Frankfurter Buchmesse 2021

Re:connecting in Frankfurt

d'Lëtzebuerger Land du 29.10.2021

Unter dem Motto Re:Connect hatte die 73. Frankfurter Buchmesse von letztem Mittwoch bis zum vergangenen Wochenende ihre Türen geöffnet und hat gezeigt: Die Buchbranche hat die Pandemie überlebt. Sie hat sogar neue Medien und Formen für sich entdeckt, die sie voraussichtlich in Zukunft weiterhin einbinden wird, wie die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Vernetzung über Grenzen und Zeitzonen hinweg.

Gleichzeitig ist die Frankfurter Buchmesse als physischer Ort für Begegnungen und Meinungsvielfalt erhalten geblieben. Der direkte Austausch zwischen Lesenden, Literaturschaffenden und der physische Kontakt mit den Büchern ist weiterhin sehr wichtig, und deswegen sind auch dieses Jahr viele Verlage wieder zur Buchmesse gekommen, um wieder in Kontakt zu treten und Präsenz zu zeigen, um sich zu reconnecten. Es fühlt sich auch wie ein Abtasten an: Wie haben die anderen Länder und Verlage die Veränderungen der Lesegewohnheiten, der Buchproduktion und die Herausforderung der Verbreitung der Bücher erlebt? Wie geht es weiter? Für Gespräche bleibt auf dem Messegelände in diesem Jahr viel Zeit und Raum. Infolge der Abstandsregeln sind die Flure großzügiger bemessen und auch die Messestände der kleinen Verlage größer. Es sind nicht so viele Aussteller gekommen wie 2019, die Besucherzahlen sind auf 25 000 Besucher pro Tag beschränkt worden. Vor zwei Jahren waren es mehr als doppelt so viele.

2 000 Aussteller aus 80 Ländern haben sich angemeldet, 500 von ihnen erst in den vergangenen drei Wochen. 2019 waren es fast viermal mehr. „Hätten wir im Frühjahr letzten Jahres, nach der Absage der Leipziger Buchmesse, gewusst, was noch folgen würde, uns hätte wohl der Mut verlassen“, sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Karin Schmidt-Friderichs bei der Eröffnungsfeier. Aber sie machte auch deutlich, dass sich Buchmarkt nicht wie befürchtet in einer durch die Pandemie verstärkten Krise befinde: Der Umsatz der Branche läge 0,7 Prozent über dem im gleichen Zeitraum 2019. „Die Aufholjagd läuft auch in diesem Jahr vielversprechend.“

Dabei kann man feststellen, dass die Anzahl an Erstauflagen im vergangenen Jahr zurückgegangen ist. Im Moment „leben wir von der Backlist“, sagte Juergen Boos, der seit 2005 Direktor der Buchmesse ist. Aus Gesprächen mit Verlagsschaffenden lässt sich heraushören, dass viele geplante Titel in die kommenden Jahre verschoben wurden. Man kann also gespannt sein, wie sich diese Zahlen entwickeln werden, ob die Zahl an Neuauflagen explodieren wird oder die Verlage insgesamt weniger neue Titel publizieren werden. „Der Branche geht es eigentlich erstaunlich gut. Wir haben eine große Resilienz erlebt“, sagte Schmidt-Friedrichs, denn die Buchbranche habe ihre Flexibilität, Kreativität und Agilität unter Beweis gestellt. Zudem würde mehr gelesen – und zwar nicht nur von den klassischen Vielleserinnen – „auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die vorher nicht oder wenig gelesen haben“, haben in und seit der Pandemie mehr zu den Büchern gegriffen. Tatsächlich ist der Umsatz mit Kinder- und Jugendbüchern in den vergangenen beiden Jahren gestiegen.

