Gesprächsrunde mit Nathalie Jacoby, Ulrike Bail, Guy Helminger, Robert Schofield und Joseph Kayser
Natürlich durfte im Laufe der vergangenen Woche auch eine Diskussionsrunde zu den Herausforderungen und Möglichkeiten der Mehrsprachigkeit in Luxemburg nicht fehlen, denn die Sprachenvielfalt der Publikationen ist immerhin eine der auffälligsten Eigenschaften der luxemburgischen Literatur.
Nathalie Jacoby, die Direktorin des Centre national de littérature, moderierte das Gespräch zwischen der Autorin Ulrike Bail und den Autoren Guy Helminger, Robert Schofield und Joseph Kayser. Repräsentantinnen oder Repräsentanten der französisch-, portugiesisch-, italienischsprachigen oder anderer in der luxemburgischen Literatur vertretenen Sprachen fehlten hingegen. „Wenn man sich die Verteilung der Sprachen in Luxemburg ansieht, müsste auch Portugiesisch eine große Rolle als Literatursprache spielen. Wir bekommen das aber oft gar nicht so mit“, stellte der Autor Guy Helminger fest. Auch wenn es in Luxemburg spezialisierte Literaturzeitschriften gibt, wie zum Beispiel die spanischsprachige abril oder die bosnisch-französischsprachige Zeitschrift Bihor, ist die Wahrnehmung dieser Veröffentlichungen in den dominierenden Sprachen nicht garantiert – außer, wenn die Texte übersetzt werden. Es ist das Crux der im Alltag dominierenden und offiziellen Sprachen: Im öffentlichen Raum müssen sich Minderheiten den Sprachgewohnheiten anpassen, wodurch ihre Sprachen weniger wahrgenommen würden. Nur selten werden sie von den Sprechenden der dominierenden Sprachen erlernt oder in der Schule unterrichtet.
In der Diskussionsrunde kristallisiert sich schnell die Differenzierung zwischen Alltagssprachen und Literatursprache heraus. Die Sprache, in der geschrieben wird, ist auch das Ergebnis einer persönlich begründeten Wahl, die dadurch beeinflusst wird, wo man großgeworden ist, ob und in welchen Sprachen zuhause oder in der Schule gelesen wurde, oder die auch von den literarischen Vorbildern abhängig ist. Joseph Kayser, der auf Luxemburgisch schreibt und dieses Jahr seinen ersten Roman auf Deutsch, Lapsuus (Binsfeld), herausgebracht hat und somit die Sprachen „gewechselt“ hat, beschrieb die Entscheidung für eine Sprache auch als durch das Genre des jeweiligen Textes motiviert. Guy Helminger hingegen stellte fest, dass die Sozialisierung, die Präferenzen und Möglichkeiten der Schreibenden viel ausschlaggebender sind. Sie gibt den jeweiligen Zugang zur Welt vor – ob es nun die first language oder Muttersprache ist, wie für Ulrike Bail oder den auf Englisch schreibenden Robert Schofield, oder die Sprache der jeweiligen Lebensrealität, wie es für den in Köln lebenden Guy Helminger der Fall ist. Sobald man sich einmal für eine Sprache entschieden habe, bestärkte auch Ulrike Bail, könne man diese nicht mehr wirklich ablegen. Sie gebe zwar einen bestimmten Rahmen vor, der im Kontrast mit den anderen Sprachen seine Beschränkungen aufzeige, beschrieb die diesjährige Preisträgerin des Prix Servais, doch gerade das Bewusstsein um die verschiedenen Sprachen helfe, die eigene Sprache und Weltsicht stets neu zu vermessen. Das zeigt sich auch in ihrem Gedichtband Wie viele faden tief (Conte 2020), in dem der Klang und die Bestandteile von Fremdwörtern eingebunden, untersucht und verfremdet werden. Man solle diese Mehrsprachigkeit nicht als nebeneinander existierende „Fremdsprachen“ betrachten, sagte Ulrike Bail, sondern als „Schichten“. Sie sind Ausdruck einer Heimat, aus der heraus sich der Blick für Unterschiede oder Übertragungsschwierigkeiten schärft. Und erst dadurch wird die Suche nach Verbindungen, Begegnungen und Übersetzungen in der Literatur möglich. Die Sprache wird zum Werkzeug, mit dem die Grenzen der Wirklichkeit, die uns unsere Sprache vorgibt, in der Literatur ausgereizt werden.
Dennoch sind manche Sprachen für verschiedene Texte besser geeignet, wie die Arbeit von Roger Manderscheid an seinem Roman Schacko klak (PHI 1988) zeigt, den er auf Deutsch begonnen hat. Schnell stellte er jedoch fest, dass sich die Sprache der ehemaligen Besatzer Luxemburgs nicht für ein Buch aus der Perspektive der luxemburgischen Figur Chrëscht Knapp eignete, und verfasste die Geschichte schließlich auf Luxemburgisch.
Immer wieder kehrt die Diskussion zur Koexistenz der verschiedenen Alltagssprachen in Luxemburg zurück. Den Kontext zu erraten und einzuschätzen, ob nun Luxemburgisch, Deutsch, Französisch oder Englisch gesprochen werden kann oder sollte, sei gerade als „incomer“ schwierig, sagte Robert Schofield. Verschiedene Bücher aus Luxemburg versuchen, diese Mehrsprachigkeit abzubilden, wie Guy Helmingers Gedichtband Libellenterz (PHI 2010) oder der viersprachige Roman Sabotage von Jeff Schinker (Hydre 2018) – zeigen sie aber auch als nebeneinander existierend, verschränken sie nicht.
Wo aber steht die luxemburgischsprachige Literatur zwischen all diesen Sprachen im Alltag, dem Ergebnis der Pluralität der Gesellschaft, der Internationalisierung und der Migration? Auch wenn man in den letzten Jahren ein Revival der luxemburgischsprachigen Veröffentlichungen feststellen kann, war die Sprache schon immer als Literatursprache präsent, nicht nur als mündliches Kulturgut wie etwa in Gesangsbüchern oder Kindergeschichten. Aber seit die Sprache nicht mehr nur als Verkehrssprache oder Behelfssprache in der Schule genutzt wird und verstärkt unterrichtet wird, erlebt sie als Literatursprache verschiedenster Genres, in Gedichten, Krimis oder auch in anderen kreativen Formaten, wie zum Beispiel im Film, einen Aufschwung.
Die kanadische Generalgouverneurin Mary May Simon beschrieb die Sprachenvielfalt in Kanada als „plural singularity“, als vielfältige Singularität. Passend dazu bestärkt Nathalie Jacoby in der Gesprächsrunde, dass der Eindruck der Monolingualität als Norm täusche und nicht der Realität unserer Gesellschaften entspricht, was Luxemburg auf eine konzentrierte Weise vorführe. Es ist eine sprachliche „Diversität die wir brauchen, nicht, der wir ausgesetzt sind“, wie sie Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, in seiner Eröffnungsrede beschrieb. Eine Vielfalt, die es zu wahren und zu bestärken gilt.