Strom für Zoé

d'Lëtzebuerger Land du 29.10.2021

Der Mitarbeiter einer Autovermietung am Flughafen von Ajaccio auf Korsika ist ganz salesman: Wie wäre es statt des vorbestellten Renault Clio mit einem Renault Zoé? Modern. Elektrisch. Kein CO2. Eine Vollladung reiche für 300 Kilometer. Überall auf der Insel gebe es Ladesäulen. Er zeigt mir ein A4-Blatt mit Details. Besonders günstig sei das Nachladen bei der Mietagentur am Flughafen: vingt-huit euros TTC! Ich lasse mich überreden. Zwei Wochen lang elektrisch unterwegs war ich noch nie.

Zoé fahren macht Spaß. Nahezu lautlos. Ganz schön spurtstark: Schneller als die einheimischen Motorroller vom Fleck kommt Zoé an Ampelkreuzungen allemal. Schneller als Fossil-Autos sowieso. Doch dann wird Nachladen nötig. Ich habe eine Smartphone-App installiert, die mehr Ladesäulen empfiehlt als Zoés eingebauter Navigator. Leider sind viele Teslas vorbehalten und verlangen einen Tesla-Stecker. Zoé hat einen anderen. Doch in Ajaccio, der größten Stadt auf der Insel, scheint es genug Alternativen zu geben. Aber ach! In einer Supermarkt-Tiefgarage sind zwei Ladeparkplätze ausgeschildert, doch die Säulen fehlen noch. Also fahre ich eine Tankstelle an, die laut App Nachladen anbietet. Schon habe ich Zoés Kabel in eine Ladesäule gestöpselt, als ein Tankstellenagent mir zuruft: Hors service! Lange schon. Elektroautos seien eh Blödsinn. Dann nennt er mir einen nahegelegenen Renault-Konzessionär. Dort klappe es bestimmt.

Der Konzessionär aber weigert sich, an seine Ladesäule Renaults zu lassen, die nicht bei ihm zum Verkauf stehen. Zum Glück befinde ich mich mittlerweile unweit des Flughafens von Ajaccio, wo Nachladen nicht nur möglich, sondern auch besonders günstig sein soll. Und ja: Auf dem großen Hof der meiner Autovermietung angeschlossenen Werkstatt stehen zwölf Doppel-Ladesäulen. An den meisten nähren sich Geschwister meiner Zoé. Ihre auf 15 Prozent abgesackte Ladung wieder auf Vollstand zu bringen, wird 50 Minuten dauern. Solange beobachte ich den Flugverkehr und trinke zu viel Kaffee in der Aérogare.

Zu meinem Erstaunen kostet Zoés Aufladung keine 28 Euro TTC, sondern null. Ein Werkstattmitarbeiter brummelt zur Erklärung, Nachladen sei pas évident auf der Insel. Gerne hätte ich beim salesman von ein paar Tagen vorher Zoé gegen einen Clio eingetauscht, doch die Autovermietung hat Mittagspause. Mir ist nun klar, dass ich ein Problem habe.

In den nächsten Tagen entdecke ich das Stromsparen mit Zoé. Fahre ich nicht schneller als 50, wird kaum Strom verbraucht, sagt die Anzeige am Armaturenbrett. Und dann die Rekuperation, die beim Bergabfahren die Batterie auflädt! Ich entwickle die Neigung, Berg- und Talfahrten möglichst sinnvoll kombinieren zu wollen, was auf der bergigen Insel nicht uninteressant ist. Auch auf Schnellstraßen fahre ich nun kaum über 70.

Einen Tagesausflug ins pittoreske Bonifacio im Süden Korsikas beginne ich früh genug, um eine unbesetzte Ladesäule auf einem Parkplatz zu erwischen. Fünfeinhalb Stunden wird das Nachladen hier dauern. Ein gutes Maß, ich will noch etwas länger bleiben. Doch der schöne Tag droht unschön zu enden: Die Ladesäule will Zoés Kabel nicht wieder hergeben. Ich konsultiere die Hinweise an der Säule und die Gebrauchsanweisung für Zoé im Handschuhfach. Mir scheint, ich habe nichts falsch gemacht. Vom Auto trennen kann ich das Kabel, aber nicht von der Säule. Meine Ratlosigkeit fällt einer Parkplatzmitarbeiterin auf. Das hätten wir gleich! Mit einem Schlüssel öffnet sie die Rückwand der Säule und macht sich im Innern zu schaffen. Das Säulen-Display zeigt an, dass ein Reset erfolgt. Losgelassen wird mein Kabel nicht.

Die Mitarbeiterin telefoniert. Erst mit ihrem Chef, dann mit der Ladesäulenbetreiberfirma. Die Firma empfiehlt noch einen Reset, der aber nicht hilft. Dann kommt der Chef. Das hätten wir gleich! Doch was er aufzubieten hat, ist nur Gewalt. Er rüttelt und zieht an Stecker und Kabel. Oh putain!, stößt er hervor, stemmt einen Fuß gegen die Säule und zerrt am Kabel. Die Säule wankt in ihrer Verankerung. Ich warne: Was, wenn der Chef sie entwurzelt und ihm 22 Kilowatt ins Bein fahren? Der Chef hebt die Schultern und geht. Seine Angestellte führt das rettende Telefonat: Ich kann mir in der Filiale meiner Autovermietung am nahegelegenen Flughafen Figari ein anderes Kabel abholen und meines an der Säule lassen.

Der Kabel-Deal klappt. Die nächsten Touren mit Zoé unternehme ich erneut stromsparend und rekuperierend, so gut es geht. Und beneide Diesel- und Benzinfahrer um ihre freie Tankstellenwahl. Als Zoés nächstes Aufladen fällig wird, steuere ich gleich den Flughafen Ajaccio an, wo es garantiert Strom gibt. Wie der Kaffee in der Aérogare schmeckt, weiß ich auch schon. Der Strom am Flughafen ist noch immer gratis.

In der Stadt Corte in den Bergen finde ich nahe der lokalen Zitadelle Ladesäulen vor. Ich inspiziere sie näher: Sie sind für die neuen Elektroautos von VW gedacht. Sie verlangen einen Stecker, der anders ist als der von Zoé, aber auch anders als der von Tesla zum Beispiel. Da beginne ich mir nicht nur Sorgen um die Auto-Elektrifizierung Korsikas, sondern der ganzen EU zu machen.

Peter Feist
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