LEITARTIKEL

Resilienz, karbonfreie

d'Lëtzebuerger Land du 07.07.2023

Eigentlich hatte Claude Turmes (Grüne) am Dienstag eine Pressekonferenz geben wollen. Doch dann referierte er eine Dreiviertelstunde über die Landesplanung und versorgte sein Publikum mit so vielen Informationen, dass es danach kaum Fragen gab. Aber als Landesplanungsminister äußert er sich viel seltener denn als Energieminister, und was er zu erzählen hatte, klang gut. Es ging um das neue Leitprogramm für die Landesplanung. Der Endfassung hat der Regierungrat vor zwei Wochen grünes Licht gegeben, nachdem die Stellungnahmen aller Gemeinden und die Gutachten von Experten eingearbeitet waren. So dass nun auf 230 Seiten eine Strategie und ein Ansatz zur Umsetzung vorliegt: Um die Städte in ihrer Entwicklung zu stärken und Dörfern, die sich zu Schlafgemeinden entwickelt haben, dörflichen Charakter zurückzugeben. Um den Bodenverbrauch drastisch zu senken. Und – das ist neu – damit in Zukunft auch grenzüberschreitend geplant werden kann. Alles mit Horizont 2035.

Weil man sich unter dem Leitprogramm mehr vorstellen kann, wenn konkrete Projekte erwähnt werden, zählte Turmes eine ganze Reihe auf. So soll im Großraum der Hauptstadt, der „AggloLux“, ein Grüngürtel mit „refuges climatiques“ entstehen; der Bambësch soll eine sein. Im Süden („AggloSud“) soll ein Masterplan die Gewerbezone Foetz von der Monokultur in Mischnutzung überführen. In Redingen entsteht ein „Mobilitäts-Hub“. Landwirtschaftliche Flächen sollen über einen Plan sectoriel als solche reserviert werden. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wie die Projekte vorangetrieben werden – ihre „gouvernance“ –, unterscheide, so Turmes, seinen Ansatz von dem von CSV-Minister Michel Wolter vor 20 Jahren. „Ans IVL-Konzept hat ja niemand sich gehalten.“

Das war ein Stück Wahlkampf. Ob das neue Leitprogramm besser befolgt wird, muss sich zeigen. Wie vor 20 Jahren gilt, dass Staat und Gemeinden ihre eigene Planungshoheit haben. Weil Kollisionen zwischen beiden in der Vergangenheit oft vor Gericht landeten, ist das Leitprogramm seit 2018 nicht mehr rechtsverbindlich und muss von den Gemeinden lediglich „in Betracht gezogen“ werden. Hinzu kommt: Der Landesplanungsminister hat gegenüber seinen Kabinettskolleg/innen keine besonderen Kompetenzen; er „koordiniert“ nur alles, was die Landesplanung betrifft. Und: Grundstücksbesitzer haben eigene Interessen.

Auf Seite 155 des Leitprogramms wird die Frage „Vers une modification de la constitution luxembourgeoise?“ aufgeworfen. Die Ziele und Prinzipien der Landesplanung seien derart wichtig für „Resilienz“ und „Dekarbonisierung“, dass darüber nachgedacht werden sollte, ähnlich wie in der Schweiz dem sorgsamen Umgang mit der Ressource Boden Verfassungsrang zu geben. Wahrscheinlich wäre das eine gute Idee. Wonach jedoch ein ganzer Körper von Gesetzen neu zu entwerfen wäre, angefangen von den Planungen selber, über die Gemeindefinanzierung, und vielleicht bis hin zur territorialen Struktur des Landes. Bei unveränderter Rechtslage bliebe der nächsten Landesplanungsministerin, die natürlich auch ein Minister sein kann, kaum mehr, als Turmes unternahm, um Konsens für sein Programm zu schaffen – und was schon seine Vorgänger unternahmen, um Konsens für ihre Politiken herzustellen: Überzeugungsarbeit.

Das aber ist aufwändig, vor allem personalintensiv. Es erfordert den Einsatz von Ministeriumsbeamten vor Ort, vielleicht nicht ständig, aber oft. Das zeigte sich bei allen Versuchen, neben der Planung top-down durch den Staat auch eine „Regionalplanung“ bottom-up mit und durch die Gemeinden einzurichten. 2009 wurde dieses Instrument aus dem Besteckkasten des Landesplanungsgesetzes entfernt. Claude Turmes berichtete am Dienstag, die Gemeinden bekämen Berater bezahlt; mit dem Innenministerium seien „Leitfäden“ gedruckt worden. Er selber habe für den Staatshaushalt 2024 um mehr Personal für das Landesplanungsministerium ersucht. Das ist der Punkt: Landesplanung geht im Ansatz derart gegen alles Etablierte – und Kurzfristige –, dass sich ihr offenbar nur mit viel Geld zum Funktionieren verhelfen lässt. Das sollte nicht so sein, wenn es um Resilienz und Dekarbonisierung geht, und um die nächsten Generationen. 2035 ist ja schon bald.

Peter Feist
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