Die Stimmen der Buchhändler und Buchhändlerinnen zu den Auswirkungen der Pandemie, den Schließungen und der auch nach den Wiedereröffnungen nur zögerlich wiederkehrenden Kundschaft oder von der Konkurrenz des Online-Geschäfts fehlen jedoch auf der Messe, hier, wo die Rechte gehandelt werden, auch wenn über dem Messegelände ein riesiges Banner zu ihrer Unterstützung hängt. Der Umsatz dieser Branche „liegt noch immer um 13,3 Prozent zurück, kämpft sich aber Woche für Woche vorwärts.“ Etliche Buchhandlungen würden voraussichtlich am Ende des Jahres rote Zahlen verzeichnen, sagte Schmidt-Friedrichs.

Bücher und Lesen sind physisch

Eins habe bei allem Lesen während der Pandemie aber gefehlt, sagte sie weiter: „Die Begegnungen, die diese Branche ausmachen.“ Und genau diese Kontakte bietet die diesjährige Buchmesse, bei allen Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen. Neben dem Rechtehandel, dem An- und Verkauf der Rechte an den Texten für Erstveröffentlichungen, Verfilmungen oder Übersetzungen, spielen auch die Publikumstage am Ende der Handelswoche eine wichtige Rolle: Hier begegnen sich Leserschaft, Autoren und Autorinnen bei Lesungen, Signierstunden und Gesprächsrunden. Neue Stimmen und Themen werden sichtbar. Genug also von Zahlen und dem Zustand des Marktes, zurück ins Getümmel, nicht Gewühl, der diesjährigen Messe und ein Buch in die Hand genommen.

Die breiten Flure sind nie voll, die Abstände zwischen den Ständen weit. Dafür sind die Stände geräumiger geworden: Wenn man diesen ganzen freien Platz nicht als Leerstelle sieht, erkennt man die Chance, die diese Freiräume bieten. Es bleibt Zeit, in die Bücher hineinzulesen und ins Gespräch zu kommen, sich auch ausführlich auszutauschen. Überall gibt es Sitzbänke und Stehtische, die zum Verweilen einladen, und auch die Lautstärke ist wunderbar angenehm. Die Erwartungen an die erste physische Buchmesse nach dem Beginn der Pandemie waren hoch und die Messe mag erstmal nicht überwältigen, da sie die Sinne nicht so überschwemmt, wie es in den vorherigen Jahren der Fall gewesen war. Dafür bietet sie mehr Ruhe und Zeit für begeisterte Leserinnen, Buchliebhaber und Fachbesucher, ein sehr angenehmes, dem Lesen angemessenes Setting.

Ehrengastland Kanada

Zum zweiten Jahr in Folge ist Kanada Ehrengastland der Buchmesse. Die angereiste kanadische Generalgouverneurin Mary May Simon ist an der Ungava-Bucht bei ihrer Inuit-Mutter und ihrem weißen Vater groß geworden und beschreibt Kanada als Land vieler Geschichten: „Im Norden Kanadas sind sie es, die uns miteinander und mit dem Land verbinden.“ Der Literatur des Gastlandes wird alljährlich auf der Buchmesse besondere Aufmerksamkeit geschenkt: 400 Titel aus Kanada haben Verlage zur Messe ins Deutsche übersetzen lassen. Doch nach den Büchern musste man im Gastland-Pavillon, das sich als digitale und interaktive Begegnungsstätte präsentierte, suchen. Sie versteckten sich regelrecht hinter einer multimedialen Installation des Designers Gonzalo Soldi. Diese verband die wilde Landschaft mit der vielfältigen, mehrsprachigen Literatur Kanadas. Hier begegneten den Besuchern Geräusche und Animationen, wabernder Nebel und animierte Figuren kanadischer Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Acht Autorinnen und Autoren aus dem Gastland Kanada waren in Frankfurt und haben ihre Werke vorgestellt; die weltberühmte Margaret Atwood, Autorin von Der Report der Magd, wurde live zugeschaltet und hielt eine wundersam emotionslos vorgelesene Rede über die Pläne, die sie für das vergangene Jahr gehabt hatte, die in einem grandiosen Kontrast zu ihrem Humor und den tatsächlichen Aussagen steht – und erzählt vor einem Bücherregal, das sich wie ein schwarzer Schlund öffnet, von den Möglichkeiten, die Bücher bieten.

