Hurensohn

Milieu - etwas anders

d'Lëtzebuerger Land du 05.02.2004

Hurensohn - der Titel verspricht etwas, was der Film nicht hält, bewusst nicht halten will. Die Koproduktion der Luxemburger Firma Tarantula und der österreichischen Aichholzer Filmproduktion wirft einen anderen Blick auf die Szene des käuflichen Sex. Besser: der Blick streift sie nur. Denn in Hurensohn geht es um den Sohn. Um seine Erfahrungen, seine Gefühle und seinen Erkenntnisprozess. Als Anhängsel einer Hure. Aber nicht nur.

Sturminger, und vor ihm schon Gabriel Loidolt als Autor des gleichnamigen Buches, das als Vorlage diente, setzt sich ganz intensiv und intim mit einer Bevölkerungsgruppe des aktuellen Wien auseinander, die in der österreichischen Hauptstadt schon seit Jahrzehnten eine neue Lebensbasis sucht. Es geht um die Zuwanderer aus dem Balkan. Schon vor Ausbruch des Bürgerkrieges nach dem Zerfall von Titos Reich kamen sie, um hier zu leben und zu arbeiten. Als Gastarbeiter, wie man das in Österreich so schön zu nennen pflegt. Nach dem Krieg strömten sie dann als Flüchtlinge auf die "Insel der Seeligen" - die das zu diesem Zeitpunkt auch schon nicht mehr war.

So viel zum Hintergrund. Die Geschichte beginnt mit Titos Begräbnis. Aus der sicheren Distanz einer kleinen Wiener Vorstadtwohnung mit Klo im Gang verfolgt die junge Silvija (Chulpan Khamatova) die Zeremonie nur wenig aufmerksam. Es gibt genug Ablenkung. Das Baby plärrt, der Mann besäuft sich, bricht einen Streit vom Zaun und haut ab. Fort ist er. Von nun an muss sie selbst sehen, wie sie zurecht kommt, Geld verdient. Schnitt - drei Jahre später. Wir wissen nun, wovon sie lebt: sie ist eine Hure geworden. Vor der Schicht richtet sie sich zurecht, die Blicke des Kleinen verfolgen sie. Man sieht es ihm an: die Mama ist sooo schön.

Fünf Jahre später das gleiche Szenario wie auch 13 Jahre darauf. Die schöne Mama geht - der Junge Ozren (Stanislas Lisnic) bleibt in der Obhut seiner Tante Liljana (Ina Goglavova) und des Onkel Ante (Miki Manojlovic) zurück. Mamas Fürsorge beschränkt sich im Wesentlichen darauf, den Buben teuer einzukleiden. Geprägt wird er von Tante und Onkel. Sie eine gottesfürchtige Frau, die das Tun der Schwester irgendwie akzeptiert, er ein Mann mit Erfahrung, kritischem Geist gegenüber der Kirchenmoral (somit ein Gegengewicht zur Tante) und ein Lehrmeister des Lebens, der seine Weisheiten in poetische Worte kleidet. Manjolovic, der aus Filmen von Emil Kusturica bekannt ist, findet hier eine wunderbare Rolle. Sie ist ihm auf den Leib geschneidert.

Natürlich stößt der kleine Ozren immer wieder auf Anzeichen dafür, dass seine Mama keine Kellnerin ist, in ihm wächst ein Verdacht, den er aber nicht zulassen will. Unausgesprochen hängt der verrufene Beruf wie ein Geheimnis zwischen Mutter und Sohn.

Obwohl der Film Hurensohn das Ende schon in der ersten Szene vorwegnimmt, sei es hier nicht verraten. Es ist viel spannender, ohne dieses Wissen ins Kino zu gehen. Und genau das sollten all jene tun, die an guten europäischen Filmen abseits des Mainstream interessiert sind - denn er ist mit viel Einfühlungsvermögen und bis ins letzte Detail durchdacht gemacht. Es gibt wundervolle Momente voller einfallsreicher Regiearbeit und herrliche Dialoge, die dem Kern des Lebens auf der Spur sind.

Die genaue Überlegung verrät schon das Casting. Chulpan Khamatova (bekannt aus Papa Luna und als russische Krankenschwester in Good Bye Lenin) spielt eine äußerst wandlungsfähige Silvija. Auch wenn sie, jung wie sie nun einmal noch ist, trotz allen Könnens als Mutter eines 16-Jährigen nicht ganz glaubhaft wirkt. Sie ist Russin, und das hört man ihrem Deutsch an. Auch die anderen Rollen von Ex-Jugoslawen sind nicht mit österreichischen Akteuren besetzt, was dem Film nur zu mehr Authentizität verhilft. Besonders im Kontrast zu den echten Wiener, die mit ihrer "Goschen" (das Pendant zur Berliner Schnauze) in kurzen Momenten dafür sorgen, dass auch jene, die das Balkan-Wien nicht so kennen, die Donaumetropole wiedererkennen. Es gibt Lokalkollorit, aber kein Wein-Walzer-seeliges, sondern die harte Realität des zweiten Wiener Gemeindebezirks. Und gerade dadurch vermag der Film zwischen europäischen Kulturen zu vermitteln - was denn auch die Koproduktion mit einem westeuropäischen Staat (und die Förderung durch öffentliche Mittel in beiden Ländern) mehr als rechtfertigt.

 

Hurensohn hat am vergangenen Wochenende beim diesjährigen Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken den Filmpreis des saarländischen Ministerpräsidenten bekommen, wird auf der Berlinale vertreten sein und läuft Ende Februar in unseren Kinos an.

 

 

 

 

Jutta Hopfgartner
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