Die Würde des Menschen hat Hochkonjunktur, jede will so eine Würde, ich auch. Ingeborg Bachmann nannte sie unantastbar, alle nicken innerlich. Alle Menschensorten an allen Menschenorten sollen unbedingt in den Genuss einer solchen kommen, sogar die weiblichen, wir möchten sie überall hin exportieren. Bei uns, wie wir umgangssprachlich sagen, gilt sie ja als selbstverständlich. Menschenkinder in den diversesten irdischen Hüllen, mit den diversesten Fähigkeiten und Unfähigkeiten, die mit und ohne Behinderungen oder Verhinderungen, die Steinreichen und die Bitterarmen, die Verhaltensoriginellen und die deprimierend Unoriginellen, die Linken und die Rechten und die Unrechten, also alle all inclusive, sind Inhaber_innen einer solchen. Gefragte Würdenträgerinnen sind bei uns derzeit die Burka-Trägerinnen. Umzingelt von Männermonstern tragen sie ihre Würde sehr würdevoll. Was würde auch aus dieser Würde, würde sie angetastet?
Wenn ein Würdenträger schön über Würde redet, vergießt Mensch gar ein paar Tränchen. Wir definieren uns nicht nur über sie, wir sind echte Würde-Fans. Quasi alle, mit kleinen Einschränkungen vielleicht, manche denken, dass manche ihrer nicht würdig sind. Andere wieder dehnen den Begriff immer weiter aus, von Menschenwürde zu reden, empfinden sie als diskriminierend. Den Pflanzen und Tieren gegenüber, unseren Mitgeschöpfen, der Krake und dem Kohlrabi und der kleinwüchsigen Amöbe. Hochwürden hat Konkurrenz bekommen! Sie wollen nichts und niemand ausgrenzen, auch wenn er oder sie oder es nicht unsern humano-zentristischen Vorstellungen entspricht.
Nur für eine Gruppe gilt das überhaupt nicht. Wer tritt für die Würde der Politiker_innen ein? Sie selber nicht. Sie machen alles. Sie lassen alles mit sich machen. Sie geben alles preis, Kinderfotos, Familiendramen, die Einkommensauszüge, die Konterfeis von Innereien, an denen herum geschnipselt wurde. Sie outen ihre reparierten, doch funktionstüchtigen Körperbestandteile. Sie apportieren Beweise, dass ihr Gehirn sich vorschriftsmäßig windet, ihr Darm auch. Die Koryphäen der Medizin geben Garantien ab bezüglich garantierter Laufzeit einer Kandidatin. Der Kandidat ist kein Todeskandidat. Sie beichten, wo sie mit wem verkehrt haben, dass es verkehrt war, welche Körperzonen dabei involviert waren. Sie gestehen, dass sie Flecken hinterlassen haben, auf Kleidungsstücken, auf der Seele der Nation. Es geht auch andersrum, die Gegensatzvariante kommt auch ganz gut an. Sie haben Schwächen, die das starke Geschlecht auszeichnen. Schließlich sind sie Männer, werden jetzt Männer verboten? Eine harte Kindheit wird aufgeblättert, eine alleinerziehende Mutter mit einem Heiligenschein versehen. Dann werden Husbandit oder Weibchen ins Rampenlicht gezerrt, Kinder, die „Ich liebe dich“ sagen, oder „meine wundervolle Mutter“.
Nicht nur in Amerika sind ambitiöse Politiker_innen für alles zu haben. Wer an die Spitze kommen will, soll nicht nur gut sein, sondern sich zu gut sein für nichts. Sie singen Alle meine Entchen auf Kommando, springen durch brennende Reifen, stehen mit einer Schürze vor einem Kochtopf vor einer Kamera, sie tanzen Tango und machen Hochstand. Sie werden in Arenen und Manegen aufeinander los gelassen, gern auch ohne Moderator. Es geht nicht moderat zu. Stierkämpfe sind heutzutage verpönt, nach Hahnenkämpfen kräht kein Hahn mehr. Aber wenn zwei Politiker_innen einander zerreißen und zerfleischen, grölt die Fanmeute. Wetten werden abgeschlossen, wer wird abgeschossen? Wer liegt groggy im Ring? Wer kriecht besudelt aus der Manege? Stählern wie Stahlarbeiterinnen machen die Supermänner und Superweiber weiter. Triathlon ist etwas für Weicheierinnen!
Bei diesem Zeter-und-Mordio-Zirkus, bei dieser Mordsgaudi, bei der gejohlt wird wie bei Verfütterungen von Christ_innen an Löw_innen, schreitet keine Menschenschutzliga ein. Angeblich machen sie es freiwillig. Sie wollen das alles ja selber. Es scheint ihr Lebenstraum zu sein.
Sie wollten immer schon etwas für ihr Land tun.