es erstaunliche News. Die Forscher_innen können ja nicht aufhören zu forschen, es ist ein Drang, ein Zwang, sie können nicht anders. Ein beliebtes Deutschaufsatzabiturthema, Galileo Galilei, Greisinnen entsinnen sich, sicher immer noch auf dem Menü, das wird ja nicht so oft ausgewechselt. Bei ihrem hartnäckigen und zugleich hemmungslosen Herumgeforsche ist den
Wissenschaftler_innen ein pechschwarzes Körnchen unter die Lupe gekommen. Das haben sie flugs unter die Lupe genommen. Es ist einen Millimeter groß.
Und, okay, ich platze jetzt damit heraus, ich kann nicht mehr an mich halten: Es handelt sich um unser_e Vorfahr_in! Vergesst Mama Afrika, vergesst die Venus von Willensdorf, vergesst Neander- oder Whatever-Thal!
Wir haben dich, endlich!, wieder! RTL kommt, die Vermisst-Kamera, alle sind überwältigt, sprachlos, feuchte Augen, Familie, Ursprung, Identität. Kussikussi, nie wieder lonely.
Das uns vorgefahrene Wesen ist von einer einzigen Sorte, also, wie ich messerscharf schließe, monosexuell, was ja keineswegs monoton heißt. Unsere Vorfahrin, Adresse China, Provinz Shaanxi, hat auf das ganze Sex-Brimborium abgeklärt verzichtet, anscheinend war es nicht brauchbar. Saccorhytus coronarius, wie der Kosename der Forscher_innenfundes lautet, verfügte exklusiv über ein Maul, das musste reichen. Und es reichte auch, schließlich sind wir jetzt da! Ein Staunen befällt uns, man sieht, was alles möglich ist, man muss es nur für möglich halten. Quasi aus dem Nichts beziehungsweise dem All wurde etwas erschaffen, und immer mehr davon. Wenngleich nicht gerade über Nacht, ein bisschen Geduld war angebracht.
540 Millionen Jahre, über den paläobiologischen Daumen gepeilt. Unser Ur-Elternteil ist nicht nur alt, sondern auch wunderschön. Obschon die Paläobiolog_innen es ein bisschen an Respekt mangeln lassen, sie reden von einem Maul, das Maul nennen sie groß und sackartig. Urahn bestand quasi exklusiv aus Maul.
In der Urahnguggelgalerie können wir uns ein bisschen vertraut machen, es gibt ein berauschendes Porträt. Vielleicht will sich eine ein Bild übers Bett hängen oder es in einem geeigneten Moment aus dem Plastikfensterlein der Brieftasche nesteln, um Familiensinn zu demonstrieren, den es auch in unserm Kulturkreis gibt. Das Schöne dabei ist: Meine(r) ist deine(r)! Mein(e) Uri ist dein(e) Uri! We are all one! Und schaut sie nicht hinreißend aus? Um ein geheimnisschwangeres schwarzes Loch – wo bitte ist es sackartig? – ein perlmuttschimmerndes Doppelkollier aus Perlen. Darüber eine festliche Anordnung goldener Muscheln. Der Teint unserer aller All-Uri ist grüngülden.
Sie ist so majestätisch. Sie eignet sich hervorragend, in allen Amtsstuben und Schulen der Welt an der Wand zu hängen.
Dass Uri kein Arschloch hatte oder war, wird immer wieder angeführt. Na mein Gott, offensichtlich ging es ohne. Uris Kids, die so fürchterlich einfallslos geheißenen Neumünder, waren schon Kids der Neuzeit, sie wollten es abwechslungsreicher, es gab ja noch keine sozialen Medien. Aus einem Mund wurde, öfter mal was Neues, schwuppdiwupp ein Anus, ein neuer Mund entstand. Und so weiter, man nennt das Evolution, ein Wort, das in den USA und der Türkei heute nur noch Mutige in den Mund nehmen.
Ein schwarzes Körnchen Wahrheit bringt Licht in das Dunkel unserer Geschichte. Nach derzeitigem Wissensstand natürlich, wie jede korrekte Forscherin einschränken muss. Vielleicht kommt ja bald ein neuer Besessener, der ein neues, uraltes Staubkorn abstaubt und unseren verehrten Ahn Saccorhytus coronarius entthront. Studien gibt es ja wie Sand am Meer, vielleicht scharrt die Dubai University bald eine neue Mini-Bomi aus dem goldenen Wüstensand?
Wobei, die Chancen stehen gut: So ein Großmaul muss einfach unser Vorfahr sein!