Ausnahmezustand

Nationale Krise

d'Lëtzebuerger Land du 09.12.2016

Inzwischen von der Öffentlichkeit so gut wie unbeachtet, schlossen der parlamentarische Ausschuss der Institutionen und der Verfassungsrevision sowie diese Woche der Staatsrat die Vorbereitung der vorgezogenen Verfassungsrevision ab, durch die der Ausnahmezustand im Fall internationaler Krisen auf den Fall nationaler Krisen ausgeweitet werden soll. Nach den Terroranschlägen in Paris vor einem Jahr hatte die Regierung eine umgehende Änderung von Verfassungsartikel 32-4 angekündigt, ohne länger die möglicherweise von der CSV bis in die nächste Legislaturperiode verschleppte und von einem Referendum unsicheren Ausgangs abhängig gemachte Gesamtrevision der Verfassung abwarten zu wollen. So wollte sie für den Fall eines Anschlags hierzulande gerüstet sein, aber vor allem Entschlossenheit gegenüber einer stets mit Sicherheit und Ordnung werbenden CSV demonstrieren.

Konkret geht es um eine weitere Etappe in der Ausweitung des im Ersten Weltkrieg erfundenen Vollmachtengesetzes, mit dem die Exekutive Sondervollmachten auf Kosten der Legislative erhielt, weil in Krisenzeiten Parlamentarismus und Gewaltenteilung hinderlich sind und nur eine starke Regierung uns retten kann. 2004 hatte das Vollmachtengesetz Verfassungsrang erhalten, war aber erst einmal auf internationale Krisen beschränkt geblieben. Nun soll der Notstand auch in nationalen Krisen verhängt werden dürfen, so wie es der Staatsrat 2013 in seinem Gutachten zur Reform des Hochkommissariats für den Landesschutz vorgeschlagen hatte.

Wie dies geschehen soll, darüber war seit einem Jahr weitgehend hinter verschlossenen Türen diskutiert worden, das heißt, die Regierungsmehrheit hatte einen Kompromiss mit der CSV gesucht, um die für Verfassungsrevisionen erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament sicherzustellen. Unter dem Eindruck der Terroranschläge, aber auch des in Frankreich inzwischen zum Dauerzustand gewordenen Ausnahmezustands haben Abgeordnete und Staatsrat wiederholt ihre Meinung geändert, wollten bald der Regierung einen knappen Blankoscheck ausstellen, bald ein Maximum an rechtsstaatlichen Riegeln vorschieben. Auch wenn die Regierung vor einem Jahr den entsprechenden Verfassungsartikel Hals über Kopf ausweiten wollte, sind manche Abgerordneten heimlich zufrieden damit, dass die Revision doch nicht so schnell klappte, dass Zeit blieb, damit die Gemüter sich beruhigten und der geplante Text durch den einen oder anderen Änderungsantrag ein wenig entschärft werden konnte. So wird nunmehr eine „Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ nicht mehr als nationale Krise angesehen, sondern lediglich der „öffentlichen Sicherheit“, und somit Abschied von einem Begriff des Obrigkeitsstaats aus dem 19. Jahrhundert genommen. Auch wurde nun hinzugefügt, dass die Regierung sich nur über bestehende Gesetze hinwegsetzen darf, wenn das Parlament nicht in der Lage ist, ordnungsgemäß zu tagen.

Aber die beiden wichtigsten Einwände gegen den Ausnahmezustand bleiben noch immer unbeantwortet: Regierung und Parlament haben sich nicht die politisch wenig dankbare Mühe gemacht, zu überprüfen, ob die bestehende Gesetzgebung und die zahlreichen Notfallpläne nicht völlig ausreichen, um im Krisenfall Sicherheitskräfte und Notdienste schnell zu mobilisieren und die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Außerdem befinden wir uns derzeit nicht nur in einer Zeit terroristischer Anschläge, sondern auch autoritärer Bedrohungen. Thomas Mann, der unter Donald Trump wohl kein Asyl mehr in den USA bekommen hätte, hatte 1947 in einer Rundfunkansprache über den McCarthyismus gewarnt: „Spiritual intolerance, political inquisitions, and declining legal security, and all this in the name of an alleged ‘state of emergency.’ . . . That is how it started in Germany.”

Romain Hilgert
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