Die Frankfurter Buchmesse, die größte Buchmesse der Welt, ist per se ein Tummelbecken der internationalen Literatur. 80 ausländische Aussteller sind angereist, auf den Gängen, der Terrazza, in den Cafés und Ständen sind noch viel mehr Sprachen zu hören, in den Ständen werden Bücher in verschiedenen Schriften ausgestellt. Zwei Drittel der ausländischen Verlage präsentieren sich an 41 Nationalständen, ein Drittel hat eigene Stände – wie auch Luxemburg.

Literatur aus Luxemburg

Der luxemburgische Messestand wurde dieses Jahr zum ersten Mal von Kultur | lx – Arts Council Luxembourg organisiert, das im Juli 2020 als „Instrument zur Unterstützung, Förderung und Verbreitung der luxemburgischen Kulturszene“ vom Kulturministerium in Luxemburg gegründet wurde. An dem großen Stand am Ende der Halle 3.0. präsentieren sich die Bücher aus Luxemburg auf Stellwänden in Holzoptik vor einem großflächigen Bild von Marc Angel. Zehn luxemburgische Verlage sind vertreten, alle Altersklassen und verschiedene Sprachen Luxemburgs. Unter der Woche wurden hier Gesprächsrunden organisiert, die aus den Vollen der digitalen Möglichkeiten schöpften und zum Beispiel eine Schulklasse aus Lallingen einluden, den anwesenden Autorinnen und Autoren Fragen zu stellen.

Der Comic-Autor, Illustrator und bildende Künstler Marc Angel lebt und arbeitet in Beckerich. Er hat die Zeichnung, die meterhoch den Messestand ziert, speziell für die diesjährige Buchmesse angefertigt. Der Stil erinnert an das 2019 gemeinsam mit Samuel Hamen veröffentlichte Zeeechen (Binsfeld, Prix Servais), in dem sich fantastische Kurzgeschichten und Bilder ergänzen und weiterspinnen.

„Die Gemeinsamkeit ist die Technik, die Lavierung: Aufgelöste Tusche wird wie Aquarell verarbeitet“, sagt Marc Angel. Diese Aufgabe sei jedoch eine ganz andere gewesen, denn hier habe keine Geschichte den Rahmen vorgegeben, sondern vielmehr die gesamte Literaturlandschaft Luxemburgs. Er lacht. „Wie stellt man so etwas dar?“ Er habe assoziativ gearbeitet – einerseits findet man Wahrzeichen des Landes wie Fördertürme für den Bergbau aus dem Minett oder die modernen Hochhäuser vom Kirchberg wieder. Die Landschaft, die die Bewohner und Bewohnerinnen prägt, sagt Angel: Je nachdem, wo man groß wird, wird auch der Blick auf die Welt um einen herum geprägt. Mittig im Vordergrund thront die Silhouette einer schreibenden Figur, aus deren über Papier gekrümmter Haltung die Tinte hervorzufließen scheint. Man erblickt spukende Umrisse, andere Figuren und ihr literarisches Vorbild sind klar zu erkennen – und alle können gewiss mit der Unterstützung des belesenen Illustrators erklärt werden, aber darum geht es auch wieder nicht. Denn es sind Figuren, deren Gestalt bestimmte Geschichten und ihren Tonfall evoziert. Diese gewollte freie Assoziation entspricht auch dem Geist der Literatur, in der vor jedermanns innerem Auge eigenen Bilder wach werden. Genau wie auch das Nutzen von Kalligrafie-Tinte eine augenzwinkernde Verbindung zum Schreiben herstellt. Auf neue Publikationen von Marc Angel können wir uns wohl bald freuen – durch Corona sind einige Projekte verschoben worden und in den letzten Jahren war viel Zeit für neue Ideen. Und die nächste Buchmesse kommt gewiss.

Viele Panels und Lesungen sind auch weiterhin als Livestreams und online verfügbar. Also fast, als wären Sie dabei gewesen. Aber eben ohne Anfassen. www.facebook.com/Kulturlx

Claire Schmartz
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