ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Der letzte Versuch

d'Lëtzebuerger Land du 15.10.2021

Am 11. Dezember 2018 versprach Premierminister Xavier Bettel während seiner Regierungserklärung vor dem Parlament: „De Cannabis gëtt an dëser Legislaturperiod awer och allgemeng legaliséiert.“ Drei Jahre später melden DP, LSAP und Grüne, dass sie es sich während des Sommers anders überlegt haben.

Drogenpolitik heißt, mit Drogen Politik zu machen. Da gibt es die rechte, sicherheitspolitische Variante: Sie will Angst schüren, um Anpassung zu erreichen. Für sie sind Drogen Zeichen moralischer Verkommenheit. Sie kriminalisiert den Verkauf und Verzehr ausgewählter Rauschmittel. Die Prohibitionisten versprechen vom menschlichen Elend gesäuberte Fußgängerzonen. Sie verlangen immer mehr Gesetze, Polizisten, Zöllnerinnen, Spürhunde. Am Ende steht der Krieg gegen Drogen.

Da gibt es die liberale, wirtschaftspolitische Variante: Sie erscheint forsch und fortschrittlich. Ihr Leitbild ist der aufgeklärte Kunde auf einem vollkommenen Markt. Sie verteidigt die bürgerliche Freiheit des ungezügelten Konsums, vom Cactus bis zum Straßenstrich. Sie will den Konsum aller Rauschmittel zulassen. Sie will den Verkauf aller oder wenigstens der meisten Rauschmittel zulassen. Heilig ist dem Liberalismus das Recht des Individuums, nicht nur andere, sondern auch sich selbst zugrunde zu richten.

Die linke, gesundheitspolitische Variante schwört auf sozialstaatlich organisierte Warnung und Prävention. Sie ist verständnisvoll. Für sie sind alle Süchtigen Kranke. Sie will deren Betreuung organisieren mit Sozialarbeiterinnen, Erziehern, „Drogenkonsumräumen“, Verbraucherberatung, Therapien und Ersatzstoffen. Zum Handel fällt ihren Befürwortern wenig ein.

Keine der Varianten kann halten, was sie verspricht. In der Praxis werden sie alle drei vermischt. Das wird Pragmatismus genannt. Die Dosierung wechselt mit dem politischen Kräfteverhältnis. Gutbürgerliche Familien schlucken nicht nur Whiskey, Mother’s Little Helpers und Ritalin. Sie haben auch ihre schwarzen Schafe. Das fördert den Pragmatismus.

Die Widersprüche der Politik mit Drogen sind unlösbar. Sie leiten sich aus der Doppelmoral ab: Dass der Konsum verschiedener Drogen toleriert und ihr Handel verboten ist. Dass es legale und illegale Drogen gibt. Die Grenzen sind willkürlich. Fanatische Drogengegner lassen im Wahlkampf kein Weinfest aus. Im Parlament halten sie die Akzisen für den Tabak- und Spirituosentourismus niedrig.

Kokain befeuert die Führungskräfte des Turbokapitalismus. Heroinabhängige sind arm und obdachlos; sie werden auf Null abgeschrieben. Cannabis gehört zur Freizeitgestaltung der Mittelschichten. Der Handel mit harten Drogen ist global durchkapitalisiert. Der Cannabishandel ist oft mittelständisch. Die liberale Regierung wollte den Schwarzmarkt verrechtlichen. Durch den Wegfall der Risikoprämie wären vielleicht sogar die Preise gefallen.

Die Legalisierung von Cannabis sollte Toleranz gegenüber allen Lebensstilen zeigen. Wie zuvor die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Mit Permissivität wollten DP, LSAP und Grüne die Herzen der Jungwählerschaft erobern. Sie wollten die CSV alt und autoritär aussehen lassen. Nun fürchten sie, dass die Nachbarstaaten Analogien zur Compliance der Banken und Investitionsfonds herstellen.

Die Legalisierung des Cannabis war der liberalen Koalition letzter Versuch von politischem Voluntarismus. Wie der öffentliche Gratistransport, der Weltraumbergbau oder die Trennung von Kirche und Staat. Die schwungvollen jungen Männer hatten 2013 versprochen, die Fenster des modrigen CSV-Staats aufzureißen. Die Galionsfigur des unverschämten Voluntarismus hieß Etienne Schneider. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis enttäuschte ihn bald. Die verbliebenen Regierungsmitglieder sind müde geworden. Nun trauen sich wieder jene, die Schwierigkeiten statt Lösungen suchen.

Romain Hilgert
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